Die europäische Tagung "Ein atomwaffen-freies Europa" von  Juni 1997 in Burg Schlaining, Österreich warnte vor einer bedrohlichen Ausweitung der Rolle von Atomwaffen als Ergebnis der NATO-Osterweiterung und der Europäisierung nationaler Atombomben - ein unverändert aktuelles Dokument der Friedensbewegung

 

"NATO-Osterweiterung und Atomwaffen in Europa - Schritte zur europäischen Sicherheit ohne Atomwaffen

Einleitung


Seit dem Ende des Kalten Krieges wird in der Öffentlichkeit kaum noch über Sicherheits-Fragen und schon gar nicht über Atomwaffen geredet, da andere, offenbar drängendere Probleme in den Vordergrund gerückt sind. Dennoch spricht sich in zahlreichen Ländern eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für die Abschaffung aller Atomwaffen aus. Daher schlagen Nicht-Regierungs-Organisationen (NROen) aus dem Bereich der Friedens- und Sicherheits-Politik ein politisches Aktions-Programm vor. Dieses Programm zeigt auf, wie an die Stelle militärischer Verteidigungsbündnisse, die auf atomare Abschreckung setzen, eine kooperative, nicht-atomare Sicherheits-Struktur gesetzt werden kann, in der Konflikte verhütet und mit zivilen, also nicht-militärischen Mittel gelöst werden können.


Am 13. März 1997 nahm das Europäische Parlament eine Resolution an, die "die Mitgliedstaaten der Europäischen Union [auffordert], sich dafür einzusetzen, dass 1997 Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluss einer Atomwaffen-Konvention zur Abschaffung nuklearer Waffen aufgenommen werden". Mit dieser Resolution stellt sich das Europäische Parlament zum ersten Mal in eine Reihe mit dem Internationalen Gerichtshof, der Canberra-Kommission und mehr als 60 aktiven oder ehemaligen hoch-rangigen Militärs, die mit ernsthaften Argumenten die Recht-Mäßigkeit des Atomwaffen-Besitzes und das Konzept der nuklearen Abschreckung in Frage stellen. Besteht heute einerseits eine realistische Aussicht, endlich eine europäische Sicherheits-Architektur aufzubauen, die sich nicht mehr auf Atomwaffen stützt, so wird diese Option von den NATO-Regierungen weiterhin vernachlässigt. Statt dessen bestehen diese weiterhin darauf, dass Atomwaffen für die europäische Sicherheit erforderlich sind. Sie sehen in einer reformierten und erweiterten NATO die Grundlage einer künftigen europäischen Sicherheits-Architektur und wollen eine (west- und mittel-) europäische Verteidigungs- und Sicherheits-Identität entwickeln. Damit wird die Chance zur Ausarbeitung einer wirklich pan-europäischen Sicherheits-Architektur, bei der nicht länger eine Militärallianz im Mittelpunkt steht, vergeben.

Die nukleare Zukunft der NATO


Die NATO hält nach wie vor an ihrer Fähigkeit zur nuklearen Kriegsführung fest und besteht darauf, Atomwaffen zu behalten. In sieben europäischen NATO-Staaten sind immer noch ca. 200 US-amerikanische Atombomben stationiert; Frankreich und Großbritannien bestehen darauf, ihre nationalen Atomwaffen-Potentiale zu behalten. Die NATO lehnt es ab, die Ersteinsatz-Doktrin aufzugeben. Damit setzt sich die NATO klar in Widerspruch zu dem Rechts-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 8. Juli 1996, das erklärt, die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen verstoße generell gegen das Völkerrecht.

