Ein Vortrag des Vorstandsmitglieds der IALANA aus März 2012 zum iranischen Atomprogramm

Seit Oktober 2011 diskutiert Israel offen einen möglichen Angriff auf iranische Atomanlagen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak versuchen laut Presseberichten im israelischen Kabinett Zustimmung für ein militärisches Vorgehen zu gewinnen.1 Grundlage ist die Befürchtung, Iran könnte in nächster Zeit zum Bau von Atomwaffen in der Lage sein. Die Drohungen aus Israel sind ernst zu nehmen. Denn die israelische Luftwaffe hat bereits in zwei Fällen eigenmächtig Atomanlagen in Nachbarstaaten bombardiert und zerstört: 1981 den von Franzosen gebauten irakischen Reaktor in der Nähe von Bagdad und 2007 eine syrische Atomanlage. Der nächste Angriff könnte einen Flächenbrand auslösen.

Für das Verständnis der Zuspitzung des Konfliktes ist ein kurzer Blick auf die lange Geschichte der Einmischung des Westens in die inneren Angelegenheiten Irans hilfreich.2 Es ging vor allem um die persischen Bodenschätze, für die zunächst 1872 die Briten und 1900 die Russen Konzessionen und Zollrechte erhielten. 1953 kam die USA dazu, mit deren Hilfe dem persischen Militär ein Staatsstreich gegen die demokratische Mossadeq-Regierung gelang. Diese hatte zuvor die Erdölindustrie Irans verstaatlicht.
Der Schah schloss Militärabkommen mit den USA. Seine gescheiterte Bodenreform führte zur Verarmung und zur Abhängigkeit vor allem von us-amerikanischen Lebensmittelkonzernen. Unter der Führung des Ayatollahs Khomeini kam es schon 1963 zu Massenaufständen und schließlich 1978 zur islamischen Revolution. Im März 1979 wurde die islamische Republik gegründet, deren erster Akt die Verstaatlichung der Erdölindustrie war. Die USA betrachtet die islamische Revolution als Affront gegen ihre globale Vormachtstellung und ihre Interessen in der Golfregion. Ein Regimewechsel im Iran zählt zu ihren erklärten Zielen.

I.    Die IAEO

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO, englisch „International Atomic Energy Agency“ - IAEA) wurde 1957 zur Förderung der friedlichen Nutzung von Kernenergie von einer Allianz von Staaten gegründet.3 Vorausgegangen war eine „Atoms for Peace“-Werbekampagne, die US-Präsident Dwight Eisenhauer mit einer Ansprache im Jahre 1953 ins Leben gerufen hatte.

Haupttätigkeitsfeld der IAEO wurde die Forschung, Entwicklung und die praktische Anwendung sowie die Vermittlung von Kenntnissen und Materialien zur friedlichen Nutzung der Atomenergie unter Bedingungen, die eine weitere Verbreitung von Kernwaffen ausschließen sollten.4 Vermutlich war den Gründern der IAEO die Widersprüchlichkeit der Aufgaben nicht bewusst.

Durch den Nichtverbreitungsvertrag (auch Atomwaffensperrvertrag, engl. Non-Proliferation-Treaty – NPT) vom 1.7.1968 erhielt die IAEO wichtige Kontrollbefugnisse über die nuklearen Aktivitäten der Vertragsstaaten. Die IAEO hat de facto den Status einer Sonderorganisation der UN, obwohl das Abkommen nicht nach Maßgabe von Art. 57, 63 UN-Charta geschlossen wurde.5 Die IAEO übersendet der UN-Generalversammlung die jährlichen Tätigkeitsberichte und ist dem Sicherheitsrat unmittelbar zugeordnet.6 Organe der IAEO sind der Gouverneursrat, dem 35 Mitglieder angehören (22 gewählt, 13 entsandt von den in der Atomtechnik am meisten fortgeschrittenen Staaten), die Generalkonferenz, der jedes Mitglied angehört, und das Sekretariat mit dem Generaldirektor. Die IAEO hat inzwischen 152 Mitgliedstaaten.

Nach dem NPT ist es Aufgabe der IAEO, durch die Vereinbarung von Sicherungsmaßnahmen (safeguards) mit allen Nichtatomwaffenstaaten sicherzustellen, dass aus deklarierten Nuklearaktivitäten kein spaltbares Material für die Herstellung von Atomwaffen abgezweigt wird. Der gesamte Spaltstofffluss in den Mitgliedsstaaten wird den IAEO-Kontrollen unterworfen.

Nur die Nichtatomwaffenstaaten unter den NPT-Mitgliedstaaten sind nach Art. III NPT zum Abschluss von Safeguard-Abkommen mit der IAEO verpflichtet. Diese Abkommen berechtigen die IAEO zur Kontrolle von Nuklearanlagen, zu der Überprüfung von technischen Sicherungsanlagen und der Überprüfung von Büchern und Berichten über den Brennkreislauf in den Nuklearanlagen. Die Safeguard-Abkommen regeln Aufzeichnungs- und Berichtspflichten der Staaten gegenüber der IAEO. Jedoch sind die Überwachungs- und Inspektionsrechte der IAEO sehr schwach: So dürfen die Inspektionen nur an vorher festgelegten Orten und grundsätzlich nur nach Vorankündigung durchgeführt werden. Nur der ordnungsgemäße Gebrauch friedlicher Nutzung wird überwacht. Konkreten Hinweisen auf eine militärische Nutzung kann die IAEO nicht nachgehen. Denn bis 1997 konnte die IAEO nur den Spaltstoffkreislauf der Mitgliedstaaten inspizieren. Atomtechnologien, die eine selbständige Herstellung von Spaltstoffen ermöglichten, wurden nicht erfasst.

