Schutz der Zivilbevölkerung erfordert Waffenstillstand. Die Deutsche IALANA richtet sich in einem dringenden Appell an die Bundesregierung, sich für eine sofortige Beendigung der Bombardierung Libyens einzusetzen. Der Angriff mit  Marschflugkörpern und die Bombardierung durch Tarnkappenbomber und Jagdflugzeuge provoziert Opfer unter der Zivilbevölkerung, die durch Sanktionen gegen die Regierung Gaddafi gerade verhindert werden sollten.

Es erscheint auch höchst zweifelhaft, ob die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats mit der UN-Charta vereinbar ist, soweit darin für ein militärisches Eingreifen grünes Licht gegeben wurde.

Hierzu ist zunächst daran zu erinnern, dass  das Verhältnis der Staatengemeinschaft zu einzelnen Staaten wie das Verhältnis zwischen den Staaten durch den Grundsatz der souveränen Gleichheit nach Art.2 Ziffer 1 und durch das in Art. 2 Ziffer 3 der UN-Charta normierte Gewaltverbot bestimmt wird. Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta, insbesondere in ihrer schärfsten Form von militärischen Sanktionen nach Art 42 UN-Charta setzen die Feststellung einer Friedensgefährdung nach Art. 39 der Charta voraus. Der Sicherheitsrat hat in der Resolution vom 17. März die Formulierung verwendet:

…feststellend, dass die Situation in der Libysch-Arabischen Dschamahirija auch weiterhin eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt,…

Nähere Ausführungen zur Begründung finden sich an dieser Stelle nicht. Ohne Zweifel liegt kein Friedensbruch durch die Libysche Regierung in Form eines Angriffs gegen einen anderen Staat vor. Auch eine Aggression gegen einen „de facto“-Staat auf libyschem Territorium ist nicht gegeben. Hierzu müsste die Oppositionsbewegung  und der von ihr gebildete Nationalrat eine dauerhafte faktische Herrschaft über einen Teil des libyschen Territoriums im Sinne eines abgetrennten Separatstaats errichtet haben. Der Nationalrat hat aber gerade mehrfach versichert, dass die Bildung eines Separatstaats in der Cyrenaika für ihn nicht in Betracht komme; Ziel sei die Verdrängung Gaddafis von der Macht und die Eroberung der Herrschaft über ganz Libyen.

Es handelt sich somit um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, einen Bürgerkrieg. Es ist aber ein feststehender Grundsatz, abgeleitet aus der Achtung der nationalen Souveränität der Staaten und dem Gewaltverbot sowie dem Gebot der Neutralität, dass Dritte sich nicht in Bürgerkriege zugunsten einer der Konfliktparteien einmischen dürfen. Dies hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag in seiner Nicaragua- Entscheidung vom 27.Juni 1986 ausdrücklich klargestellt.

Soweit die Intervention auf humanitäre Gründe gestützt wird, gilt folgendes: Zwar kann die Verletzung der Völkermord-Konvention zur Feststellung eins Friedensbruchs und militärischen Zwangsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat führen. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Gaddafi-Regime wie etwa in Ruanda systematisch Teile der Bevölkerung aus ethnischen Gründen oder Gründen der Stammeszugehörigkeit vernichten lässt.

Allerdings haben beide Bürgerkriegsparteien  bei ihren bewaffneten Aktionen die Regeln des humanitären Völkerrechts einzuhalten. Hierzu gehört der allgemeine Grundsatz des Völkerrechts, wonach es verboten ist, Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche zu führen. Dieser Grundsatz ist in Art 51 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte normiert und auch von Bürgerkriegsparteien zu beachten.

Danach sind unterschiedslose Angriffe, die sich nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel richten, verboten, Art. 51 Abs.4a) 1. Zusatzprotokoll, ebenso solche, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung,  die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartiger Folgen zusammen verursachen, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, Art. 51 Abs. 5b) 1. Zusatzprotokoll.