Hervorgehoben werden muss, dass der IGH die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen für grundsätzlich rechtswidrig erklärt hat. Der IGH hat den Atomwaffen-Staaten auch für Ausnahme-Situationen kein ,Recht" zur Androhung oder zum Einsatz von Atomwaffen zugebilligt; er hat allerdings erklärt, er könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht definitiv entscheiden, ob die Bedrohung durch oder die Anwendung von Atomwaffen "in einer extremen Notwehrsituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel stehen würde", rechtmäßig oder rechtswidrig sein würde. Die gegenwärtige Nuklear-Strategie der NATO wird von dieser zweifelhaften und in ihren Konturen unscharfen Formel keineswegs gedeckt. Dies ergibt sich schon daraus, dass die NATO in ihrer Doktrin den angedrohten Einsatz von Atomwaffen eben nicht auf den Fall begrenzt, dass in einer extremen Notwehr-Situation das reine Überleben eines ihrer Mitgliedstaaten auf dem Spiel steht.

Die Nuklear-Streitkräfte der NATO haben eine viel umfassendere politische Zielrichtung: "Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. ... Ein glaubwürdiges nukleares Streitkräfte-Dispositiv des Bündnisses und Demonstration von Bündnis-Solidarität und gemeinsamem Bekenntnis zur Kriegs-Verhinderung erfordern auch in Zukunft breite Teilhabe in die kollektive Verteidigungs-Planung involvierter europäischer Bündnispartner an nuklearen Aufgaben, der Stationierung von Nuklear-Streitkräften auf ihrem Hoheitsgebiet im Frieden und an Führungs-, Überwachungs- und Konsultations-Vorkehrungen." (NATO: Das Strategische Konzept des Bündnisses, Rom, 1991). Die Nuklearstrategie der NATO wurde seit dem Rechts-Gutachten des IGH nicht geändert.

Durch die NATO-Osterweiterung wird die Anzahl der Länder, die sich zu einer solchen Politik verpflichten, steigen. Beim nächsten NATO-Gipfel am 8. und 9. Juli in Madrid werden voraussichtlich Ungarn, Polen, die Tschechische Republik und eventuell weitere Staaten dazu eingeladen, 1999 der NATO beizutreten. Unabhängig davon, ob die NATO tatsächlich Atomwaffen auf den Gebieten der neuen Mitgliedstaaten stationiert, wächst damit die Zahl der Länder, die sich auf Atomwaffen und die atomare Abschreckung stützen. Und das NATO-System der ,nuklearen Teilhabe" wird dadurch ausgeweitet.

In der Grundakte zwischen der NATO und Russland erklärt die NATO: "Die Mitgliedstaaten der NATO wiederholen, dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlaß haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch die Notwendigkeit sehen, das Nukleardispositiv oder die Nuklear-Politik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern - und dazu auch in Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehen." Die NATO erklärt darüber hinaus, dass sie nicht beabsichtige, auf dem Gebiet der neuen Mitgliedstaaten eine nukleare Infrastruktur aufzubauen oder zu nutzen. (Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation vom 27. Mai 1997)

Allerdings enthält die Grundakte keinerlei völkerrechtlich bindende Garantie, dass die NATO in diesen Ländern keine Atomwaffen stationiert wird. Im Gegenteil behält sich die NATO einseitig das Recht vor, die von ihr erklärte Politik der Nicht-Stationierung von Atomwaffen in den neuen Mitgliedstaaten zu ändern. Diese sollen vollwertige und gleich-berechtigte Mitglieder werden, d.h. sie sind auch berechtigt, sich in vollem Umfang an der nuklearen Teilhabe der NATO sowie an den diesbezüglichen Entscheidungs-Prozessen zu beteiligen. Der vollwertige Mitgliedsstatus beinhaltet das Recht, die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen einzufordern, sowie die Pflicht, der Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen zumindest während eines Krieges zuzustimmen (Dänemark, Norwegen).

Die "nukleare Teilhabe" der Nicht-Atomwaffen-Staaten in der NATO schließt auch die Möglichkeit ein, dass die Verfügungsgewalt über Atomwaffen im Kriegsfall auf die Streitkräfte von Nicht-Atomwaffen-Staaten übergeht. Die Lagerung von Atomwaffen auf dem Gebiet eines neuen Mitgliedstaats sowie die Schulung im Umgang mit Atomwaffen in Friedenszeiten sind möglich, und von dieser Möglichkeit wird in Bezug auf die bisherigen Nicht-Atomwaffen-Staaten in der NATO auch bereits Gebrauch gemacht.