US-amerikanischen Politikern reichten die Überwachungsmöglichkeiten des NPT und der IAEO nicht aus, um Atomwaffenprogramme zu entdecken und zu verhindern. Zwei informelle Foren ergriffen deswegen zusätzliche Maßnahmen:

1) 1971 beschloss das „Zangger Komitee“, alljährlich die Liste der Güter zu ergänzen, die unter Sicherheitsmaßnahmen der IAEO fallen sollen.7 Es bestand aus zunächst 15 Staaten und umfasst inzwischen 37 Staaten.8
2) Unter der Führung der USA verabschiedete eine Reihe von Nukleartechnologie exportierender Staaten (NSG) 1977 Richtlinien für den Export von sensitiver Nukleartechnologie, insbesondere von „dual use“-Technologien. Diese sollten für alle Staaten gelten, unabhängig von der Mitgliedschaft zum NPT.
Beide Gremien bemühten sich um die nähere Bezeichnung von nuklearen Materialien und Anlagen, die nur exportiert werden dürfen, wenn sie im Empfängerland von der IAEO überwacht werden. Sichergestellt werden sollte, dass exportierte Technologien im Exportland nicht zur Herstellung von Atomwaffen verwendet werden.9
Die Gruppe der NSG-Länder verweigerte dabei vor allem einer kleinen Gruppe von Staaten – den sogenannten „Schukenstaaten Irak, Iran, Libyen und Nordkorea“ – die nukleare Zusammenarbeit, obwohl die IAEO diesen keine NPT-Vertragsverletzungen nachweisen konnte. Die NSG-Staaten trauten den US-Behörden offensichtlich eine zuverlässigere Einschätzung der Proliferationsrisiken im Iran zu als der IAEO.

Auch die IAEO musste feststellen, dass wegen des Zielkonflikts zwischen Kontrolle und Sicherheit einerseits und der souveränen atomwirtschaftlichen Entwicklung der Staaten andererseits die Safeguard-Abkommen mögliche Atomwaffenprogramme der Mitgliedsstaaten nicht in allen Fällen verhindern können.
Um das Kontrollsystem zu stärken, verabschiedete der IAEO-Gouverneursrat 1997 ein Modell-Zusatzprotokoll. Dieses ermöglicht der IAEO, durch zusätzliche Informationspflichten der Staaten und durch eigene Kontrollmaßnahmen
- zu klären, ob es in einem Mitgliedsstaat Hinweise auf nicht deklarierte nukleare Aktivitäten gibt, und
- damit festzustellen, dass das gesamte Nuklearmaterial ausschließlich friedlichen Zwecken dient.10
Eingeführt wurde insbesondere das Recht der unangemeldeten Kontrolle der Atomanlagen. 139 Staaten unterzeichneten das Zusatzabkommen bis zum März 2011. In Kraft ist es inzwischen in 107 Staaten.11

Die Mitgliedsstaaten der EU und die Europäische Atomgemeinschaft Euratom haben 1978 in Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. III NPT mit der IAEO Übereinkommen über die Anwendung von Sicherheitsmaßnahmen getroffen, die zusammen mit Euratom überwacht werden.12 Diese sind 2005 aktualisiert worden.13

Die Atomwaffenstaaten des NPT unterliegen den Safeguard-Verpflichtungen grundsätzlich nicht. Jedoch haben die beiden Atomwaffenstaaten in der EU (Frankreich und Großbritannien) die IAEO-Kontrollen auf freiwilliger Basis in leicht reduziertem Umfang angenommen und getrennte Abkommen für das Zusatzprotokoll abgeschlossen.

Sanktionen bei Verstößen sehen der NPT und das IAEO-Regime nicht vor.14 Diese kann nur der UN-Sicherheitsrat unter den Voraussetzungen von Kapitel VII UN-Charta beschließen.

Die der IAEO durch den NPT gestellte Doppelaufgabe, einerseits wirksame Kontrollen der nuklearen Aktivitäten der Nicht-Atomwaffenstaaten durchzuführen (Art. III NPT), gleichzeitig aber die sog. zivile Nutzung der Atomenergie durch die Vertragsstaaten weltweit zu fördern (Art. IV und V NPT), steht auf Dauer dem zentralen Ziel entgegen, eine Weiterverbreitung von Atomwaffen wirksam zu verhindern (Art. I und II NPT) und eine vollständige Abschaffung aller Atomwaffen unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu erreichen (Art. VI NPT).
Denn die von vielen Staaten praktizierte sog. zivile Nutzung der Atomenergie bleibt letztlich das größte Hindernis für die globale Reduzierung und Abschaffung der Atomwaffen und für eine wirksame Kontrolle. Bei Abschluss des NPT sind die damit verbundenen Gefahren nicht erkannt worden, so dass die Förderung der sog. zivilen Nutzung der Atomenergie allen Vertragsstaaten in Art. IV und V NPT gewährleistet worden ist. Zwar ist kein Staat verpflichtet, diesen gefährlichen Weg zu beschreiten. Jedoch besitzt jeder Staat, der die Atomenergie in Nuklearanlagen zivil nutzt, objektiv auch das Potenzial zur Entwicklung waffenfähigen nuklearen Spaltstoffes. Das gilt nicht nur für Iran, sondern für alle Staaten, die Atomkraftwerke und Urananreicherungsanlagen betreiben, auch für Deutschland.

Der NPT erlaubt und fördert grundsätzlich alle Maßnahmen zur Entwicklung und Förderung eines zivilen Brennkreislaufs, auch die Anreicherung atomarer Brennstoffe. Wegen der „dual use“-Technologie, durch die erst in einer späten Phase der Entwicklung und Produktion zu erkennen ist, ob eine zivile oder militärische Nutzung angestrebt wird, müsste eine erfolgversprechende Überwachung ziviler Atomprogramme vor allem bei den Absichten und Zielvorstellungen der Verantwortlichen ansetzen, um früh Atomwaffenprogramme entdecken zu können. Hier aber stößt Kontrolle an ihre Grenzen. Verdächtigungen und ungeklärte Zweifel laden zum Missbrauch für politische Zwecke ein.

