german foreign policy | 23.06.2017

Ungeachtet der gestrigen Verlängerung der EU-Russland-Sanktionen befindet sich das deutsche Russland-Geschäft erstmals seit Jahren in einem spürbaren Aufschwung. Wie aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, sind die deutschen Russland-Exporte im ersten Quartal 2017 um fast ein Drittel gestiegen; mit einem Jahreswachstum um mindestens zehn Prozent wird gerechnet. Gleichzeitig nehmen die Investitionen in Russland deutlich zu;

der Daimler-Konzern hat am Dienstag den Grundstein für ein etwa 250 Millionen Euro teures Werk in der Nähe von Moskau gelegt. Umgekehrt hat der russische Erdölkonzern Rosneft Investitionen in Höhe von 600 Millionen Euro in Deutschland angekündigt. Damit könnte der Konzern, der bereits jetzt ein Viertel der deutschen Rohölimporte stellt, seine Marktmacht in der Bundesrepublik weiter ausbauen. Unterdessen spitzt sich der Streit um die Pipeline Nord Stream 2, die die Ukraine weiter schwächen und ihr Transitgebühren im Wert von rund zwei Milliarden Euro jährlich nehmen würde, weiter zu - nicht zuletzt aufgrund neuer Sanktionspläne aus Washington.

Trendwende

Die Trendwende im Russlandgeschäft, die sich jetzt statistisch verifizieren lässt, hatten deutsche Wirtschaftskreise bereits Ende des vergangenen Jahres ausgemacht.[1] In der Tat war der Einbruch im deutschen Russlandexport bereits in der zweiten Jahreshälfte 2016 zum Stillstand gekommen; bei den deutschen Neuinvestitionen in Russland hatte es 2016 sogar schon einen Zuwachs um rund 170 Millionen Euro auf 1,95 Milliarden Euro gegeben. Wie aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamtes zeigen, sind die deutschen Ausfuhren nach Russland im ersten Quartal des laufenden Jahres um 32,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, und mit weiterem Wachstum wird gerechnet: "Für das Gesamtjahr 2017 erwarten wir einen Anstieg der deutschen Exporte nach Russland um mindestens zehn Prozent", sagt der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Wolfgang Büchele, voraus.[2] Russland entwickle sich "trotz der Sanktionen wieder zu einem Motor des deutschen Handels mit Osteuropa". Zudem nehmen die Investitionen in Russland auch im laufenden Jahr weiter zu. Im ersten Quartal 2017 habe der Investitionszufluss aus dem Ausland rund sieben Milliarden US-Dollar betragen, berichtete Präsident Wladimir Putin kürzlich: Das sei "der beste Wert der letzten drei Jahre".[3]

Neuinvestitionen

Vor diesem Hintergrund hat am Dienstag der Daimler-Konzern den Grundstein für ein Werk im Industriepark Jessipowo bei Moskau gelegt. Daimler hat für die Investition um die 250 Millionen Euro veranschlagt und will dort ab 2019 Limousinen der E-Klasse sowie SUV-Geländewagen herstellen; die Produktionskapazität soll sich auf bis zu 25.000 Fahrzeuge pro Jahr belaufen. Zwar ist der russische Kraftfahrzeugmarkt von 2,9 Millionen verkauften Neuwagen 2012 auf nur 1,4 Millionen im Jahr 2016 eingebrochen; doch wächst er inzwischen wieder und hat in diesem Jahr laut Angaben der in Moskau ansässigen Association of European Business (AEB) bereits um fünf Prozent zugenommen. Hinzu kommt, dass Moskau die Autoproduktion für den Export erheblich steigern will. Die Pläne werden durch den schwachen Rubel begünstigt; zudem hat das Industrie- und Handelsministerium eine Exportprämie angekündigt, um die Ausfuhr weiter zu befeuern. Der Export soll vor allem die Nachfrage in Zentralasien, dem Kaukasus, Iran und der arabischen Welt bedienen und sich von einem Volumen von 2,14 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf einen Wert von mindestens 4,4 Milliarden Euro erhöhen; nach Möglichkeit wird sogar ein Volumen von sieben Milliarden Euro angestrebt.[4] Mit Blick auf die neuen Chancen hat zuletzt Volkswagen seine Aktivitäten in Russland intensiviert.

