Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht an der Universität Hamburg. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.
Interview: Volker Hermsdorf

Am 6. und 7. November behandelt die UN-Vollversammlung in New York ein weiteres Mal den Antrag Kubas, die von den USA seit fast 60 Jahren verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade zu verurteilen. Was erwarten Sie von der diesjährigen Abstimmung?

Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen wie jedes Jahr seit 1992 auch in diesem Jahr die US-Blockade nahezu geschlossen verurteilen und ihre Beendigung fordern werden. Ebenso sicher ist aber auch, dass sich die Regierung in Washington weiterhin über das Votum der UNO hinwegsetzen wird.

Rechnen Sie mit Überraschungen?

Es könnte sein, dass Trump den Staatschef Brasiliens oder andere durch politischen Druck zu einer Änderung des bisherigen Abstimmungsverhaltens bringt. An der Eindeutigkeit des Votums der Vereinten Nationen würde das aber nichts ändern.

Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel spricht in Bezug auf die verschärften US-Sanktionen von einem Wirtschaftskrieg gegen sein Land und bezeichnet die Blockade als völkermörderische Politik. Ist das nicht überzogen?


Nein keineswegs. Die US-Regierung hat im April 1960 als Ziel der Blockade »das Provozieren von Enttäuschung und Entmutigung durch wirtschaftliche Not« vorgegeben. Im Oktober 2019 erklärte der von Donald Trump eingesetzte Sonderbeauftragte für Venezuela, Elliot Abrams, dass die jüngsten Sanktionen darauf abzielen, »Kubas Wirtschaft zu erdrosseln«. Eine Politik mit dieser Zielsetzung als Wirtschaftskrieg zu bezeichnen halte ich für berechtigt und angemessen.

Díaz-Canel spricht auch von einer völkermörderischen Politik.

Das kann man im politischen Sinn bestimmt so benennen. Die USA verhängen zunehmend Sanktionen gegen missliebige Staaten. Im Irak haben US-Sanktionen Hunderttausenden Menschen das Leben gekostet. In Kuba trifft die Blockade vor allem die Zivilbevölkerung, was ja auch bezweckt wird. In dem schon erwähnten Memorandum aus dem Jahr 1960 heißt es, das Verbot von Lieferungen und Geldzahlungen solle Kubas »Ökonomie schwächen, zu sinkenden Einkommen führen, Hunger, Elend und Verzweiflung erzeugen und so zum Sturz der Regierung beitragen«.  Jedes Kind, das in Kuba stirbt, weil die Regierung wegen der Blockade keine lebensrettenden Medikamente kaufen kann, geht auf das Konto Washingtons.

Können Sie das näher erklären?

Erst kürzlich schlug die Schweizer Hilfsorganisation mediCuba-Suisse Alarm, weil sie keine Geldtransfers für die Durchführung von Projekten in Kuba mehr tätigen konnte. Seit dem 1.September führt die Bank »PostFinance« und damit das letzte Geldinstitut der Schweiz aus Angst vor den Auswirkungen der Blockade keine Überweisungen mehr nach Kuba aus. Bis dahin konnte mediCuba-Suisse jährlich einen sechsstelligen Frankenbetrag zugunsten des kubanischen Gesundheitssystems überweisen. Der Fall ist nur eines von vielen Beispielen.

Wie bewerten Sie die extraterritoriale Ausweitung der Blockade als Völkerrechts-Experte?

Schon ein bilaterales Embargo widerspricht internationalen Handelsabkommen, da es die Freiheit des Finanz- und Warenverkehrs beschneidet. Staaten haben zwar das Recht, bei Konflikten durch Sanktionen Druck auf andere Staaten auszuüben, müssen dabei aber immer die Verhältnismäßigkeit wahren. Eine Blockade, die sich über den ungeheuren Zeitraum von 60 Jahren erstreckt, ist das nicht. Völlig unzulässig ist es, die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zu ziehen und einen regimechange zu bezwecken. Und schließlich ist auch die extraterritoriale Ausdehnung, also die Beeinträchtigung von Interessen dritter Staaten oder Einzelner, ein grober Verstoß gegen das Völkerrecht. Das wird ja auch Jahr für Jahr in den Vereinten Nationen so festgestellt. Allerdings besitzen die Staaten kein Instrument, um die USA zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen.

Gab es denn Ansätze dazu?

Ja. In der Verordnung 2271/96 des Europäischen Rates vom November 1996 heißt es wörtlich über die US-Blockadebestimmungen: »Diese Gesetze, Verordnungen und anderen Rechtsakte verletzen durch ihre extraterritoriale Anwendung das Völkerrecht.«

Trotzdem kuscht die EU vor Washington. Was können wir tun?

Wir können nicht nur auf die Zeit nach Trump warten, weil die Bevölkerung in Kuba jeden Tag unter den Folgen der Blockade leidet. Ich halte die Kampagne »Unblock Cuba« und die Plakataktionen in Deutschland, Österreich, Schweden und der Schweiz für einen guten Ansatz, den Widerstand gegen die völkerrechtsverletzenden US-Gesetze in Europa zu stärken.