Knuth Mellenthin in junge Welt, Mittwoch 1. Oktober 2014

Der Verbleib von mindestens 12 000 NATO-Soldaten in Afghanistan ist gesichert. Entsprechende Vereinbarungen wurden am Dienstag in Kabul unterzeichnet. Auf das zentrale Sicherheits- und Verteidigungsabkommen hatten sich die USA und Afghanistan schon am 20. November vorigen Jahres geeinigt. Es konnte aber bisher nicht in Kraft treten, weil Präsident Hamid Karsai seine Unterschrift verweigerte.

Er verlangte vergeblich Zusicherungen Washingtons, daß die US-Streitkräfte künftig auf Militäraktionen gegen die Zivilbevölkerung verzichten. Mit der am Montag erfolgten Vereidigung von Karsais Nachfolger scheint das Problem aus der Welt geschafft. Unklar war am Dienstag, was genau in den getrennten Vereinbarungen Kabuls mit den USA und der NATO steht. In der im November 2013 veröffentlichten Fassung des Sicherheits- und Verteidigungsabkommens war nicht festgelegt worden, wie viele amerikanische Soldaten über Ende 2014 hinaus im Land bleiben sollen. Es war auch kein Zeitpunkt für einen vollständigen Abzug genannt. Das Abkommen gilt bis mindestens 2024.

Auf die jetzt genannte Zahl von 9 800 US-Soldaten legte sich USPräsident Barack Obama erst am 27. Mai fest. Gleichzeitig kündigte er an, daß diese Personalstärke Ende 2015 ungefähr halbiert würde und daß ab Ende 2016 nur noch die zum Schutz der Botschaft erforderliche Soldatenzahl in Kabul bleiben solle. Aus den ersten Meldungen am Dienstag ging jedoch nicht hervor, ob dieser Zeitplan jetzt wirklich vertraglich fixiert wurde oder nur eine unverbindliche Absichtserklärung des US-Präsidenten ist. Im November 2013 war davon ausgegangen worden, daß diese Einzelheiten in einem noch auszuhandelnden »Status of Force Agreement« zwischen Washington und Kabul geregelt werden würden. Ein solches Abkommen haben die NATO und die afghanische Regierung am Dienstag unterzeichnet. Es sieht vor, daß neben den US-Truppen auch 2 000 bis 3 000 Soldaten aus anderen Ländern der Allianz im Land bleiben sollen. Deutschland will sich mit etwa 800 Mann beteiligen.

Angeblich will sich die NATO künftig auf »Ausbilden, Beraten und Unterstützen« beschränken. Die USA haben sich aber darüber hinaus im Sicherheits- und Verteidigungsabkommen das Recht gesichert, unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung auch künftig selbständig militärische Operationen durchführen zu dürfen. Außerdem überläßt Kabul den US-Streitkräften die wichtigsten Militärbasen des Landes zur kostenlosen Nutzung. Darunter sind die großen Luftstützpunkte in Bagram und Kandahar. Einige der Anlagen stehen den USA sogar zur exklusiven Verfügung.

Ein dauernder Streitpunkt mit Karsai ist nun im Sinne der USA und ihrer Verbündeten entschieden: Die in Afghanistan stationierten NATO-Soldaten können auch künftig, wie bisher schon, für dort begangene Verbrechen nicht von afghanischen Gerichten belangt werden.