Diesbezüglich hält sich der Sicherheitsrat in seinem Beschluss etwas bedeckt, soweit er in seinen Eingangsformulierungen feststellt, er handele in der Erwägung, dass die in Libyen stattfindenden Angriffe auf die Zivilbevölkerung „möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“.

In der Tat stellt sich die Faktenlage insofern bis jetzt äußerst ungesichert dar. Es ist Sache des bereits angerufenen Internationalen Strafgerichtshofs, die Fakten zu ermitteln und strafrechtlich zu bewerten. Jedenfalls besteht bis jetzt weder im kodifizierten Völkerrecht noch im Völkergewohnheitsrecht ein Grundsatz, der es erlaubt, militärische Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Verletzung von Verstößen gegen Art 51 des Zusatzprotokolls zu unterbinden. Der Sicherheitsrat beschreitet damit Neuland und dieser Schritt ist von den geltenden völkerrechtlichen Regeln nicht gedeckt.

Hinzu kommt, dass nach Artikel 42 UN-Charta  die Verhängung militärischer Sanktionen nur erlaubt ist, wenn Sanktionen ohne Gewaltanwendung nach Art. 41 der Charta unzulänglich sein würden oder sich bereits als unzulänglich erwiesen haben. Auch dies ist fragwürdig. Zu Recht wies Außenminister Westerwelle nach Beginn der Angriffe darauf hin, dass nun zunächst ein Handelsembargo für libysches Erdöl und Erdgas verhängt werden solle und er dies als Hauptaufgabe der EU ansehe.  Die Verstopfung  jeder Einnahmequelle wäre nach dem Einfrieren aller Auslandskonten ein zunächst zu erprobendes Mittel gewesen, den Gaddafi-Clan zum Einlenken zu bewegen. Auch das wesentlich mächtigere  Apardheit-Regime in Südafrika ist schließlich auf Grund von Wirtschaftssanktionen und Isolation zur Aufgabe gezwungen worden.

Es ist auch widersprüchlich, wenn die Bundesregierung sich einerseits bei der Abstimmung über die Resolution 1973/2011 des UN-Sicherheitsrats der Stimme enthält, andererseits aber erklärt,  sie halte alle darin formulierten Ziele für richtig und den USA erlaubt, den Krieg von Stuttgart aus zu leiten. Dies widerspricht der Verpflichtung, die Deutschland in dem 2+4 Vertrag von 1990 eingegangen ist, wonach von deutschem Boden nur Frieden ausgehen darf.

Der massive militärische Einsatz ist auch politisch kontraproduktiv. Er verschafft den Oppositionskräften im Osten des Landes möglicherweise eine Atempause, birgt jedoch das große Risiko in sich, dass die Mehrheit der Menschen im Land sich in der Stunde des Angriffs von außen um den Gaddafi-Clan scharen wird. Damit werden die Kräfte in Libyen, die für einen politischen Wechsel kämpfen, geschwächt. Geschwächt werden auch die Oppositionskräfte im arabischen Raum insgesamt, denn ihnen wird spätestens ab jetzt vorgehalten werden, sie stünden mit den USA, Großbritannien und Frankreich im Bündnis und betrieben deren Geschäft.

Schließlich mangelt es der Militäraktion auch an Glaubwürdigkeit, weil mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Oppositionskräfte im Jemen und in Bahrein, die von ihren Despoten niedergeschossen werden, erhalten keine vergleichbare Unterstützung. Im Gegenteil wird sogar die Waffenhilfe von Katar in Anspruch genommen. Der dort herrschende Emir Hamed al Chalifa vereinigt als absoluter Monarch Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung in einer Person. Parteien und ein Parlament gibt es in seinem Land nicht. Die demokratischen Rechte und Freiheiten, für die die Menschen in Libyen ihr Leben riskieren, enthält er seinen eigenen Bürgern vor.

Erforderlich ist daher ein sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen aller Konfliktparteien über eine friedliche Lösung für die Zukunft Libyens.