Traueransprache für Dr. Peter Becker
geboren am 07.01.1941 in Berlin – gestorben am 18.09.2024 in Lohfelden
Von Otto Jäckel
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Wiesbaden
Vorstand von IALANA Deutschland e.V.
Vereinigung für Friedensrecht
Deutsche Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms
05.10.2024 in Marburg
Liebe Marita, (Frau Prof. Dr. Marita Metz-Becker)
liebe Jenny, Lena und Leslie mit Familien,
Lieber Thomas Becker und Familie, lieber Robert Becker und liebe Barbara Bastian-Becker,
liebe Weggefährtinnen und Weggefährten von Peter!
Peter war 1982, zu der Zeit, als ich als Referendar in seine zusammen mit Peter Hauck-Scholz geführte Praxis kam, schon eine bundesweit bekannte Koryphäe auf dem Gebiet des Verwaltungs- und Verfassungsrechts. Bei seiner anwaltlichen Tätigkeit und in seinen Publikationen ging es immer um die Verteidigung der Grundrechte, der Demokratie und des Friedens.
In den von Peter Becker geführten Studienplatzprozessen ging es für die Betroffenen darum, ihr Grundrecht auf freie Berufswahl und ihren beruflichen Traum zu verwirklichen.
In seinem 1990 für 146 Städte der neuen Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht geführten Stromstreit, der nach einer turbulenten mündlichen Verhandlung vom 27.10.1992 im Kasino des Reichsbahnausbesserungswerks in Stendal zu einem für die Städte erfolgreichen Vergleich führte, ging es um die Selbstverwaltungsautonomie der Städte - ihr Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob sie in eigenen Stadtwerken ihren Strom aus erneuerbaren Energien beziehen oder von den großen Energiekonzernen.
Die gewaltige Dimension und Komplexität der Auseinandersetzung führte Peter zur Gründung der Kanzlei Becker, Büttner, Held, kurz “BBH”, die heute über 600 Mitarbeitende hat.
Für seine berufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Energierechts und seinen Einsatz für die erneuerbaren Energien, insbesondere als Chefredakteur der von ihm gegründeten “Zeitschrift für neues Energierecht” wurde er von der Europäischen Vereinigung für erneuerbare Energien mit dem Eurosolar-Preis ausgezeichnet.
Die Grundrechte, in diesem Fall die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Organisationsfreiheit standen auch im Mittelpunkt der Berufsverbotsprozesse, die Peter als einer der ersten Anwälte in Deutschland führte. Schon in seiner Zeit als Assistent an der Uni Mainz hatte er das Mandat der Lehramtsbewerberin Anne Lenhart übernommen, der als Kommunistin der Weg in den Schuldienst verwehrt wurde. Für die neue Ostpolitik ab Ende der 1960iger Jahre brauchte die Bundesrepublik nach dem KPD-Verbot von 1956 wieder eine legale KP. Einem größeren Zulauf zu politischen Kräften links von der SPD sollte aber mit dem “Radikalenerlass” vom Januar 1972 entgegengewirkt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Beschluss von 1975 zwar eine individuelle Überprüfung jedes einzelnen Bewerbers auf seine Verfassungstreue gefordert. Den Prozess von Anne Lenhart vor dem Bundesverwaltungsgericht im gleichen Jahr konnte Peter jedoch trotzdem nicht gewinnen.
Das Gericht interessierte sich nicht für die wirklichen politischen Anschauungen von Anne Lenhart und sah allein in ihrer Mitgliedschaft in der KP bereits ihre Eigenschaft als Verfassungsfeindin als erwiesen an. Ein Stück des Verhaltens, auf das es bei der Beurteilung der Persönlichkeit ankomme- so das Gericht - “könne eben auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein.” Die Gründe dieses Urteils wurden in den danach folgenden Fällen von dem Senat schlicht als Textbausteine wiederholt.
Warum war es 1975 gar nicht möglich gewesen, diesen Prozess zu gewinnen?
Von Fritz Bauer ist der Satz überliefert: “Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland”. Peter war vor dem Beamtenrechtssenat des Bundesverwaltungsgerichts ebenso in Feindesland geraten, was er jedoch erst später erfuhr.
Der an der Lenhart Entscheidung beteiligte Richter Rudolf Weber-Lortsch war schon 1933 SA-Obergruppenführer, nach Kriegsbeginn Stellvertretender Polizeipräsident von Kattowitz im besetzen Polen, später SS- und Polizeiführer im Reichskommissariat Ukraine und ab 1942 Chef des Amtes für Verwaltung und Recht beim höheren SS-Polizeiführer von Norwegen gewesen. Seine Dienststelle konnte dort unter anderem am 25. November 1942 erfolgreich melden, dass unter ihrer Leitung 700 norwegische Juden nach Auschwitz verbracht worden waren.
Ein weiteres Senatsmitglied, Dr. Edmund De Chapeau Rouge, war vor 1945 als Richter in Hamburg an der Abfassung von Urteilen wegen Rasseschande beteiligt.