Die "nukleare Teilhabe" und die Teilnahme an den Entscheidungs-Prozessen zum Atomwaffen-Einsatz verstößt nach Meinung zahlreicher Nicht-Atomwaffen-Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind, gegen die Artikel I und II des Nichtverbreitungs-Vertrags (NVV). Bislang wurde unter den Staaten, die den NVV unterzeichnet haben, keine Einigkeit darüber erzielt, ob dadurch die Pflichten der NATO-Länder, die sich aus dem NVV ergeben, verletzt werden. Die NATO erklärt zwar einseitig, dass ihr Prinzip der "nuklearen Teilhabe" durch den NVV gedeckt sei, aber die NATO-Staaten haben von der völker-rechtlichen Möglichkeit, bei der Ratifizierung des NVV entsprechende eindeutige und formelle Vorbehalte zu machen und diese zu hinterlegen, keinen Gebrauch gemacht. Sowohl während der Überprüfungs- und Verlängerungs-Konferenz des NVV 1995 als auch bei dem Vorbereitungs-Treffen (PrepCom) von 1997 zur Überprüfungs-Konferenz des NVV im Jahr 2000, das 1997 stattfand, wurde dieses Thema erneut kontrovers diskutiert. Bei der Neubewertung dieser Frage sollte berücksichtigt werden, dass Russland seine Atomwaffen mittlerweile vollständig auf das eigene Territorium zurückgezogen hat.

NATO - die richtige Institution für die europäische Sicherheit?


Die NATO argumentiert, dass die Erweiterung der Allianz zu mehr Stabilität in Europa führen wird. Trotz der Grundakte zwischen der NATO und Russland ist aber die Gefahr groß, dass genau das Gegenteil der Fall sein wird. Weder die Grundakte noch die NATO-Osterweiterung verhindern wirksam, dass neue Trennlinien durch Europa gezogen werden. Sie könnten im Gegenteil dazu beitragen.

In ihrem Bemühen, in die NATO aufgenommen zu werden, haben sich viele Länder bereits dazu hinreißen lassen, die von ihnen empfundene Bedrohung durch Russland zu übertreiben. In einer erweiterten NATO könnten sie sich vielleicht sogar gedrängt sehen, durch die Beibehaltung dieser Einstellung den Beweis zu liefern, dass die Entscheidung zum NATO-Beitritt richtig war. Die Länder, die in der ersten Erweiterungs-Runde nicht dabei sind, werden sich intensiv um einen späteren Beitritt bemühen. Die Länder, die nicht in die NATO aufgenommen werden, könnten eine vermeintliche Bedrohung durch die NATO hochspielen und dann eine engere Zusammenarbeit mit Russland anstreben. Ist dies nicht möglich, könnten sie sich letztlich isoliert und gefährdet fühlen. Eine mögliche Antwort auf diese Problematik wäre es, eine neutrale Position einzunehmen.

