Rebellen wollen Öl exportieren. Regierung droht mit Tankerversenkung.

Kurt Mellenthin in "junge Welt" vom 10.03.2014

Während in Libyen die Auflösung des Staatsverbands voranschreitet, spitzt sich der Streit um die Erdölvorkommen, den einzigen Reichtum des Landes, zu. Am Sonnabend haben Milizen, die einen Großteil des libyschen Ostens kontrollieren, in Sidra zum ersten Mal einen ausländischen Tanker beladen, um Öl auf eigene Rechnung zu exportieren.

Ministerpräsident Ali ­Seidan hat angedroht, er werde das Schiff beschießen und bombardieren lassen, falls es die Gewässer Libyens verläßt, ohne den Anweisungen seiner Marine zu folgen.

Über die Folgen ist sich Seidan offenbar im klaren: Ein Angriff würde eine Umweltkatastrophe verursachen, sagte er ausdrücklich. Allerdings besteht Hoffnung, daß doch nicht so schnell geschossen wird. Seidan beklagte sich zugleich, daß er den Stabschef seiner Streitkräfte bereits vergeblich aufgefordert habe, etwas zu unternehmen, aber daß dieser nichts getan habe. Die New York Times zitierte am Sonnabend einen Experten namens Geoff Porter, der Seidans Drohung als »Unsinn« bezeichnet habe. »Das ist nicht einmal ein Säbelrasseln«, habe der als Berater für Ölfirmen tätige Porter gesagt. »Seidans Schwertscheide ist leer.«

Ganz leer aber doch nicht: Das jetzt in Sidra liegende Schiff, die »Morning Glory«, hatte zuvor am Dienstag schon einmal vergeblich versucht, den Hafen anzulaufen, mußte aber abdrehen, weil es von einem Kriegsschiff beschossen wurde. Das gleiche war einen Tag zuvor einem unter der Flagge Maltas fahrenden Tanker passiert. Dessen Besitzer haben offiziell Beschwerde eingelegt, weil das Schiff widerrechtlich in internationalen Gewässern angegriffen worden sei.

Die »Morning Glory«, die nun zum ersten Frachter werden könnte, der die Blockade erfolgreich durchbricht, fährt unter der Flagge der Demokratischen Volksrepublik Korea. Allerdings glaubt kaum jemand, daß es wirklich ein nordkoreanisches Schiff ist. Vielmehr wird allgemein angenommen, daß es sich nur um eine Billigbeflaggung handelt. Wem der Tanker gehört, und für wen das Öl bestimmt ist, gilt immer noch als unbekannt. Ein richtungsweisender Hinweis könnte sein, daß die »Morning Glory« früher im Besitz einer saudischen Firma war.

Milizen und politische Kräfte im Ostteil Libyens haben im Oktober vorigen Jahres einen autonomen Staat mit dem Namen Barqa ausgerufen und eine eigene Regierung gebildet. An deren Spitze steht mit dem Titel eines Premierministers Abd-Rabbo Al-Barassi. Die eigentliche Macht scheint jedoch beim Milizenführer Ibrahim Jathran zu liegen. Er leitete vor dem von der NATO herbeigebombten Sturz Muhammar Al-Ghaddafis einen Sicherheitsdienst, der für den Schutz der Ölquellen zuständig war. Außer Sidra kontrollieren die Separatisten von Barqa auch die Häfen Ras Lanuf und Sueitina. Ihre Ausfuhrkapazität liegt westlichen Medien zufolge bei zusammengerechnet 600000 Barrel pro Tag (bpd). Libyen hat »in normalen Zeiten« etwa 1,4 Millionen Barrel pro Tag exportiert. Zum Vergleich: Irans Ölausfuhr liegt nach zwei Jahren schwerster Sanktionen im Durchschnitt bei knapp über einer Million bpd.

Wieviel Öl Libyen zur Zeit noch verschifft, scheint schwer zu ermitteln. Nachdem Milizen im vorigen Jahr nicht nur mehrere Häfen, sondern auch wichtige Ölvorkommen besetzten, sank die libysche Ausfuhr zeitweise bis auf unter 100000 bpd ab. Im Oktober 2013 gab Seidan die dadurch entstandenen Verluste mit 4,89 Milliarden Dollar an.

Wenn den Autonomisten von Barqa jetzt erstmals ein selbständiger Ölverkauf gelänge, hätte das im wesentlichen symbolische Bedeutung. Zumindest vorläufig erklären die Rebellen offiziell, daß sie nicht die Loslösung von Libyen anstreben, sondern lediglich eine gerechtere Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Aus ihrer Sicht wurde der Ostteil des Landes, wo die meisten Vorkommen liegen, bisher wirtschaftlich vernachlässigt.