Die Verifikation eines völkerrechtlichen Vertrages sichert dessen Einhaltung. Die Vereinten Nationen haben im Jahre 2007 „Verifikation“ wie folgt umschrieben: 

 Verification involves the collection, collation and analysis of information in order to make a judgement as to whether a party is complying with its obligations.

Was versteht man unter „gesellschaftlicher Verifikation“?

Über das Thema „gesellschaftliche Verifikation“ wird international seit Jahrzehnten unter verschiedenen Bezeichnungen diskutiert: „societal verification“ („gesellschaftliche Verifikation“), „inspection by the people („Inspektion durch das Volk“) oder „societal monitoring“ („kritisches Überwachen durch die Zivilgesellschaft“).

Es geht darum, die Zivilgesellschaft(en) daran zu beteiligen, die Einhaltung und Befolgung internationaler Verträge und Vereinbarungen zu kontrollieren und kritisch zu überwachen – vor allem bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung, aber auch in anderen Bereichen wie Umweltschutz und Menschenrechte. Es geht aber auch um das kritische zivilgesellschaftliche „Beäugen“ innerstaatlicher Regelungen, die – wie z.B. das Kriegswaffenkontrollgesetz - dazu geschaffen wurden, die Einhaltung internationaler Verträge und Abkommen (z.B. Atomwaffensperrvertrag; B- und C-Waffen-Abkommen) sicherzustellen.

Was unterscheidet „gesellschaftliche Verifikation“ von anderen Verifikationssystemen?

Bei den „normalen“ Verifikations- und Überwachungsformen, wie sie in internationalen Verträgen und Abkommen zumeist vorgesehen sind, sind spezielle internationale Einrichtungen und Behörden mit einem professionellen Expertenstab geschaffen worden, die deren Einhaltung überwachen sollen. Dafür ist etwa beim „Non-Proliferations-Vertrag“ („Atomwaffensperrvertrag“) und seinen speziellen Durchführungs- und Verifikationsabkommen auf internationaler ‚Ebene die  „Internationale Atomenergie Organisation“ („IAEA“) in Wien zuständig. Sie überprüft, ob die Vertragsstaaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Dazu lässt sich die IAEA von den Vertragsstaaten regelmäßig Berichte übermitteln, die sie dokumentiert, auswertet und kritisch begleitet. Sie überprüft aber auch durch eigene Experten eigenständig in den Vertragsstaaten „vor Ort“ – allerdings mit Einschränkungen , ob gegen die Vertragspflichten nach dem NPT oder die speziellen Überwachungsabkommen verstoßen worden ist. Ferner kommen technische Einrichtungen und Mittel (Detektoren, Überwachungskameras, Kontrollsiegel, Satellitenüberwachung durch kooperierende Nationalstaaten) zum Einsatz.

Der Grundansatz

Das Konzept der „gesellschaftlichen Verifikation“ gründet auf die Einsicht, dass die „normale“ Verifikation durch staatliche und internationale Behörden nicht hinreichend ist, um Verstöße gegen (wichtige) internationale Abkommen vor allem auf den Gebieten des Menschenrechtsschutzes, der Rüstungskontrolle, der Abrüstung sowie des Umwelt- und Klimaschutzes hinreichend verlässlich und effektiv zu entdecken. Es setzt deshalb darauf, auf nationaler und internationaler Ebene die „Zivilgesellschaft(en)“, also gerade auch nicht-staatliche Akteure, in die Bewältigung dieser „Verifikationsaufgaben“ einzubeziehen.

Die beiden zentralen Elemente der „gesellschaftlichen Verifikation“

1. Das eine zentrale Element „gesellschaftlicher Verifikation“ ist das Whisteblowing von Beschäftigten. Es geht vor allem darum, deren kritischen professionellen Sachverstand zu mobilisieren und nutzbar zu machen. Das betrifft in erster Linie Beschäftige in relevanten Forschungs- und Entwicklungsbereichen, die an Projekten arbeiten oder von solchen Kenntnis haben, die möglicherweise gegen die einschlägigen Abkommen verstoßen oder verstoßen könnten. Zu den Zielgruppen gehören WissenschaftlerInnen, Techniker, Ingenieure, Facharbeiter und Angestellte. Das Konzept der „gesellschaftlichen Verifikation“ setzt aber auch darauf, Beschäftigte öffentlicher Stellen dafür zu gewinnen, dass sie in ihrem dienstlichen Bereich alles ihnen Zumutbare unternehmen, um Verstöße  gegen internationale Abkommen und innerstaatliche Durchführungsbestimmungen im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufzudecken, zu verhindern oder abzustellen („internes Whistleblowing“) und sich gegebenenfalls auch an außenstehende Stellen wenden („externes Whistleblowing“). Potenziell richtet sich das Konzept der „gesellschaftlichen Verifikation“ damit an alle Mitglieder der Zivilgesellschaft(en). 