Wenn es durch die Grundakte zwischen der NATO und Russland gelingt, dass die Angst vor der NATO in Russland klein gehalten wird, und sie zu einer gemeinsamen internationalen Sicherheits-Politik beiträgt, kann dies im Ergebnis zu einer Konfrontation zwischen einem vereinigten Block von Staaten des Nordens und den Ländern im Süden führen. Die Grundakte könnte ein Instrument der Verschärfung der Spannungen zwischen Nord und Süd werden.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Grundakte zwischen der NATO und Russland die russischen Vorbehalte gegen die NATO-Osterweiterung nicht ausräumt. Russland formuliert ernsthafte Sicherheits-Bedenken. Die NATO-Osterweiterung führt dazu, dass die konventionellen Streitkräfte der NATO sehr viel größer sind als die Russlands. Die NATO hat versprochen, bei den Wiener Vertragsverhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) nach einer Lösung für diese Frage zu suchen. Bislang hat die NATO aber keinen Vorschlag für eine Begrenzung der künftigen konventionellen Streitkräfte vorgelegt, der den Sorgen Russlands wirklich gerecht wird. Russland könnte deshalb zum Schluss kommen, dass es seine konventionelle Unterlegenheit ausgleichen kann, indem es die NATO-Strategie der "flexiblen Antwort" aus den 70er und 80er Jahren aufgreift. Das würde dazu führen, dass Russland seine Militär-Strategie stark auf taktische Atomwaffen abstützt und auf das Konzept des Ersteinsatzes von Atomwaffen zurückgreift. Zudem besteht die Gefahr, dass die NATO-Osterweiterung die Ratifizierung von START II gefährdet und die nukleare Abrüstung in Frage stellt.

Auch die Kosten der NATO-Osterweiterung dürfen nicht außer Betracht bleiben, insbesondere angesichts der ernsten wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die zur Zeit bestehen. Schätzungen reichen von DM 34 Mrd. bis DM 210 Mrd. über einen Zeitraum von sieben bis zwölf Jahren. Die Kosten werden die bisherigen wie die neuen NATO-Mitglieder tragen müssen. Damit kommen auf die neuen Mitgliedstaaten, die bereits jetzt mit der Umgestaltung ihrer schwachen Wirtschafts-Systeme zu kämpfen haben, enorme Lasten zu. Statt für die Stabilisierung ihrer Wirtschaft und zur Konsolidierung des sozialen Sicherungs- und Bildungs-Systems müssen sie ihre spärlichen Mittel für neue Waffen ausgeben. Sie könnten gezwungen sein, einen Hauptfehler aus den Zeiten des Kalten Kriegs zu wiederholen und viel mehr Geld für Rüstung ausgeben, als sich ihre Wirtschaft leisten kann. So könnten die neuen Demokratien destabilisiert und extremistische Positionen gefördert werden.

Die Vereinigten Staaten von Amerika und einige europäische Länder verhandeln momentan über den Verkauf von Kampf-Flugzeugen an Kandidaten für den NATO-Beitritt. Dies offenbart die unterschwelligen Motive für die NATO-Osterweiterung, die nichts mit dem erklärten Anspruch der NATO zu tun haben, für Stabilität in der Region zu sorgen.

Eine nukleare Zukunft für Europa?


"Die Diskussion über die europäische nukleare Abschreckung wird zum Prüfstein beim Aufbau einer politischen Union Europa." (WEU-Versammlung, Dokument 1420 ,The role and future of nuclear weapons", 19. Mai 1994, S.35) Die Mitglieder der Europäischen Union entwickeln momentan ihre eigene Sicherheits- und Verteidigungs-Identität. Der Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag, Artikel J4) verpflichtet seine Mitglieder "auf längere Sicht [zur] Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungs-Politik [...], die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte". Die Gestaltung einer gemeinsamen Verteidigungs-Politik bedeutet unweigerlich, dass die Zukunft der britischen und französischen Atomwaffenarsenale auf die europäische Tagesordnung kommen wird. Auch wenn damit nicht in nächster Zeit zu rechnen ist, müssen sich die Mitglieder der Europäischen Union irgendwann doch entscheiden: Soll die Europäische Union Atomwaffen besitzen oder nicht? Die europäischen Regierungen haben vorsichtig damit begonnen, das politische Termin zu sondieren.

Frankreich und Deutschland haben bereits erklärt: "Unsere beiden Länder sind bereit, einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der europäischen Verteidigungs-Politik aufzunehmen." (Gemeinsames deutsch-französisches Sicherheits- und Verteidigungs-Konzept, Nürnberg, 9. Dezember 1996) Der frühere französische Premierminister Allein Joppe schlug eine "konzertierte" Abschreckung für Europa vor, in deren Zusammenhang Frankreich bereit wäre, darüber zu diskutieren, ob und wie es seine Atomwaffen im europäischen Kontext zur Verfügung stellen könnte.