II.  Atomwaffenprogramm Irans?

Iran ist einer der ersten Unterzeichnerstaaten des NPT. Im Rahmen eines 1957 zwischen USA und Iran geschlossenen Kooperationsabkommens lieferte die USA bereits 1967 einen Forschungsreaktor und weitere Atomtechnologie.15 Mit deutscher Hilfe (einer Siemens-Tochter) wurden 1974 bei Bushehr zwei Reaktoren gebaut. Den Reaktorbrennstoff sollten die USA, Deutschland und Frankreich liefern.

1974 ratifizierte Iran das 1973 mit der IAEO abgeschlossene Safeguard-Abkommen. Nach der islamischen Revolution kam es 1979 zu einem weitgehenden Stillstand des iranischen Atomprogramms. Dieses wurde erst Mitte der 80-er Jahre wieder aufgenommen.

Ein Atomwaffenprogramm gab es im Iran16 laut Mohssen Masserrat bereits seit den 60-er Jahren. Dabei ist ungeklärt, ob Iran möglicherweise nur den Aufbau der nötigen Infrastruktur für den Bau von Atombomben plante und den Bau selbst zunächst zurückstellte. Das während der iranischen Revolution vorübergehend ausgesetzte Atomwaffenprogramm soll erst 1995 wieder fortgesetzt worden sein.17 Auf ein jedenfalls bis zum Oktober 2003 betriebenes Atomwaffenprogramm weisen auch zahlreiche verdächtige Aktivitäten hin, die Iran der IAEO nicht meldete und nicht überwachen ließ:18
Im Nukleartechnologiezentrum Isfahan produzierte Iran zwischen 1988 und 1992 Targets aus Uran-Oxyd und bestrahlte sie im Forschungsreaktor in Teheran, wobei 0,2 Milligramm Plutonium abgetrennt wurden.
1991 importierte Iran Natur-Uran und verarbeitete es.
1993 importierte Iran Uran-Metall und reicherte es in der Laseranreicherungsanlage in Lashkar an.
In der „Kala Electric Company“ in Abali bei Teheran wurden aus Pakistan importierte Zentrifugen installiert und zwischen 1999 und 2002 zu Testzwecken importiertes Uranhexafluorid angereichert.
Auch in Natanz reicherte er ab 2000 in Zentrifugen Uranhexafluorid an, was im Februar 2003 entdeckt wurde.
In Lashkar Abad bei Karaj baute Iran ab 2000 eine Pilotanlage zur Laseranreicherung. Die IAEO bestätigte 2004 die nukleare Verwendung.
Bei Arak baute er eine Produktionsanlage für Schweres Wasser.
Zudem produzierte der Iran verschiedene Uran-Oxyde, Uran-Fluoride und Ammonium-Uranylkarbonat.
Ähnliche Verstöße sind auch von zahlreichen anderen Ländern bekannt geworden. Einmalig sind jedoch die Häufung und die zeitliche Ausdehnung der Vorfälle. Nach dem Aufdecken der Verstöße 2003 bemühte sich Iran um Kooperation mit der IAEO und um mehr Transparenz. Er holte Deklarationen nach, stellte der IAEO Inventarlisten, Materialbilanzen und Informationen über Importe, Transfer und Design zur Verfügung und ließ IAEO-Inspektoren zu.19

Die US-Regierung war damals der Überzeugung, dass Iran ein Atomwaffenprogramm verfolgte. Mit ihrer Exportkontrollpolitik bewertete die USA die Nichtweitergabe-Norm des NPT höher als die Kooperations-Norm. Damit disqualifizierte die USA bewusst die IAEO.
Während die USA versuchte, vor allem Iran wirtschaftlich zu isolieren, zielte der von der EU angestrebte „kritische Dialog“ darauf ab, Iran in ein politisches und wirtschaftliches Beziehungsgeflecht einzubinden. Viele europäische Staaten brüskierte die Doppelmoral der USA, die andere Staaten zur Isolation des Iran aufrief, selbst jedoch einen umfangreichen Warenhandel mit dem „Schurkenstaat“ betrieb.

Erstmalig im September 2002 betonte Iran auf der Generalversammlung der IAEO, dass es sein langfristiges Ziel sei, die Energieversorgung durch den Bau einer Anzahl von Kernkraftwerken zu sichern.20 Nach Verhandlungen mit den EU3-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien unterzeichnete Iran im Dezember 2003 freiwillig das Zusatzprotokoll, das die IAEO 1997 zur weiteren Stärkung der Safeguards eingeführt hatte, und sagte die freiwillige Anwendung des Protokolls schon vor der Ratifizierung zu. Diese Zusage nahm er allerdings zwei Jahre später zurück. Ratifiziert hat Iran das Zusatzprotokoll bislang nicht.