Russische Marktmacht

Parallel zum Anstieg der deutschen Investitionen in Russland weiten auch russische Unternehmen ihre Aktivitäten in der Bundesrepublik wieder aus. So hat Rosneft, der weltgrößte börsennotierte Erdölkonzern, der zu 50 Prozent dem russischen Staat gehört, Mitte Mai eine Niederlassung in Berlin eröffnet - und dabei angekündigt, innerhalb von fünf Jahren rund 600 Millionen Euro in der Bundesrepublik zu investieren. Unter anderem will Rosneft die Raffinerien Miro in Karlsruhe und Bayernöl in Vohburg/Neuhaus, an denen es 24 respektive 25 Prozent hält, an seine Druschba-Pipeline anschließen.[5] Der Plan ruft deshalb größere Aufmerksamkeit hervor, weil die zwei Raffinerien bisher von einer Pipeline versorgt werden, die - aus Triest kommend - die Alpen quert und Öl insbesondere aus Nordafrika transportiert. Gelänge es Rosneft, das bereits die Raffinerie PCK im brandenburgischen Schwedt über die Druschba-Röhre beliefert, auch Miro und Bayernöl an sein Netz anzuschließen, dann nähme Russlands Einfluss auf die deutsche Energieversorung weiter zu. Schon jetzt ist Rosneft der drittgrößte Konzern in der deutschen Mineralölverarbeitung, kontrolliert zwölf Prozent der deutschen Verarbeitungskapazitäten und stellt rund ein Viertel der deutschen Ölimporte.[6]

Deutsche Marktmacht

Unterdessen gewinnt der Streit um die Pipeline Nord Stream 2 neue Schärfe. Die Vorbereitungen für den Bau der Röhre sind in vollem Gange; der Betrieb soll bereits 2019 aufgenommen werden. Das Vorhaben gilt als besonders brisant, weil es die Erdgasleitungen, die aus Russland über ukrainisches Territorium in die Bundesrepublik führen, entwerten würde; Kiew verlöre damit den Einfluss auf den Erdgastransport sowie die Transiteinnahmen, die mit rund zwei Milliarden Euro beziffert werden. Entsprechend machen mehrere EU-Mitglieder, insbesondere Polen und die baltischen Staaten, heftig gegen Nord Stream 2 mobil. Die EU-Kommission will nun mit Moskau über das Projekt verhandeln, das führend von deutschen Energiekonzernen vorangetrieben sowie von der Bundesregierung unterstützt wird - es würde Deutschland zum Hauptverteiler russischen Erdgases in Europa aufwerten und damit ein weiteres Stück Macht in Berlin konzentrieren.[7]

Transatlantischer Konflikt

Parallel zum Streit in der EU nehmen die Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Washington um Nord Stream 2 weiter zu. Die neuen Russlandsanktionen, die der US-Senat soeben beschlossen hat und die nun noch vom Repräsentantenhaus bestätigt werden müssen, bedrohen tendenziell alle deutschen Unternehmen, die am Bau oder an der Finanzierung der Röhre beteiligt sind. Zugleich befeuern sie diejenigen EU-Staaten, die sich der Pipeline widersetzen. Darüber hinaus erfolgen sie zu ebenjenem Zeitpunkt, zu dem sich die russische Wirtschaft wie auch die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ansatzweise zu erholen beginnen. Berlin hat massiv gegen die Sanktionen protestiert und bereits Gegenmaßnahmen angekündigt (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Die Weiterentwicklung des Machtkampfs ist offen.

Mehr zum Thema: Die Sanktionsdebatte.

[1] S. dazu Trendwende im Russlandgeschäft.
[2] Deutscher Osthandel startet mit viel Schwung ins Jahr 2017. www.ost-ausschuss.de 24.05.2017.
[3] Kira Kalinina: Rekordverdächtig: Ausländische Investoren strömen nach Russland. www.rbth.com 05.06.2017.
[4] Anna Tretjak: Rekordtief überwinden: Russland will Autoexport verdreifachen. www.rbth.com 20.06.2017.
[5], [6] Daniel Wetzel: Putins Öl-Gigant macht sich in Deutschland breit. www.welt.de 19.05.2017.
[7] S. dazu Die Umgehung der Ukraine.
[8] S. dazu Drei Fronten.