Großbritannien und Frankreich haben 1992 die ,Französisch-britische Kommission für nukleare Politik" etabliert, die für die Intensivierung der technischen Zusammenarbeit sowie für politische Konsultationen zwischen den beiden Ländern genutzt wird.

Im Rahmen der Intensivierung der bilateralen Gespräche über die nukleare Verteidigung zwischen den drei großen europäischen Ländern könnten diese durchaus versuchen, hinter verschlossenen Türen einen Konsens über die künftige Rolle der britischen und französischen Atomwaffen im europäischen Sicherheits-Konzept zu erzielen.

Dennoch stießen die Versuche, die Entwicklung einer europäischen Verteidigung mitsamt einer nuklearen Komponente zu beschleunigen, auf ernsthaften Widerstand. Zum einen liegt es momentan nicht im Interesse traditionell neutraler Länder wie Österreich, Schweden und der Schweiz, kollektive Verteidigungs-Verpflichtungen einzugehen. Gerade erst hat auch die neu gewählte britische Regierung erklärt, dass sie einer gemeinsamen Verteidigungs-Politik der Europäischen Union nicht zustimmt. Zum zweiten ist ein Großteil der Öffentlichkeit in vielen Ländern gegen eine gemeinsame europäische atomare Abschreckung. Und schließlich würde die Herausbildung eines unabhängigen europäischen Nuklear-Potentials sehr wahrscheinlich die Bestimmungen der Artikel I und II des NVV verletzen, da sie schrittweise erfolgen und dabei Zwischenschritte nach dem Vorbild der nuklearen Teilhabe der NATO beinhalten würde, bevor Europa ein einheitlicher Staat wird. Jedenfalls in diesem Zusammenhang erhielten dann auch Nicht-Atomwaffen-Staaten eventuell eine Verfügungsgewalt über Atomwaffen.

Alternative Sicherheits-Strukturen für Europa


Es gilt, mehr Aufmerksamkeit auf die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheits-Politik für ganz Europa einschließlich der ost-europäischen Länder und Russlands zu legen. Diese muss anstatt auf Militär-Allianzen auf Konflikt-Prävention zielen. Die Untersuchung möglicher Konflikt-Ursachen und der Wege zur Erhöhung der Stabilität in Europa sollte in einem gemeinsam erarbeiteten Konzept einer gleich-berechtigten Sicherheits-Architektur auf Basis der Gleichberechtigung aller europäischen Länder münden.

Um dies zu erreichen, sollte eine demokratische Organisation unter wesentlicher Beteiligung von NROen allmählich das allgemeine Entscheidungs-Recht über Sicherheits-Fragen in Europa übernehmen. Als Kandidat für diese Rolle bietet sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. Sämtliche existierende Militär-Allianzen in Europa sollten sich schlussendlich auflösen, wenn das politische und zivile Sicherheits-Modell der OSZE, das im Dezember 1996 in Lissabon verabschiedet wurde, zur Umsetzung bereit ist, da sie dann überflüssig werden. Die Europäische Union, unter finanziellen und politischen Gesichts-Punkten die stärkste Teilorganisation in der OSZE, sollte die entstehende Gemeinsame Außen- und Sicherheits-Politik (GASP) dazu nutzen, die Fähigkeit der OSZE zur Krisen-Bewältigung und Stabilisierung als wichtigster Komponente der pan-europäischen Sicherheit zu stärken.

Ein besonders drängendes Problem ist die Konkurrenz der sicherheits-politischen Institutionen untereinander um schwindende Ressourcen, politische Mandate und Statusvorteile. Solange die meisten Finanzmittel für die militärischen Aspekte von Sicherheit, die nur dem Schutz der Interessen einiger weniger Mitgliedstaaten dienen, aufgesaugt werden, kann die OSZE ihr Ziel, Stabilität und Frieden in Europa zu gewähren, unmöglich erreichen. Darüber hinaus können sich zahlreiche Mitgliedstaaten einen angemesseneren und dringend benötigten Beitrag zur Finanzierung der OSZE nicht leisten, wenn sie ihre Finanzmittel statt dessen für die NATO-Osterweiterung aufwenden.