Nachdem der IAEO-Gouverneursrat in der Resolution vom 13. März 200421 Iran gerügt hatte, weil dieser Baupläne von Zentrifugen zur Urananreicherung nicht deklariert hatte, verhärteten sich die Fronten zwischen Iran und der IAEO. Iran setzte die Zusammenarbeit mit der IAEO vorübergehend aus und gab bekannt, dass er mit der Produktion von Uran-Anreicherungszentrifugen und von Uranhexafluorid fortfahre. Im September 2004 forderte der IAEO-Gouverneursrat Iran ultimativ auf, die Anreicherungs-Aktivitäten unverzüglich einzustellen und die offenen Fragen kurzfristig zu beantworten.22
Diesen Aufforderungen kam Iran nach, indem er im November 2004 das Pariser Abkommen mit den EU3-Staaten vereinbarte.23 Darin verpflichtete sich Iran, alle zum Brennstoffkreislauf gehörenden Aktivitäten einzustellen, das Safeguard-Zusatzprotokoll zu ratifizieren sowie alle Anlagen, Aktivitäten und Materialien zu deklarieren und den IAEO-Inspektoren zugänglich zu machen.
Als Gegenleistung sagten die EU3-Staaten dem Iran wirtschaftliche und technische Unterstützung bei der zivilen Nutzung der Kernenergie zu und gaben Sicherheitsgarantien (kein Nuklearangriff!). Im August 2005 kündigte Iran gegen den Protest der IAEO24 die Wiederaufnahme der Produktion von Uranhexafluorid an und begründete das u.a. damit, dass die EU3-Staaten ihre Zusagen nicht eingehalten hätten. Man sei nur hingehalten worden.25
Im September 2005  stellte der IAEO-Gouverneursrat erstmals fest, dass die IAEO die Verletzungen des Safeguard-Abkommens der letzten zwei Jahre als Verstöße des Irans gegen Art. II des IAEO-Statuts behandeln würde und drohte den UN-Sicherheitsrat damit zu befassen.26 Im November 2005 nahm Iran die Produktion von Uranhexafluorid in Isfahan wieder auf. Die Anreicherung von Uran in Gaszentrifugen blieb zunächst ausgesetzt.

Unter dem damaligen IAEO-Generalsekretär Mohammed el-Baradei veröffentlichte der IAEO-Gouverneursrat daraufhin am 27. Februar 2006 einen Bericht27, in dem er die Verstöße darstellte und offene Fragen formulierte. Beweise für ein Atomwaffenprogramm des Iran legte der IAEO-Gouverneursrat nicht vor.
Der UN-Sicherheitsrat reagierte zunächst mit einer vorläufigen Maßnahme nach Art. 40 UN-Charta, mit der er Iran aufforderte, die vom IAEO-Gouverneursrat geforderten Schritte zur Vertrauensbildung zu vollziehen. Er verlangte vom Iran, die Urananreicherung und -aufarbeitung auszusetzen. Im Verhandlungswege sollte danach gesichert werden, dass das Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient.28
Ab der Resolution vom 23. Dezember 200629 wurde der UN-Sicherheitsrat dann nach Art. 41 UN-Charta tätig. Er erklärte seine ernste Besorgnis über die offenen Fragen und Probleme des iranischen Nuklearprogramms und die Angelegenheiten, die eine militärisch-nukleare Bedeutung haben könnten. Er verhängte umfassende Sanktionen gegen Iran und verlangte von ihm zahlreiche Maßnahmen, die das Vertrauen in den ausschließlich friedlichen Zweck des Nuklearprogramms herstellen sollten. Nach einem weiteren Bericht des IAEO-Generaldirektors im Februar 2007 verschärfte der UN-Sicherheitsrat im März 2007 die Sanktionen gegen Iran und forderte weitere vertrauensbildende Schritte.30 Weitere Sanktionen folgten 200831 und 2010.32 Die auf Art. 41 UN-Charta beruhenden Sanktionen des Sicherheitsrats umfassen u.a. Lieferembargos, Einfrieren der Vermögenswerte bestimmter iranischer Einrichtungen und Personen sowie Reiseverbote und –kontrollen. Iran sollte damit veranlasst werden, die Urananreicherung auszusetzen, den Bau des Schwerwasserreaktors Busher zu stoppen, das Zusatzprotokoll zu ratifizieren und anzuwenden, mit der IAEO die offenen Fragen zu klären und auf die Entwicklung von Mittel- und Langstreckenraketen zu verzichten.

Im September 2008 warf die IAEO dem Iran erneut mangelnde Kooperation vor. Andererseits erklärte der damalige IAEO-Generaldirektor Mohammed el-Baradei noch im September 2009, es gebe keine Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm.33

Der neue IAEO-Generaldirektor Yukiya Amano legte am 8. November 2011 einen Bericht vor, in dem er den unter seinem Vorgänger Mohammed el-Baradei am 27. Februar 2006 veröffentlichten Bericht aufgreift, die diesem zugrunde liegenden Informationen jedoch neu bewertet und – auch aufgrund zusätzlicher, nicht dargelegter Geheimdienst-Informationen - den konkreten Verdacht äußert, dass Iran möglicherweise an der Entwicklung eigener Atomwaffen arbeitet.34 Medien stellten den Bericht allerdings zunächst so dar, als habe die IAEO Beweise für ein Atomwaffenprogramm des Iran vorgelegt.

Die iranische Staatsführung behauptete indessen, Iran habe seit 2003 alle Aktivitäten zur Entwicklung von Atomwaffen eingestellt. Das bestätigte laut „The New York Times“ der „National Intelligence Estimate“ der 16 us-amerikanischen Geheimdienste für die Zeit bis Mitte 2007 im Wesentlichen.35 Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte am 10. März 2009 den US-amerikanischen Nationalen Geheimdienstchef Dennis C. Blair: „Der Iran besitzt nach Einschätzung der US-Geheimdienste kein waffenfähiges Uran und hat auch noch nicht über dessen Herstellung entschieden.“36

Iranische Politiker bestehen nach wie vor auf einem eigenständigen iranischen „zivilen“ Atomprogramm, insbesondere auf dem durch Art. IV NPT gewährleisteten Recht auf Anreicherung von Uran. Das Angebot Russlands, die Urananreicherung auf russischen Boden durchzuführen, lehnte Iran ab. Seitdem Iran im Februar 2006 öffentlich die Wiederaufnahme der Urananreicherung und den beabsichtigten Erwerb von 60.000 Zentrifugen angekündigt hat, wird diese in großen Umfang an mehreren Orten (u.a. in Fordo und Natanz) betrieben.37

