Im Zuge des zunehmend aggressiver ausgetragenen Atomstreits des Westens mit dem Iran hat IALANA-Vorstandsmitglied Bernd Hahnfeld einen Leserbrief zu einem Artikel der Zeitung »Kölner Stadtanzeiger« verfasst, in dem er auf einige rechtlich wichtige, allgemein in der Berichterstattung gleichwohl vernachlässigte Aspekte des Konflikts eingeht. Wir dokumentieren den Leserbrief in Gänze:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihre Berichterstattung zu dem Atomstreit mit dem Iran lässt wesentliche Aspekte des Problems vermissen.

Jeder neue Atomwaffen-Staat ist eine Gefahr für den Frieden und die internationale Sicherheit. Das gilt insbesondere für den Iran, dessen Regierung derzeit verbal äußerst aggressiv auftritt.

Atomwaffen in den Händen der anderen Staaten sind jedoch nicht weniger gefährlich. Aus diesem Grunde haben die Atomwaffenstaaten und zahlreiche weitere Staaten am 1.7.1968 den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (»Non-Proliferation Treaty« ? NPT) abgeschlossen. In ihm verpflichten sich Nichtatomwaffenstaaten, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber von niemanden unmittelbar oder mittelbar anzunehmen (Art. II). Dieser Vertrag ist die Grundlage der weltweiten Kritik an dem Verhalten des Iran.

Der NPT garantiert jedoch allen Vertragsparteien, die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln (Art. IV). Diese Garantie der friedlichen Nutzung war eine wesentliche Vorbedingung für das durch den NPT geschaffene Nichtverbreitungs-Regime. Auf dieses Recht beruft sich derzeit der Iran.

Das derzeitige internationale Dilemma liegt darin, dass die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten vom Iran etwas fordern, dass sie selbst nicht einzuhalten bereit sind, nämlich die Beachtung des NPT. Die Atomwaffenstaaten haben sich in Art. VI des NPT bereits 1968 verpflichtet, in redlicher Absicht Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung zu führen und einen Vertrag abzuschliessen zur allgemeinen und vollständigen nuklearen Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle. Diese Verpflichtung hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) in seinem auf Veranlassung der UN-Generalversammlung eingeholten Rechtsgutachten vom 8.7.1996 einstimmig nochmals hervorgehoben: »Es besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung (Entwaffnung) in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.«

Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten weigern sich seit 1968, Verhandlungen zur vollständigen nuklearen Abrüstung zu führen. Vielmehr haben sie wiederholt erklärt, dass Atomwaffen unverzichtbar seien. Sogar der Ersteinsatz mit diesen vom IGH verbotenen Waffen wird nicht ausgeschlossen.

Juristen wissen, dass der Gesetzesverstoß des einen den Gesetzesverstoß des anderen nicht rechtfertigen kann. Faktisch macht jedoch der eigene Rechtsbruch die Forderung nach Einhaltung des NPT völlig unglaubwürdig. Aus der Sicht der Nichtatomwaffenstaaten muss es geradezu erstrebenswert sein, die Machtposition eines Atomwaffenstaates zu erlangen. Er sichert den eigenen Staat besser als jeder Nichtangriffspakt.

Völkerrechtlich verstoßen die Staaten, die selbst Art. VI NPT missachten und vom Iran die Einhaltung des Vertrages verlangen, gegen das »estoppel-Prinzip«. Demnach ist es unzulässig, als Rechtsbrecher von anderen ein Verhalten einzufordern, das man für sich selbst ablehnt. Erschwerend fällt hier ins Gewicht, dass die Forderung unter Androhung militärischer Gewalt erfolgt. Im Rahmen dieses Vertrauensschutzes besteht auch im Völkerrecht eine Gebundenheit an das eigene Verhalten, ein Verbot des »venire contra factum proprium«.

Es wäre sehr zu begrüssen, wenn die Berichterstattung nicht einseitig nur die Verpflichtung des Iran hervorheben würde, sondern auch die entsprechende Verpflichtung der Atomwaffenstaaten. Es ist die Kehrseite der Medaille und ein notweniger Teil der Problemlösung. Andernfalls besteht die Gefahr, dass einem Krieg das Wort geredet wird und Möglichkeiten nichtmilitärischer Konfliktschlichtung außer Acht gelassen werden.

Bernd Hahnfeld, Richter i.R.