Intervention in einen Konflikt, der gewalttätig ausgetragen wird, ist zwangsläufig teurer als frühzeitige Mediation und Schlichtung, die außerdem versucht, die menschliche und soziale Tragödie eines Krieges zu verhindern. Die notwendige Abkehr von der Intervention und militärischen "Lösung" hin zur Konflikt-Prävention setzt voraus, dass das heutige Ungleichgewicht zwischen den Budgets der NATO und der OSZE drastisch korrigiert wird.

Bisherige Aktionen der OSZE haben bewiesen, dass die Mitgliedstaaten der OSZE durchaus in der Lage sind, ohne Hilfe der NATO den Ausbruch offener Konflikte zu verhindern und die Durchführung demokratischer Wahlen durchzusetzen. Dies wurde bereits in Tschetschenien und Albanien versucht, allerdings nur mit bescheidenem Erfolg. Rechtzeitiges Erkennen, rechtzeitiges Warnen, Verhandeln, Mediation, Konsultationen, Schlichtungen, Sanktionen und Folgemaßnahmen sind wichtige Komponenten eines OSZE-Mandats. Die Unterstützung von Nicht-Regierungs-Organisationen, die im Bereich der Friedens- und Konflikt-Forschung aktiv sind und auch vor Ort arbeiten (humanitäre oder medizinische Hilfe und insbesondere Frauengruppen), wären eine unschätzbare Hilfe, damit alle oben erwähnten Komponenten angemessen umgesetzt werden können.

Im Anhang des Schlussdokuments des Lissabonner Gipfeltreffens der OSZE wird betont, wie wichtig die Einrichtung "Atomwaffen-freier Zonen" im Bereich der OSZE als ein Schritt zur vollständigen nuklearen Abrüstung ist. Diese Aussage ist auch in der Stockholmer Erklärung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom Juli 1996 enthalten. Es muss unbedingt eine präzisere Strategie ausgearbeitet werden, mit der dieses Ziel erreicht werden kann.

Politisches Aktions-Programm

* Die Vereinigten Staaten von Amerika sollen sofort alle Atomwaffen von den Gebieten der Nicht-Atomwaffen-Staaten abziehen. Der Abzug wird durch Abkommen verbindlich geregelt.

* Zunächst sollen sämtliche Atomwaffen aus der Alarmbereitschaft genommen werden. Als Folgeschritt sollen die Gefechtsköpfe von den Trägersystemen getrennt, von den Lagerorten entfernt und in separaten, schon bestehenden und sicheren Depots unter internationaler Beobachtung (z.B. durch die OSZE) verwahrt werden.

* Als ein wichtiger Schritt zu einem atomwaffen-freien Europa sollen sich sämtliche Staaten in Mittel- und Osteuropa, in denen momentan keine Atomwaffen stationiert sind, zur atomwaffenfreien Zone erklären. Keines der Länder soll Schritte zur Vorbereitung oder zum Aufbau einer Infrastruktur unternehmen, die die Stationierung von Atomwaffen auf seinem Hoheitsgebiet ermöglicht.

* Alle europäischen Staaten sollen sofort entschiedene Schritte zur Umsetzung von Artikel VI des Nichtverbreitungs-Vertrags (NVV) sowie des Rechts-Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 8. Juli 1996 unternehmen und Verhandlungen über eine Nuklearwaffen-Konvention (NWK) zur weltweiten Abschaffung sämtlicher Atomwaffen beginnen. Die Bemühungen zur effektiven Durchsetzung der Biowaffenkonvention und der Chemiewaffen-Konvention sollen damit koordiniert und das internationale Kontroll-Regime für Trägersysteme verschärft werden.