Nach dem erfolglosen Besuch von IAEO-Experten im Januar/Februar 2012 im Iran berichtete die deutsche „Tagesschau“, dass nach Einschätzung der IAEO der Iran sein Atomprogramm weiter voran treibe und die Uran-Anreicherung deutlich ausweite.38 Während in der Nähe von Natanz mit inzwischen 8.800 Zentrifugen in 52 Kaskaden Uran auf 5% angereichert werde, werde in den unterirdischen Anlagen von Fordo in 700 Zentrifugen auf 20% angereichert. Weitere Zentrifugen würden vorbereitet. Der Zugang zu der militärischen Anlage in Parchin ist den IAEO-Experten verweigert worden. Dort sollen möglicherweise Tests mit atomaren Sprengköpfen simuliert worden sein. Entgegen der Aufforderung der IAEO produziere der Iran schweres Wasser. IAEO-Generaldirektor Yukiya Amano wiederholte seine ernthafte Sorge, dass das Atomprogramm des Iran eine mögliche militärische Dimension habe.

Die 16 US-Geheimdienste sehen jedoch noch Ende Februar 2012 einem Bericht der „New York Times“ zufolge keine stichhaltigen Beweise dafür, dass der Iran Atomwaffen baut oder bauen will.39 Damit kommen sie zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie bereits vor fünf Jahren: Iran baue zwar seine nukleare Infrastruktur auf und reichere auch Uran an. Die iranische Regierung habe sich jedoch noch nicht entschieden, ob sie das 2003 eingestellte Programm zur Entwicklung von Atomsprengköpfen wieder aufnehmen wolle.

Opfer oder Täter? Urteilen Sie selbst. Die Weltöffentlichkeit ist misstrauisch, weil zahlreiche Indizien eine mögliche militärische Absicht nahe legen. Dazu gehören die Geheimhaltung vieler Aktivitäten und die Verbunkerung einiger Anlagen, der militärische Schutz für verschiedene Einrichtungen, der fehlende zivile Bedarf für hoch angereichertes Uran und der Bau eines für die Plutoniumerzeugung besonders geeigneten Schwerwasserreaktors.40 Schlüssige Beweise für ein Atomwaffenprogramm des Iran sind jedoch bisher immer noch nicht vorgelegt worden.

Sein umfassendes Atomprogramm begründet Iran ökonomisch mit der langfristigen Energie-Sicherung durch den Aufbau einer zivilen Kernenergie-Wirtschaft. Andererseits hat Iran auch ein massives Sicherheitsbedürfnis. Dieses könnte ihn letztlich zum Aufbau eines Atomwaffenprogramms motivieren. In allen Nachbarstaaten Irans – mit Ausnahme in Turkmenistan – sind US-Soldaten stationiert.41 Zudem ist Iran umgeben von Atomwaffenstaaten oder Atomwaffenstandorten. Zwei Staaten haben völkerrechtswidrige Angriffsdrohungen ausgesprochen. Israel droht damit, die iranischen Atomanlagen militärisch zu zerstören. Die USA hat sich in ihrer „Nationalen Sicherheitsstrategie 2002“ offen dazu bekannt den „Schurkenstaat“ Iran anzugreifen, wenn es eine ausreichende Möglichkeit einer Bedrohung gibt.42 Eine latente Bedrohung reicht aus. Eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs bedarf es nicht. Diese eindeutig völkerrechtswidrige „Präemptiv-Doktrin“43 ist 2006 unter ausdrücklicher Nennung des Iran erneut von der US-Regierung bestätigt worden.44 Israel hat übrigens den Angriff auf  den irakischen Atomreaktor Tamuz I mit derselben Doktrin zu rechtfertigten versucht.45

Plausibel klingt die aktuelle Einschätzung der 16 US-amerikanischen Geheimdienste. Demnach will Iran möglicherweise die Welt im Unklaren lassen, welche Ziele er tatsächlich verfolgt. Um Einfluss in der Region zu gewinnen könnte Iran so eine „strategische Zweideutigkeit“ schaffen.46 In dieselbe Richtung geht die Äußerung des ehemaligen US-Gesandten bei der IAEO Kenneth Brill, Iran strebe lediglich die Fähigkeit zum Atomwaffenbau an, nicht ein tatsächliches Atomwaffenarsenal.47 Der Koordinator der US-Geheimdienste James Clapper hat am 31.1.2012 vor einem Senatausschuss betont, dass Iran sich die Optionen offen hal te. Im Februar 2012 hat sich der US-Verteidigungsminister Leon Panetta ähnlich geäußert.48

Damit stellt sich die Frage, ob bereits der Erwerb der Fähigkeit zum Atomwaffenbau ein Verstoß gegen den NPT ist. Nach dem Wortlaut von Art. II NPT sind Nichtatomwaffenstaaten verpflichtet, Atomwaffen nicht herzustellen, zu erwerben, anzunehmen oder darüber zu verfügen. Der Sinn und Zweck des NPT, weltweit die Entwicklung, die Herstellung und den Erwerb von Atomwaffen zu begrenzen, und das vereinbarte Safeguard-System sprechen jedoch dafür, dass auch Aktivitäten zur Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen nach dem NPT verboten sind. Die IAEO und der UN-Sicherheitsrat jedenfalls sehen das so und drehen in ihren Resolutionen die Beweislast zu Lasten des Irans um.
Kann Iran die Forderung, er solle seine ausschließlich friedlichen Absichten beweisen, überhaupt erfüllen? Könnte Deutschland sie erfüllen?
Jeder zivilen Atomenergienutzung ist bekanntlich die Möglichkeit der militärischen Nutzung immanent. Wann dient die Uran-Anreicherung und die Produktion schweren Wassers militärischen, wann Forschungszwecken? Angesichts der „dual use“-Technologie lässt sich die sichere Feststellung militärischer Nutzung häufig erst beim Waffenbau selbst treffen.