Es hat bis zum Schluss an Peter genagt, dass er diese Umstände zu spät erfuhr, um einen Befangenheitsantrag gegen die Richter stellen zu können.
Ähnlich erging es Peter im Fall der Marburger Lehramtsbewerberin Silvia Gingold, Tochter jüdischer Eltern, die In Frankreich in der Résistance gegen die Nazis gekämpft und Verwandte in Auschwitz verloren hatten.
Erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel sagte ihm ein Richter aus einem anderen Senat: “Wussten Sie nicht, dass der Senatsvorsitzende Hesse ein hoher Führer der Hitlerjugend war?”
Warum erzähle ich das hier? Es geht mir um die Frage, wie Peter diese Erfahrungen überhaupt seelisch verarbeiten konnte. Die älteren Herren, die ihn in diesen Prozessen am Richtertisch über ihre Brillenränder freundlich angelächelt hatten, waren in Wahrheit menschliche Monster gewesen.
Die Kraft, mit den beruflichen Belastungen umzugehen, schöpfte Peter aus seiner Familie und seinen Kindern, seinem Klavierspiel und den Festen für die Schar seiner Freunde, Reisen und Aufenthalten in seinem geliebten Mogan in Gran Canaria. Er sagte mir einmal: “Nach einem Verhandlungstermin in einem schweren Prozess muss ich erst mal sehr gut essen gehen.”
Erwähnen muss ich hier auch noch das Verfahren, das Peter und ich gemeinsam jahrelang gegen das Berufsverbot für den Marburger Postbeamten und DKP-Stadtverordneten Herbert Bastian geführt haben.
Gegen die zu erwartende negative Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hatten Peter und ich gemeinsam eine Verfassungsbeschwerde von über Einhundert Seiten entworfen. Herbert Bastian fügte sich jedoch dem Wunsch seiner Parteiführung, keine Verfassungsbeschwerde einzulegen. Sie befürchtete, aus einem negativen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts könne ein weiteres Parteiverbotsverfahren folgen.
Den Entwurf schrieben wir dann um in ein Gnadengesuch an den seinerzeitigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der entschied, Herbert Bastian im Wege des Gnadenerweises wieder als Beamten in den Postdienst einzustellen.
Ein großer Erfolg und ein bedeutendes politisches Signal zur Beendigung der unseligen politischen Einschüchterungspraxis, die Helmut Ridder, bei dem ich in Gießen mein erstes Staatsexamen abgelegt habe, zu Recht mit den Worten “Nicht Berufsverbot, sondern Demokratieverbot” charakterisiert hatte.
Als ich eine paar Jahre später erfuhr, die Studienrätin Dorothea Vogt aus Jever habe gegen Ihre Entlassung wegen politischer Betätigung Verfassungsbeschwerde eingelegt, rief ich sie an und bat sie, mir das Mandat für ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erteilen. Ich hatte stets die Auffassung vertreten, dass das Verfahren in vergleichbaren Fällen vor dem Bundesverfassungsgericht aussichtslos, vor dem EGMR jedoch erfolgversprechend sei. Gerhard Schröder hatte sie bis dahin vertreten und musste das Mandat abgeben, weil er Ministerpräsident von Niedersachsen geworden war. Ich bat Dorothea Vogt, auch Peter Becker zu mandatieren, so dass wir erneut gemeinsam auftreten konnten – diesmal in dem neu errichteten Menschenrechtspalast in Straßburg. Die mündliche Verhandlung wurde vor der Großen Kammer mit 19 Richtern geführt und ging, wenn auch knapp, zu unseren Gunsten aus.
Damit hatte sich in der Person von Peter der Bogen vom Beginn der rechtlichen Auseinandersetzung um die Berufsverbote bis zu ihrem erfolgreichen Ende gespannt.
Das Jahr 1982, in dem ich in Peters Kanzlei anfing, um dort die ersten sechs Jahre meiner beruflichen Tätigkeit zu verbringen, war auch ein Jahr des Höhepunktes der Friedensbewegung, die sich seinerzeit gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Deutschland richtete. Das Thema ist heute wieder virulent.
Damals formierten sich überall in Deutschland örtliche und berufsbezogene Friedensinitiativen. In Marburg versammelte sich neben Hamburg die einzige Juristen-Friedensinitiative. Peter Becker wurde ihr Vorsitzender. Peter ging es immer um die Frage, wie wir unser juristisches Handwerkszeug nutzen können, um politisch etwas zu bewegen. Daraus entwickelten wir unter anderem ein Handbuch für kommunale Friedenspolitik.
Als sich 1988 die International Association of Lawers Against Nuclear Arms konstituierte, wurde Peter Becker Vorsitzender der Vereinigung in Deutschland und später Co-Präsident der Internationalen IALANA. Er legte Wert darauf, die deutsche Sektion “Verein für Friedensrecht” zu nennen entsprechend dem aus dem Friedensgebot des Grundgesetzes und der Charta der Vereinten Nationen folgenden Grundsatz, dass es keinen goldenen Mittelweg zwischen Krieg und Frieden geben kann, sondern alles Recht dem Frieden dienen und damit Friedensrecht sein muss.
