IALANA-Deutschland zum Entwurf eines Hinweisgeber-Schutzgesetzes 2022

Als Organisation, die sich seit Jahrzehnten für die gesellschaftliche Anerkennung der Whistleblower einsetzt und seit 1999 alle 2 Jahre mit der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) den angesehenen „Whistleblower-Preis“ vergeben hat, begrüßen wir es sehr, dass endlich ein deutsches Whistleblower-Schutzgesetz in Kraft gesetzt werden soll.

Der Entwurf ist in der jetzigen Fassung leider nicht geeignet, Whistleblowern einen effektiven Schutz zu gewährleisten, sondern fällt in Teilen sogar hinter die Vorgaben der EU-Richtlinie zurück.

1. Der Anwendungsbereich ist zu eng angelegt

Wir würdigen, dass nun ein einheitliches Gesetz angestrebt wird und auch Verstöße gegen nationales Recht im Fokus liegen. Während der Koalitionsvertrag von November 2021 jedoch auch Whistleblower schützen wollte, die „sonstiges erhebliches Fehlverhalten melden, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt“, beschränkt der Entwurf sich auf Verstöße gegen strafbewehrte Rechtsnormen und "Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient".

Darüber hinaus wird dem Whistleblower Schutz bei sonstigen Verstößen gegen nationales Recht nur in dem engen Katalog von 24 Rechtsmaterien zugesagt, die weitgehend dem Schutzbereich des umzusetzenden europäischen Rechts entsprechen. Der Entwurf spricht insoweit selbst von einer „begrenzten“ Ausweitung auf nationales Recht. Dabei werden zwar Regelungen der Rechte von Aktionären aufgeführt; es fehlen aber z.B. Rechte der Gewerkschaften, Verstöße gegen die betriebliche Mitbestimmung und der Beschäftigten außerhalb der Tarifverträge. Anstatt gut verständlich den Schutz und seine Grenzen zu umreißen, wird der potentielle Whistleblower in einen Irrgarten von Vorschriften entlassen, wo er erst mit anwaltlicher Hilfe erkennen kann, ob er den Schutz des Gesetzes hat.Gesetze müssen nach dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit klar und bestimmt sein. Das heißt, Gesetze müssen für die Bürger*innen verständlich und rechtliche Konsequenzen vorhersehbar sein.Zumindest unglücklich ist für potentielle Whistleblower auch die verstreute Regelung der für sie wesentlichen Bestimmungen in §§ 1-3, 7, 32-40, unterbrochen durch die detaillierten Regelungen für die Einrichtung von Meldestellen.

2. Die Ausdehnung des Schutzbereichs auf die Aufdeckung erheblicher Missstände ist unbedingt erforderlich

Es bedarf einer klaren allgemeinen Bestimmung, dass auch geschützt wird, wer uneigennützig im besonderen öffentlichen Interesse Missstände aufdeckt.

Der Entwurf zitiert den Fall von Brigitte Heinisch als Beispiel für den bisher mangelhaften Schutz der Whistleblower in Deutschland. Aber wäre sie, die Missstände in der Altenpflege anprangerte, durch das jetzt entworfene Gesetz heute besser geschützt? In dem Katalog der 24 Materien taucht die Altenpflege nicht auf. Ein strafbewehrter Verstoß des Trägers oder wenigstens ein bußgeldpflichtiger Verstoß müsste vorgebracht werden. Einen Verstoß umreißt § 84 SGB XI Abs.6: Der Träger der Einrichtung ist verpflichtet, mit der vereinbarten personellen Ausstattung die Versorgung der Pflegebedürftigen jederzeit sicherzustellen. Er hat bei Personalengpässen oder -ausfällen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Versorgung der Pflegebedürftigen nicht beeinträchtigt wird. § 121 SGB XI als einschlägige Bußgeldvorschrift sanktioniert aber die Verletzung der genannten Vorschrift aus § 84 nicht. Kein Schutz also?