III.  Doppelte Standards

Israels Bevölkerung und Politiker sind verständlicherweise beunruhigt über den Verdacht, Iran entwickle Atomwaffen. Sie befürchten einen nuklearen Angriff auf Israel. Tatsächlich hat Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad wiederholt öffentlich das Existenzrecht Israels in Frage gestellt und sich aggressiv gegenüber Israel gebärdet, wobei allerdings der genaue Wortlaut seiner Äußerungen in den Übersetzungen umstritten ist.49

Völlig zu Recht fordert die Staatengemeinschaft vom Iran die Einhaltung des NPT. Viele Staaten verhalten sich allerdings widersprüchlich, wenn sie vom Iran den Verzicht auf die nukleare Anreicherung oder sogar den Verzicht der zivilen Nutzung der Nuklearenergie verlangen, selbst jedoch dieses Recht für sich in Anspruch nehmen.
So wird zum Beispiel in Deutschland von dem deutsch-niederländischen Unternehmen URENCO in Gronau/Emsland eine riesige Urananreicherungsanlage u.a. mit Kaskaden von Gaszentrifugen betrieben.50 Eine Schließung dieser Nuklearfabriken oder ihre Übernahme in die Trägerschaft einer internationalen Instanz wird nach wie vor abgelehnt. In Deutschland ist zudem ein Reaktor mit hoch angereichertem (waffenfähigen) Uran in Betrieb: Der Forschungsreaktor II in Garching/München. In den Hanauer Nuklearfabriken wurden lange Zeit große Mangen Plutonium gelagert, deren Verbleib unklar ist.

IV.   Völkerrechtswidrige Atomwaffenprogramme

Besonders demotivierend muss auf Iran (und andere Schwellenländer) das widersprüchliche Verhalten der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten wirken. Diese verlangen vom Iran die Einhaltung des NPT, verletzen ihn jedoch selbst fortlaufend, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Einige schwerwiegende Völkerrechtsverstöße will ich herausheben:

1. Artikel VI NPT verpflichtet alle Atomwaffenstaaten, in redlicher Absicht Verhandlungen zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen zu führen und diese erfolgreich abzuschließen. Diese Verpflichtung ist vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 8. Juli 1996 nochmals ausdrücklich bekräftigt worden. Verhandlungen über eine solche „atomare Nulllösung“ sind jedoch bislang von den Atomwaffenstaaten und ihren Verbündeten stets verweigert worden.
Zwar ist seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation die Zahl der weltweit verfügbaren atomaren Sprengköpfe verringert worden. Bis heute gibt es jedoch noch ca. 23.000 Atomsprengköpfe, davon ca. 22.000 im Besitz der USA und Russlands. Sie haben jeweils eine vielfache Vernichtungskraft der Bomben von Hiroshima und Nagasaki. Weitere rund 1.000 Atomsprengköpfe entfallen auf Frankreich, Großbritannien, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Derzeit verfügen die USA über ca. 2.200 „strategische“ Atomsprengköpfe (für land- und seegestützte Interkontinentalraketen und Langstreckenbomber), Russland über ca. 2.500. Nach Expertenschätzungen haben die USA ca. 800 einsatzfähige atomare Trägersysteme, Russland ca. 560. Die USA und Russland halten bis heute jeweils ca. 1.000 Atomsprengköpfe in höchster Alarm- und Einsatzbereitschaft.
Das neue START-Abkommen soll bis 2017 die Zahl der einsatzfähigen „strategischen“ atomaren Sprengkörper auf landgestützten Interkontinentalraketen, Atom-U-Booten und Langstreckenbombern lediglich von je 2.200 auf je 1.550 senken und die Zahl der einsatzfähigen „strategischen“ atomaren Trägersysteme (Raketen und Bomber) auf jeweils 700 verringern. Zudem werden jeweils 100 Trägersysteme als Reserve erlaubt. Die nicht-strategischen Atomwaffen werden davon nicht erfasst.
Mithin werden auch nach der Umsetzung des START-Nachfolgeabkommens immer noch 20.400 US-amerikanische und russische Atomsprengköpfe das Leben auf der Erde unmittelbar bedrohen. Wirkliche Abrüstung sieht anders aus.

2. Die in den Atomwaffenstaaten und bei ihren Bündnispartnern verbliebenen Atomwaffen und ihre Trägersysteme wurden und werden fortlaufend modernisiert. Dementsprechend ist ihre Einsatzfähigkeit bis heute ständig erhöht worden. Die US-Regierung hat beim US-Kongress für die Jahre 2011 – 2015 zwei Milliarden Dollar Haushaltsmittel allein dafür durchgesetzt, um die B-61-Bomben zu modernisieren – sie lagern auch in Deutschland. Aus fünf alten sollen zwei „moderne“ Bombenversionen werden. Diese Waffen sollen zudem an die nächste Generation atomwaffenfähiger Jagdbomber angepasst werden.
Die laufende Anpassung an die von ihnen selbst bestimmten strategischen Erfordernisse präsentieren die Atomwaffenstaaten der Welt bis heute als atomare Abrüstung. Der US-Kongress hat eine Reduzierung der Zahl der US-Atomwaffen sogar in einem Gesetz an die Modernisierung des alten Atomwaffenarsenals gekoppelt.

