Liebe Vereinsmitglieder, liebe völkerrechtlich Interessierte,

 

die internationale Eskalationsspirale wirkt in allen gegenwärtigen Krisenherden. Bemühungen um und Verhandlungen über eine friedliche Beilegung von Konflikten kommen nicht voran. Stattdessen wird verbal gezündelt und Öl ins Feuer gegossen, sei es in Form von Waffenlieferungen, Cyber-Angriffen oder direkten militärischen Interventionen durch Bombenabwürfe und Drohnenangriffe. Dabei treten im Konzert des neuen Kalten Krieges immer stärker Instrumente hervor, die uns schon aus den Zeiten des ersten Kalten Krieges bekannt sind: ökonomische und politische Zwangsmaßnahmen, die unilateral oder multilateral von Staaten gegen andere Staaten/Regierungen verhängt werden, um diese zu schwächen bzw. sie zu einem Handeln oder Unterlassen zu zwingen.

 

Gegenwärtig werden solche Zwangsmaßnahmen im allgemeinen Sprachgebrauch „Sanktionen“ genannt. Die Nutzung dieses Begriffes ist in der völkerrechtlichen Literatur umstritten, da er unterschiedlich definiert wird. Das hängt damit zusammen, dass es ein sehr breites Spektrum von Zwangsmaßnahmen gibt, welche nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden können: nach Ausführendem/n, nach Anlass/Zielsetzung, nach Adressaten der Maßnahmen sowie nach Schärfe und Konsequenzen der Maßnahmen.

 

Diese Breite des Spektrums wird deutlich bei der Betrachtung der Dokumente und Materialien, die auf unserer Internetseite eingestellt wurden. Es handelt sich um bislang 50 Einträge, die unter dem Stichwort „Sanktionen“ abgerufen werden können (ergänzende Einträge sollen alsbald erfolgen).

Wir haben eine IALANA-interne „AG Sanktionen“ gegründet, um dieses Feld moderner Kriegsführung intensiver zu bearbeiten und Stellungnahmen sowie weitere Aktivitäten wie z.B. Webinare der IALANA vorzubereiten. Im ersten Schritt galt es hier, ein Schema zu erarbeiten, das eine einheitliche, konsequente völkerrechtliche Prüfung und Bewertung einzelner Sanktionen ermöglicht. Dabei wollen wir Sanktionen - der umgangssprachlichen Gewohnheit folgend – im Sinne eines sehr weiten Begriffs definieren.

In der aktuellen Bewertungspraxis (in Verlautbarungen von Regierungen/Politikern, in Ausarbeitungen von wissenschaftlichen Diensten und Think Tanks sowie in Fachliteratur) werden sehr unterschiedliche Maßstäbe angelegt mit dem Bemerken, Sanktionen bewegten sich im Bereich einer „rechtlichen Grauzone“ - ihre rechtliche Bewertung sei „ein weitgehend ungepflügtes Feld“ (G. Hafner). Welch unterschiedliche Ergebnisse in dieser „Grauzone“ gedeihen, zeigen beispielsweise die konträren Bewertungen der gegen das Nord-Stream-2-Projekt gerichteten US-Sanktionen.

 

Wir schlagen deshalb vor, die Prüfungsmaßstäbe zu klären und empfehlen, die Prüfung einer Völkerrechtsmäßigkeit/-widrigkeit von Sanktionen in drei Schritten durchzuführen:

  • Wurde in ein Rechtsgut des sanktionierten Staates oder eines anderen Rechtssubjektes (Adressaten/Betroffenen) eingegriffen?

  • Ist dieser Eingriff gerechtfertigt?

  • Wurden die völkerrechtlichen Schranken beachtet?

  •  

Aus diesen Fragen ergibt sich das im Link beigefügte Prüfungsschema.

Bei Anwendung dieses Schemas auf aktuelle Sanktionen werden einige strittige Fragen deutlich, welche die sogenannte Grauzone markieren:

Bereits auf der ersten Prüfungsstufe stellt sich die Frage nach dem Umfang des Interventionsverbotes gem. Art. 2 Ziffer 7 VN-Charta. Wir vertreten dazu die Auffassung, dass auf der Basis zahlreicher Resolutionen der UN-Generalversammlung und Erklärungen der Bewegung der Blockfreien Staaten sowie des IGH-Urteils in Sachen USA v. Nicaragua ein weitgefasstes Interventionsverbot gilt.

Ferner stellen sich die Fragen, welche Bedeutung der subjektiven Zielrichtung einer Sanktion beizumessen ist und auf welcher Stufe des Schemas sie berücksichtigt werden müsste. Unseres Erachtens darf die subjektive Zielrichtung keinesfalls außeracht gelassen werden (sofern sie ermittelbar ist). Sie sollten bei der Prüfung von Rechtfertigungsgründen und der der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Stufen 2 und 3) berücksichtigt werden.

Außerdem stellt sich die Frage, warum in der bisherigen Bewertungspraxis die Auswirkungen von Sanktionen nur sehr unzureichend unter dem Gesichtspunkt der durch die Internationalen Menschenrechte gesetzten Schranken geprüft werden. Diese Schranken sind insbesondere bei der Prüfung auf der 3. Stufe zu berücksichtigen. Die Auswirkungen von Sanktionen sind immer wieder von Generalversammlungen, Gremien und Beauftragten der Vereinten Nationen hervorgehoben worden.

Schließlich stellt sich auch die Frage, welche Mittel zur Abwehr völkerrechtswidriger Sanktionen den Betroffenen zur Verfügung stehen.

Wir möchten Sie einladen, als Mitstreiterin in unserer AG die dargestellten Vorschläge und die strittigen/offenen Fragen mit uns zu diskutieren und sich darüber hinaus auch an unseren weiteren völkerrechtlichen Recherchen zu beteiligen. Das „ungepflügte Feld“ bedarf einer tiefergehenden Bearbeitung. Wer sich für eine Beteiligung an unserer Arbeit interessiert, möge bitte Kontakt aufnehmen zu Kornelia Kania, e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

 

Gerhard Baisch, Heiner Fechner, Kornelia Kania und Volkert Ohm