* Die Mitgliedstaaten der Genfer Abrüstungs-Konferenz sollen nach kreativen Auswegen aus der Sackgasse suchen, in der die Verhandlungen über nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung gelandet sind.

* Auf keinen Fall dürfen Atomwaffen-Staaten weiterhin oder zum ersten Mal Nicht-Atomwaffen-Staaten einen "nuklearen Schutzschild" anbieten.

* Um sämtliche Zweifel an den rechtlichen Auswirkungen von Vorbehalten auszuräumen, die mehrere Staaten bei der Ratifizierung des NVV in den späten 60er und frühen 70er Jahren erklärt haben ("Europäische Option"), sollte der Vertrag über die Europäische Union um einen speziellen Satz ergänzt werden (z.B. Titel V, Artikel J.4, Absatz...), der folgendermaßen lauten könnte: "Gemäß den internationalen Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungs-Vertrag verzichtet die Union im Rahmen der gemeinsamen Verteidigungs-Politik auf die Produktion und den Besitz von Atomwaffen sowie auf jegliche Form direkter und indirekter Verfügungsgewalt über Atomwaffen". Wenn die Europäische Union dem NVV beitritt, sollte sie dies als Nicht-Atomwaffenstaat tun.

* Die militärische wie die zivile Produktion, Verarbeitung und Verwendung waffenfähiger Spaltmaterialien, einschließlich Tritium, soll einseitig oder durch einen internationalen Vertrag zum Verbot deren weiterer Herstellung beendet werden. Als erster Schritt kann Transparenz erreicht werden durch die Aufstellung eines vollständigen und ausführlichen Registers aller entsprechenden Materialien in der Vergangenheit und Gegenwart, das jährlich aktualisiert wird. Als nächster Schritt sollen die vorhandenen Bestände reduziert und eliminiert werden, wobei die Waffenstoffe aus den abgerüsteten Gefechtsköpfen einbezogen werden sollen. Der momentane Stillstand bei den Verhandlungen über einen Produktionsstopp atomwaffen-fähiger Materialien läßt sich nur überwinden, wenn die Maßnahmen zur Abrüstung und zur Nichtverbreitung miteinander gekoppelt werden.

* Die Obergrenzen für konventionelle Waffen im zu verhandelnden Nachfolge-Abkommen über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE II) sollen auf das für rein defensive Maßnahmen erforderliche Minimum heruntergesetzt werden. Bei der Festsetzung der Obergrenzen sollen nicht nur die Quantität sondern auch die technische Qualität der Waffen berücksichtigt werden. Der kommerzielle Handel mit Waffen soll kontrolliert und eingeschränkt werden, und für die Rüstungs-Industrie soll ein Konversionsprogramm aufgelegt werden.

* Die Mitgliedstaaten der OSZE sollen die Diskussion über das "Gemeinsame Sicherheits-Modell für das 21. Jahrhundert in Europa" konstruktiv und innovativ fortsetzen. Dem Sicherheits-Bedürfnis aller OSZE-Mitglieder-Gruppen muss, wie im Abschluss-Dokument des Lissabonner Gipfeltreffens festgelegt, in einem Rahmenwerk "gemeinsamer und kooperativer Sicherheit ohne Trennungslinien" genüge geleistet werden. Die Mitglieder sollen Schritte zur Stärkung der OSZE in politischer wie finanzieller Hinsicht ergreifen. Dies gilt vor allem für die Mitglieder der Europäischen Union im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheits-Politik.