3. Obwohl alle Nicht-Atomwaffenstaaten in Art. II NPT und Deutschland zusätzlich auch im sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet haben, wird innerhalb der NATO weiterhin die „nukleare Teilhabe“ praktiziert. „Nukleare Teilhabe“ bedeutet insbesondere,
- dass Deutschland, die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei nach wie vor in der „Nuklearen Planungsgruppe“ der NATO mitwirken.
- dass in geheim gehaltenen Bunkern der genannten Länder eine unbekannte Anzahl Atomwaffen mit einer vielfachen Zerstörungskraft der Hiroshima- und Nagasaki-Bombe gelagert werden. Diese würden im Spannungs- oder Kriegsfall von den US-Streitkräften auch den Streitkräften dieser Nicht-Atomwaffenstaaten und damit auch Einsatzkräften der Bundeswehr für den Abwurf auf feindliche Ziele zur Verfügung gestellt - entgegen den Regelungen des NPT.
- dass die Bundeswehr mit den Tornado-Flugzeugen des in Büchel stationierten „Jagdbombergeschwaders 33“– ähnlich wie die Streitkräfte der genannten anderen NATO-Nichtatomwaffenstaaten – Atomwaffenträger bereithält und regelmäßig Atomwaffeneinsätze übt.
4. Alle NATO-Staaten nehmen nach wie vor den sog. „Kriegsvorbehalt“ in Anspruch. Danach soll der NPT dann nicht mehr gelten, wenn „eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird“ („in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre“).51 Dieser öffentlich verschwiegene Kriegsvorbehalt macht damit den NPT und das in ihm enthaltene Verbot der Weitergabe von Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten im Spannungs- und Kriegsfall praktisch gegenstandslos. Das widerspricht fundamental dem zentralen Ziel des NPT, Atomwaffen unter keinen Umständen an Nicht-Atomwaffenstaaten gelangen zu lassen. Genau diese Weitergabe im Spannungs- und Kriegsfall (mit dem Ziel ihres Einsatzes) sollte aber mit dem NPT verhindert werden.

5. Entgegen ihrer in Art. I NPT eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung, Nicht-Atomwaffenstaaten bei der Entwicklung und beim Erwerb von Atomwaffen nicht zu unterstützen, tolerieren die USA seit Jahrzehnten den Atomwaffenbesitz Israels und fördern sein Atomprogramm finanziell, technologisch und politisch. Ebenso wie Indien und Pakistan ist Israel nicht Mitglied des NPT-Vertragssystems.

6. Toleriert wird auch das Atomwaffenprogramm des mit den USA verbündeten Pakistan. Pakistan wäre ohne die technologische Zusammenarbeit und Unterstützung von wichtigen Mitgliedsstaaten des NPT – auch der USA und Deutschlands - kein Atomwaffenstaat geworden. Das Proliferationsverbot ist dabei grob missachtet worden.

7. Obwohl die Vereinten Nationen 1974 und 1998 gegen Indien wegen seiner Atomwaffentests Sanktionen verhängt haben, beendeten die USA zwischenzeitlich alle Sanktionen bilateral und verschafften Indien in großem Umfang Zugang zu westlichen Atomtechnologien und zu atomaren Material. Damit haben die USA geholfen, unter Verstoß gegen den NPT den Status Indiens als neue Atomwaffenmacht zu legalisieren.
Auf Druck der USA hat die Gruppe der (inzwischen) 45 nuklearen Lieferländer NSG, zu denen auch Deutschland gehört, weitere Atomexporte nach Indien genehmigt. Keine der beteiligten Regierungen – auch nicht die deutsche - hat dabei die Bereitschaft gezeigt, das Nichtverbreitungssystem zu verteidigen und die Zustimmung zur Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Angesichts des Konsensprinzips hätte das den Deal verhindert. Die weiteren Mitgliedsstaaten des NPT wurden an dem Verfahren nicht einmal beteiligt.
8. Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) sieht in den §§ 16 ff KWKG52 nach wie vor Ausnahmen vor für das Verbot des Besitzes, des Erwerbs und der Herstellung sowie des Umgangs mit Atomwaffen und die Forschung an Atomwaffen, soweit diese der Verfügungsgewalt von NATO-Staaten unterstehen oder in deren Auftrag entwickelt oder hergestellt werden.

Aus diesen Völkerrechtsverstößen folgt jedoch keinesfalls, dass der Iran und andere Staaten nicht mehr an den NPT gebunden sind. Ein Unrecht kann nicht die Begehung eines anderen Unrechts rechtfertigten. Jedoch hat die Widersprüchlichkeit gefährliche politische Folgen. Auf zweierlei Maß („double standards“) lässt sich die Sicherheit vor atomarer Vernichtung nicht gründen.

V.   Sanktionen nur im Rahmen des Völkerrechts

1. Staaten wie Israel und Großbritannien setzen sich mit der Androhung von militärischen Sanktionen gegen Iran über das für alle Staaten verbindliche Gewaltverbot in Art. II Nr. 4 UN-Charta hinweg. Das „Recht des Stärkeren“ gibt dafür keine völkerrechtliche Legitimation. Eine bewaffnete Selbstverteidigung wäre völkerrechtlich nur bei einem bewaffneten Angriff zulässig. Die vereinzelt von Staaten in Anspruch genommene „präventive Selbstverteidigung“ hat sich völkergewohnheitsrechtlich nicht durchgesetzt und ist unzulässig.53 Ein militärischer Angriff auf iranische Atomanlagen durch einzelne Staaten oder Staatengruppen ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats wäre ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Dieser ist ein völkerrechtliches Verbrechen, das auch innerstaatlich strafbar sein kann.

Die Befürworter eines militärischen Angriffs auf iranische Atomanlagen sollten sich erinnern: Für die eigenmächtige Bombardierung des irakischen Atomreaktors in der Nähe von Bagdad am 7. Juni 1981 ist Israel vom UN-Sicherheitsrat (Res. 487 vom 19.6.1981) einstimmig und scharf verurteilt worden.54 Die Verhängung von Sanktionen gegen Israel scheiterte nur am Veto der USA.
    