In einem Dienst- und Beschäftigungsverhältnis stehende Bürgerinnen und Bürger (Beamte, Angestellt und Arbeiter) agieren dabei freilich unter schwierigen Bedingungen: Sie sind nach dem geltenden Recht verpflichtet, Weisungen und Anordnungen ihres Arbeitgebers oder Dienstherrn zu befolgen; außerdem schulden sie Loyalität und sind zur Verschwiegenheit nach „außen“ verpflichtet. Whistleblower brauchen deshalb einen besonderen Schutz, wenn sie dazu ermuntert werden sollen, Verstöße gegen internationale Abkommen und nationale Durchführungsbestimmungen den zuständigen Stellen oder der Öffentlichkeit kund zu tun.

2. Das zweite zentrale Elementgesellschaftlicher Verifikation sind kritische Publikationen in den Medien (Musterfall: Carl von Ossietzky in der „Weltbühne“) und "Bürgerberichte“ („Citizen-Reports“) über die Einhaltung oder Nichteinhaltung von völkerrechtlichen Abkommen in ihren eigenen, aber auch in anderen Ländern. Auf dem Gebiet des Schutzes der Menschenrechte geschieht dies beispielsweise in den Jahres- und Sonderberichten von „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) wie „Amnesty International“ und „Human Rights Watch“. Auch im Abrüstungsbereich waren NGOs in den letzten Jahren verstärkt darum bemüht, die nationale(n) und internationale(n) Öffentlichkeit(en) relativ regelmäßig darüber zu informieren, ob und in welcher Weise bestimmte völkerrechtliche Abkommen in den Vertragsstaaten umgesetzt und eingehalten oder verletzt wurden, um so dazu beizutragen, dass Vertragsverletzungen abgestellt wurden.

Exemplarische Fälle „gesellschaftlicher Verifikation“ im Bereich von „Krieg und Frieden“

Der russische Chemiker Vil Mirzajanow hatte mit seinen Kollegen Wladimir Uglew und Wladimir Petrenko am Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungszentrum für Organische Chemie und Technologie in Moskau gearbeitet. Am 20. September 1992 wandte er sich mit der Aufsehen erregenden Enthüllung an die Öffentlichkeit, in der Militärforschung tätige Wissenschaftler arbeiteten in Russland auch nach der Unterzeichnung des weltweiten Abkommens über den Abbau und die Vernichtung der chemischen Waffen durch die Sowjetunion weiterhin an der Erforschung und Entwicklung von C-Waffen und entsprechender Komponenten. Im Moskauer Teil des Instituts würden sogar neue Nervengase entwickelt. Die drei Wissenschaftler verloren sofort nach der Enthüllung ihre Arbeitsplätze. Mirzajanow wurde am 22. Oktober 1992 wegen der Veröffentlichung eines entsprechenden Artikels verhaftet, seine Wohnung durchsucht. Er blieb – mit Unterbrechungen – bis Ende Januar 1993 in Haft. Internationale Solidaritätsaktionen halfen ihm, frei zu kommen.

Ein weiteres prominentes Beispiel ist Mordechai Vanunu, ein früherer Techniker im israelischen Kernforschungszentrum Dimona. Er machte im Oktober 1986 in britischen Zeitungen publik, dass Israel in dieser Anlage Atomwaffen entwickelt. Einige Tage später wurde er von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad aus Italien entführt und nach Israel verbracht. 1988 verurteilte ihn ein israelisches Gericht wegen Landesverrats und Spionage zu 18 Jahren Freiheitsstrafe. Zahlreiche internationale Initiativen, darunter auch IALANA, engagierten sich für seine Freilassung. Auch nachdem er nach vollständiger Verbüßung der 18jährigen Freiheitsstrafe entlassen wurde, ist er weiterhin gravierenden staatlichen Überwachungsmaßnahmen unterworfen, die seine Menschenrechte grob missachten.


Dieter Deiseroth - Whistleblowing in der Sicherheitspolitik

In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 04/2004 - Seite 479 bis 490
In: http://www.blaetter.de/artikel.php?pr=1776
Rezension dazu in: www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/12_zs_504_05_pank.pdf


Welche Ansätze zur „Gesellschaftlichen Verifikation“ gibt es bereits?
Hinweise dazu finden sich in:

http://www.vertic.org/assets/VY00_Deiseroth.pdf


Buchhinweis:

Dieter.Deiseroth. Societal Verification. BoD. Norderstedt. 2008 (ISBN 978-3-8370-6582-4). 9,80 €
zu bestellen per online:

http://www.amazon.de/Societal-Verification-Dieter-Deiseroth/dp/3837065820


Einen detaillierten Vorschlag zur Verankerung von „Gesellschaftlicher Verifikation“ in einem völkerrechtlichen Abrüstungsabkommen ist im Modellentwurf für eine Atomwaffen-Konvention von IALANA, IPPNW und IPB erarbeitet worden. Die Regierungen von Costa Rica und Malaysia haben diesen Entwurf den Vereinten Nationen vorgelegt. UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon hat diesen Text allen UN-Mitgliedsstaaten mit seiner besonderen Empfehlung übersandt.