Das Geschäftsgeheimnisgesetz von 2019 hat innerhalb seines Anwendungsbereichs ausdrücklich anerkannt, dass Whistleblower auch bei Aufdeckung von formal nicht-rechtswidrigem Fehlverhalten Schutz verdienen (§ 5 Nr. 2 GeschGehG). Daher sind Whistleblower in Zukunft Rechtsgebiets übergreifend auch dann ausdrücklich zu schützen, wenn sie erhebliche Missstände aufdecken. Auch der Koalitionsvertrag von November 2021 enthielt hierzu eine klare Positionierung. Wieso der Entwurf dahinter zurückfällt, bleibt unverständlich.

3. Anonyme Hinweise dürfen nicht ausgeklammert werden

Die EU-Whistleblower-Richtlinie hatte den Mitgliedsstaaten freigestellt, die betroffenen Unternehmen auch zur Annahme anonymer Hinweise zu verpflichten. Bereits der Referentenentwurf aus 2020 hatte hiervon keinen Gebrauch gemacht. Grund war vor allem die Sorge, hierdurch Denunziationen zu fördern. Dies wurde schon damals von Experten und NGOs kritisiert, weil Anonymität für Hinweisgeber oft den wirksamsten Schutz vor Repressionen bedeutet und in bisherigen europaweiten empirischen Untersuchungen eine erkennbare Steigerung von „Denunziationen“ aufgrund zugelassener anonymer Hinweise nicht festgestellt werden konnte.

Überraschenderweise wiederholt der neue Referentenentwurf die Bedenken aus 2020 und überlässt es den Unternehmen, ob sie anonyme Hinweise annehmen und bearbeiten wollen. Für die hier in der Praxis voraussichtlich eher genutzten externen Meldestellen legt § 27 Abs.1 des Entwurfs fest, sie seien „nicht verpflichtet, anonyme Meldungen zu bearbeiten“, d.h. im Klartext: sie werden sie nicht bearbeiten.

4. Umstandslose Privilegierung der klassifizierten Infos ist unerträglich

Wenn Whistleblower bei ihren Enthüllungen auf Infos zurückgreifen, welche die Behörden mit dem „Geheim“-Stempel versehen haben, soll ihnen automatisch der Schutz verweigert werden (§ 5 II S.1). Eine Prüfung, ob die Klassifizierung materiell zu Recht erfolgt war, ist nicht vorgesehen. Auch der Geheimhaltungsgrad soll keine Rolle spielen. Selbst Verschlusssachen mit dem schwächsten Geheimhaltungsgrad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ genügen.

Das ist eine Einladung an die Behörden, selbst banale, aber unliebsame Informationen möglichst wirksam zu verbergen. Als z.B. 2020 ein Bundestagsabgeordneter anfragte, wie viele der Fernzüge der Deutschen Bahn AG mit geschlossenem beziehungsweise nicht vollständig funktionsfähigem Bordrestaurant fahren und welche Einnahmen die DB durch den Betrieb der Bordrestaurants erzielt, wurde das verweigert: die Bundesregierung habe die erbetenen Informationen als Verschlusssache eingestuft. Die Verschlusssachen wachsen ohnehin steil an. Allein im Bundesministerium des Innern wurden seit 2008 zusätzlich 190.020 Verschlusssachen registriert (nicht eingerechnet die 8 Millionen des Bundesamtes für Verfassungsschutz).

Es ist kaum erträglich, dass auf diese Weise auch für die Enthüllung illegaler Vorgänge der Whistleblowerschutz entzogen werden soll.