2. Mögliche Verstöße des Iran gegen die Verpflichtungen aus dem NPT und gegen die Safeguard-Abkommen dürfen nur durch die IAEO oder den UN-Sicherheitsrat in dem dafür vorgesehenen Verfahren festgestellt und sanktioniert werden.

Die aktuelle Sanktionspolitik der USA und der EU ist nicht hilfreich und scheint vor allem von dem Ziel geleitet zu sein, den Iran in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen und letztlich einen Systemwechsel zu erreichen:
- Im Dezember 2011 hat die US-Regierung durch ein Dekret ausländischen Banken die Geschäftstätigkeit in den USA untersagt, die Geschäfte mit der iranischen Zentralbank abwickeln. Auf die darauf folgende Drohung Iran, die Strasse von Hormus zu sperren, antwortete die US-Regierung mit der Entsendung weiterer Kriegsschiffe.
- Die EU hat im Januar 2012 einen Boykott iranischen Erdöls und Erdgases beschlossen und iranische Auslandskonten in westlichen Staaten eingefroren.

Diese am UN-Sicherheitsrat vorbei beschlossenen Sanktionen schwächen das NPT-Kontrollsystem und auch die Position des UN-Sicherheitsrats, dem die UN-Charta die ausschließliche Zuständigkeit für die Sicherung des internationalen Friedens zugewiesen hat.

3. Aber selbst wenn die IAEO und der UN-Sicherheitsrat Verstöße des Iran gegen das NPT-Kontrollregime oder gegen den NPT feststellen würden, sollte der UN-Sicherheitsrat keine militärischen Sanktionen beschließen und sich auch nicht in eine dahin führende Sanktionsspirale verwickeln lassen. Denn die Konflikte um die (angebliche oder tatsächlich) drohende nukleare Bewaffnung des Iran und auch weiterer Staaten können nicht militärisch, sondern nur im Verhandlungswege und nur durch Zusammenarbeit aller Konfliktparteien gelöst werden. Eine hilfreiche Perspektive dafür könnte nach dem erfolgreichen Modell der KSZE, die wesentlich zum friedlichen Ende des Kalten Krieges beigetragen hat, die Einrichtung einer „Konferenz für Sicherheit und Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten“ sein. Grundlage kann nur die gemeinsame Sicherheit aller Staaten der Region sein. Kein Staat kann hinreichende und nachhaltige Sicherheit gegen andere und auf Kosten anderer Staaten erlangen.
 
4.  Wer – zu Recht – die Atomwaffenfreiheit des Iran fordert, muss ebenfalls für die Atomwaffenfreiheit Israels, Pakistans, Indiens und Nordkoreas eintreten. Auch deren Atomwaffenprogramme sind heimlich und unter Verletzung des NPT-Regimes entstanden. Auch sie sind zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Denn die völkerrechtliche Verpflichtung zur Aufnahme von Verhandlungen, die zur vollständigen atomaren Abrüstung führen, trifft nach dem IGH-Gutachten alle Atomwaffenstaaten, unabhängig von der NPT-Mitgliedschaft.55

VI.   Reform des IAEO-Kontrollsystem

Das Entstehen weiterer Atomwaffenstaaten und ein Zusammenbruch des NPT-Regimes können nur durch eine Reform des IAEO-Kontrollsystems verhindert werden. Viele wissen es nicht: Vor allem Deutschland, Italien und Japan verhinderten in den 1960er und 1970er Jahren bei den Verhandlungen über den NPT und die Verifizierungsabkommen wirksame Kontrollen mit dem damaligen Hinweis auf den Ost-West-Konflikt und die Gefahren von „Industrie-Spionage“ (auch durch befreundete Staaten). Bis heute kann die IAEO grundsätzlich nur den nuklearen Spaltstofffluss auf der Grundlage von Eigenberichten und Materialbilanzen der kontrollierten Staaten verifizieren. Das 1997 beschlossene Zusatzprotokoll zum Verifizierungsabkommen hat zwar Fortschritte gebracht, ist aber noch nicht von allen 188 NPT-Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Nach den ursprünglichen Safeguard-Abkommen gibt es Verdachtskontrollen nur sehr eingeschränkt und nur nach Voranmeldung. Unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen fehlen ebenso wie unbehinderte freie Inspektions- und Ermittlungsrechte. Die Atomwaffenstaaten sind von den Verifizierungsmaßnahmen weitgehend ausgenommen und sollten einbezogen werden.

Bessere internationale Kontrollen und der Schutz von Whistleblowern56 würden zudem Unsicherheiten über die Aktivitäten der nuklearen Schwellenländer erheblich verringern und vertrauensbildend wirken. Die Bereitschaft der Staaten, den Vereinten Nationen und ihren Organen die Reaktion auf etwaige Verstöße gegen den NPT zu überlassen, würde erheblich gestärkt.

Hier besteht dringender Reformbedarf. Auch muss die personelle und finanzielle Ausstattung der IAEO drastisch verbessert werden. Die etwa 350 Inspektoren weltweit reichen bei weitem nicht aus, um die große Zahl der Nuklearanlagen zu überwachen. Nur ein kleiner Teil des IAEO-Haushalts von jährlich etwa 330 Millionen € steht für die IAEO-Inspektionsabteilung zur Verfügung.

Proliferationsrisiken und die Gefahr militärischer Nutzung von Nuklearanlagen kann die Staatengemeinschaft am besten dadurch vermindern, dass die sog. zivile Nutzung der Atomenergie reduziert wird und letztlich aus ihr ausgestiegen wird.