-       Kapitel V und VI der „Model Nuclear Weapons Convention“

-       Briefwechsel zwischen UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon und dem IALANA-Präsidenten Weeramantry


Kurzübersicht über Möglichkeiten der „gesellschaftlichen Verifikation“ im Bereich der C-Waffenkonvention:

http://www.ctbto.org/fileadmin/user_upload/ISS_2009/Poster/SP-17C%20(Germany)%20-%20Annegret_Falter%20Dieter_Deiseroth%20and%20Martin_Kalinowski.pdf

Was können NGOs wie z.B. IALANA in diesem Bereich leisten?

1. Sie können Schlupflöcher in internationalen Abkommen und Verträgen sowie in innerstaatlichen Durchführungsbestimmungen aufdecken, und zwar speziell auf den Gebieten 'Frieden und Krieg', Abrüstung, Menschenrechte, Umweltschutz, Mindestarbeitsbedingungen, Korruptionsbekämpfung. 

2. Sie können im öffentlichen Diskurs an Hand geeigneter Fälle aufzeigen,  warum "offizielle (technische oder bürokratische) Verifikation" durch eine internationale oder nationale Behörde oder Kommission und/oder internationale Gremium von Regierungsbeauftragten nicht ausreicht und  dass gesellschaftliche Verifikation sehr wichtig sein kann. 

3. Sie können für die Etablierung und Durchsetzung von speziellen Regelungen zu gesellschaftlichen Verifikation in neuen internationalen Abkommen und bei deren Umsetzung in Landesrecht werben und dafür Konzepte entwickeln. 

4. Sie können praktikable Vorschläge zum Schutz von „Whistleblowing“ und von „Bürgerberichten“ („Citizen Reporting“) für bestehende internationale Abkommen erarbeiten und propagieren (z.B. für den Atomwaffensperrvertrag, die B-Waffenkonvention, die C-Waffenkonvention etc). Ein Beispiel dafür sind die Schutzregelungen („Societal Verification“) in der von IALANA, INESAP und IPPNW erarbeiteten Modell-Atomwaffenkonvention, die durch den UN-Generalsekretär den UN-Mitgliedsstaaten vorgelegt worden ist.

5. Sie können Whistleblowern in konkreten Konflikten Hilfe und Unterstützung anbieten (Beratung, anwaltliche Vertretung und Verteidigung, Prozessbeobachtung etc). 

6. Sie können zugunsten von Whistleblowern Solidaritäts-Aktionen organisieren (Presse-Verlautbarungen, Presse-Konferenzen, Hilfe bei der Suche nach geeigneten Journalisten,  Unterschriftensammlungen, Leserbriefe an Zeitungen usw.).

7. Sie können geeignete Whistleblower-Fälle und Whistleblower-Konflikte öffentlich machen, um öffentliche Unterstützung (auch durch Parlamentarier und Regierungen) zu organisieren und zugleich die Notwendigkeit eines besseren Schutzes von Whistleblowern visibel und einsichtig zu machen. 

8. Sie können mit anderen Organisationen und Initiativen zusammenarbeiten und sich dafür engagieren, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Zu diesen Organisationen zählen z.B. Pugwash, Government Accountability Project (GAP), Public Concern at Work, Transparency International, Whistleblower-Netzwerk etc.

 

--  Deutschland:

- www.vdw-ev.de

http://www.whistleblower-netzwerk.de

-- Großbritannien: PUBLIC CONCERN AT WORK; Guy Dehn;  gdalt@altpcaw.demon.co.uk

-- USA: GOVERNMENT ACCOUNTABILITY PROJECT; Tom Carpenter;

tomcalt@altwhistleblower.org

-- GUS-Staaten: ENVIRONMENT AND HUMAN RIGHTS;

Larisa N.Skuratovskaja; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

--      Schweden:   SEANA;   Stefan Björnson;  stefan.bjornsonalt@altmailbox.swipnet.se


Literatur-Links:

http://sdi.sagepub.com/cgi/pdf_extract/23/4/51

http://www.reachingcriticalwill.org/legal/nwc/mon2socver.html

www.vertic.org/publications/verification%20yearbook.asp

www.betrifftjustiz.de/Texte/Deiseroth04.pdf

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/a10/anhoerungen/a10_81/16_10_850-I.pdf

 

Michael Crowley and Andreas Persbo:

THE ROLE OF NON-GOVERNMENTAL ORGANIZATIONS IN THE MONITORING AND VERIFICATION OF INTERNATIONAL ARMS CONTROL AND DISARMAMENT AGREEMENTS

www.unidir.org/pdf/articles/pdf-art2588.pdf