Zu den großen internationalen Erfolgen der IALANA zählt das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 08.Juli 1996, das durch zweijährige Lobbyarbeit der IALANA bei den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen von der Generalversammlung in Auftrag gegeben worden war. Danach ist der Einsatz und schon die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen wegen der damit verbundenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verboten.
Darüber hinaus haben Juristinnen und Juristen der IALANA auch an dem Atomwaffenverbotsvertrag mitgearbeitet, der am 22. Januar 2022 in Kraft getreten ist. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Atomwaffen, der die IALANA angehört, erhielt hierfür 2017 den Friedensnobelpreis. 94 Staaten haben diesen Vertrag bisher unterzeichnet und 73 Staaten haben ihn ratifiziert; zuletzt vor wenigen Tagen am 24. September 2024 mit Indonesien eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde. Deutschland ist nicht dabei. Auch ein Gespräch, das Peter gemeinsam mit Dieter Deiseroth und mir mit Frank-Walter Steinmeier im Bundespräsidialamt führte, brachte in dieser Richtung leider nichts in Bewegung.
Das Friedensgebot des Grundgesetzes auch in strategischen Verfahren vor Gericht umzusetzen, hat Peter ebenfalls viele Jahre beschäftigt. Gemeinsam mit mir führte er Verfahren für die Apothekerin Dr. Elke Koller gegen die Stationierung von US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, die für den Einsatz durch das taktische Luftwaffengeschwader 33 der Bundesluftwaffe in Büchel vorgesehen sind.
Ein weiteres Verfahren richtete sich gegen die Nutzung der US AIR-Base in Ramstein für den Drohnenkrieg.
Die Gerichte meinten, die Kläger seien nicht klagebefugt, weil sie nicht individuell in ihren Grundrechten verletzt seien.
Dass die Allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets erzeugen, war für sie unerhört und neu. Es konnte gar nicht sein, dass Verfassungsrecht dem einfachen Prozessrecht vorging. Wir hatten juristisches Neuland betreten. Den Weg dazu hatte uns Dieter Deiseroth in seiner Kommentierung in dem Kommentar der Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts zu Art 25 GG aufgezeigt.
Inzwischen hat sich durch die Klimaklagen das Verständnis für die Auslegung der Klagebefugnis zum Teil gewandelt. Da ist etwas in Bewegung geraten.
Neben der Einhegung bewaffneter Konflikte durch Kontrolle der Gerichte beschäftigte Peter im gleichen Maße die Effektivierung der demokratischen Kontrolle der Auslandseinsätze der Bundeswehr durch das Parlament.
Anlass hierfür war die deutsche Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999. Dem widmete er ein eigenes Buch mit dem Titel 1914 und 1999 – Zwei Kriege gegen Serbien - auf dem Weg zum demokratischen Frieden”, das sehr lesenswert ist. Er hat dort interessante Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erarbeitet.
Sehr am Herzen lag Peter die Propagierung positiver Beispiele friedlicher Konfliktregulierung, die mit dem Peter Becker Preis der Philipps-Universität Marburg seiner Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ausgezeichnet wurden.
Und ein ganz besonderes Anliegen war ihm die Friedenserziehung an den Schulen. Mit der Initiative “En Paz”, für die sich seine Tochter Jenny sehr engagiert hat, wurden spezielle Unterrichtsmaterialien entwickelt und kostenlos zur Verfügung gestellt unter dem Motto: “Frieden will gelernt sein!”
Für seinen unermüdlichen Einsatz für den Frieden und friedliche Strategien der Konfliktlösung wurde Peter Becker mit dem Sean MacBride Peace Prize geehrt. Dieser Preis, der ihm von dem International Peace Bureau verliehen wurde, zu deren ersten Mitgliedern Bertha von Suttner gehörte, der Friedens Nobelpreisträgerin von 1905, hat Peter sehr viel bedeutet.
Ich bin mit Peter viel gereist zu internationalen Konferenzen der IALANA nach New York, Wien, Stockholm, Brüssel, Rom, Lausanne und in andere Städte.
Mit seinem Witz und Humor, seiner tiefen Kenntnis der rechtlichen Fragen und seinen immer neuen Ideen hat er überall begeistert.
Unsere letzte gemeinsame Reise unternahmen wir im vergangenen Frühjahr nach Obertauern zum Skilaufen. Mit seinen 82 Jahren fuhr er noch zügig alle Hänge hinunter. Das Sprechen fiel ihm da jedoch schon sehr schwer.
Er hat so gerne gelebt. Er hat ein wunderbares, spannendes Leben gelebt.
Lasst uns deshalb heute nicht nur trauern, sondern zugleich das wunderbare und spannende Leben von Peter Becker feiern!
Traueranzeige zum Tode Dr. Peter Beckers in der FAZ vom 28.09.2024