5. Auch Whistleblower aus dem Sicherheitsbereich müssen Schutz erhalten

Die Gesetzesbegründung beruft sich für Verweigerung jeglichen Schutzes für Whistleblower aus dem Sicherheitsbereich (§ 5 Abs.1 Ziff.1) auf eine 1:1 Umsetzung der EU-Richtlinie, verschweigt aber, dass insoweit der nationale Gesetzgeber einen breiten Regelungsspielraum hat und durchaus auch eine international vorbildliche Regelung treffen könnte. Uns kümmert besonders, dass mit Ellsberg, Manning und Snowden drei unserer Preisträger nicht nur berühmte Whistleblower geworden sind, sondern persönlich Verfolgung und schwerste Nachteile in Kauf nehmen mussten, die sich auch auf den Schutz der Pressefreiheit ausgewirkt haben, ja dies aktuell im Fall Assange noch tun. Sie haben völkerrechtliche Verbrechen und Missstände enthüllt und sich dafür Anklagen als Spione nach dem US-Espionage-Act eingehandelt. Dabei kann es nicht bleiben. Es müssen schützende Regelungen gefunden werden.

6. Schutzmaßnahmen konkretisieren, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe vermeiden

So wortreich und mit zahlreichen Paragraphen die Regelungen für die Meldestellen im Entwurf ausgestaltet sind, so wortkarg und allgemein gehalten sind andere Passagen, die für den Schutz der Whistleblower wichtig sind. Am Beispiel des Verbots von Repressalien in § 36 Abs.1. Dort findet sich nur der Satz: „Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten“. Die EU-Richtlinie zählt in Art.19 dagegen insgesamt 15 konkrete Formen von Repressalien auf und ergänzt das in Art. 23 durch Sanktionen. Dieser Katalog, der sich an der gelebten Rechtspraxis orientiert und auf erschreckende Weise den Erfindungsreichtum der Whistleblower-Gegner dokumentiert, gäbe künftig den Gerichten klare Kriterien an die Hand und würde Whistleblower zu erkennen geben, was alles auf sie zukommen kann und zugleich, wogegen sie geschützt sind. Die Fassung des Entwurfs lässt dagegen viel Interpretationsspielraum und überantwortet die Ausfüllung letztlich wieder der Rechtsprechung. Für den Whistleblower sind das Risiken, die ihn eher von einer Meldung zurückschrecken lassen.

Auch finden sich im Entwurf viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die den Umfang und die Voraussetzungen des Schutzes ins Unklare rücken: so in § 33 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 „hinreichenden Grund zur Annahme“, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen, bzw. dass die Verstöße in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Was ist denn „hinreichender Grund“?  Oder in § 36 Abs.2 bei der Beweislastumkehr: hier muss der Benachteiligende beweisen, dass „die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte“. Was sind „hinreichend gerechtfertigte Gründe“ für eine vermutliche Repressalie?

Die EU-Richtlinie fordert in Art. 21 nach Repressalien die „vollständige Wiedergutmachung“ des erlittenen Schadens. Der Entwurf spricht nur allgemein vom Ersatz des Schadens und wehrt in § 37 Abs.2 einschränkend ab: kein Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses (…) oder einen beruflichen Aufstieg.

Befremdlich ist es schließlich, wenn im Abschnitt „Schutzmaßnahmen“ in § 38 die Whistleblower zum Ersatz des Schadens (sc. des Arbeitgebers) verpflichtet werden, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist – ohne jede Problematisierung eines Irrtums. Dazu passt, dass in § 40 des Entwurfs Whistleblower, die wissentlich eine unrichtige Information offenlegen, zusätzlich mit einer Geldbuße von bis zu 20.000 Euro geahndet werden.

Solche Regelungen sind eher dazu angetan, Whistleblower von einer Meldung abzuhalten, wenn zugleich so viel unbestimmte Rechtsbegriffe in die Risikoabschätzung einbezogen werden müssen.

Insgesamt sind wir der Meinung, dass der vorgelegte Entwurf so nicht als Gesetz verabschiedet werden kann, sondern in vielen Punkten gründlich nachgebessert werden muss.

 

6.5.2022

Kontakt:  Gerhard Baisch, Bremen, <gerhard(at)baisch.name>

 

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