* Die OSZE soll den Prozess der Entscheidungs-Findung durch die detaillierte Verbesserung des Moskauer Konsens-minus-eins-Verfahrens verbessern. Von entscheidender Bedeutung ist die Anerkennung des OSZE-Vergleichs- und Schieds-Gerichtshofs in Genf als obligatorische Entscheidungs-Instanz für Streitfälle durch alle Mitglieder (beispielsweise durch Rücknahme der Vorbehalts-Klausel). Die OSZE soll ihre Wirksamkeit durch Ausweitung des vorhandenen "Forums für Sicherheits-Kooperation" und des "Ökonomischen Forums" verbessern, insbesondere aber auch durch den Aufbau einer neuen Sanktionsinstanz, die fallweise die Effektivität von Sanktionen sowie deren Auswirkungen auf die Bevölkerung überprüft und einen Kodex aufstellt, der Sanktionen der humanitären und medizinischen Hilfe verbietet. Es soll ein Konzept zum Aufbau voll integrierter mobiler Polizeikräfte für die Friedens-Erhaltung erstellt werden, die in der Konfliktmoderation ausgebildet und zur Selbst-Verteidigung fähig sind. Es soll eine Initiative zur Weiterentwicklung des "Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte" zu einem Forum grenzüberschreitender Zusammenarbeit von NROen gestartet werden.

* Es soll ein Frühwarn-System zur Konflikt-Prävention eingeführt werden. Dieses soll von zivilen und lokalen Organisationen unterstützt werden, die bei der Aufdeckung von Brandherden helfen können, bevor es zum Konflikt kommt. Anerkannte Trainings-Methoden in Mediation sollen weitervermittelt und im Rahmen von Freiwilligen-Diensten aufgegriffen werden. Bürger in Ost- und Westeuropa sollen ein Bürgernetzwerk zur Überwachung aufbauen, das die Aktivitäten des Militärs im jeweiligen Land, insbesondere im Hinblick auf Atomwaffen, möglichst genau beobachtet.

* Erforderlich sind intensivere Diskussionen über die Konsequenzen, die aus jedem einzelnen Krieg oder Konflikt gezogen werden. Mediatoren sollen ermutigt werden, sich untereinander und mit NROen regelmäßig über ihre Erfahrung auszutauschen. Ein Netzwerk von Menschen, die in den Bereichen Konflikt-Prävention, humanitäre Hilfe und Forschung arbeiten, wird aufgebaut. Innerhalb der OSZE soll eine selbst-verwaltete NRO-Verbindungsstelle eingerichtet werden, die auf die Erfahrungen und Fähigkeiten von NROen im Bereich der Friedensarbeit baut und NROen bei der Einführung eines dezentral organisierten freiwilligen Zivilen Friedens-Dienstes (ZFD) sowie eines zivilen europäischen Jugendwerkes unterstützt.

* Die jährlichen Zuwendungen für die OSZE sollen ab 1998 wenigstens verdoppelt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob und wie die finanzielle Beteiligung an der Durchführung der einzelnen Friedens-Missionen steigt.

* Das "Forum für Sicherheitskooperation" der OSZE soll mit der Aufgabe betraut werden, einen umfassenden Abrüstungsvertrag (d.h. einen neuen Vertrag über Streitkräfte in Europa) auszuarbeiten mit dem Ziel, als einen Schritt zur weltweiten Abschaffung aller Atomwaffen die Einrichtung atomwaffen-freier Zonen auf dem Gebiet der OSZE-Staaten zu erreichen (ausgehend von Mittel- und Nordeuropa sowie Mittelasien). Außerdem sollen mit der Mongolei (die kein OSZE-Mitgliedsstaat aber erklärtermaßen atomwaffenfrei ist) Verhandlungen über die Einbeziehung in die beabsichtigte atomwaffen-freie Zone Mittelasien (Deklaration von Almaty) aufgenommen werden."



Das Manifest von 'Schlaining von NROen wurde von VertreterInnen der folgenden NROen auf der Konferenz "A Nuclear Weapons-Free Europe. Visions for non-nuclear European Security" auf Burg Schlaining, Österreich, vom 13. - 15. Juni 1997 unterzeichnet.

International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA)

International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES, INESAP)

Internationales Friedensbüro (IPB)

Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW)

Mouvement de la Paix / France

Friedenszentrum Burg Schlaining, Österreich

Woman's International League for Peace and Freedom (WILPF)