Mit Verfügung vom 20.06.2013 - 3 BJs 7/12-4  hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Verdachts einer Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch und anderer Delikte eingestellt.

In dem Verfahren stand der Drohneneinsatz im Rahmen von OEF in Pakistan bei Mir Ali vom 04.10.2010 auf dem Prüfstand, bei dem u.a. der deutsche Staatsangehörige B.E. getötet wurde.

Hier die ausführliche Begründung des GBA    (pdf).

Zu den Fehlern in der Begründung vgl. die Stellungnahme des ECCHR  vom 23.10.2013:

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat heute eine gutachterliche Stellungnahme veröffentlicht, in der die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen des US-Drohnenangriffs auf den deutschen Staatsbürger Bünyamin E. kritisiert wird. Dieser war am 4. Oktober 2010 in Mir Ali, Pakistan, durch eine Drohne getötet worden. Der Generalbundesanwalt hatte daraufhin strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, diese aber am 20. Juni 2013 eingestellt. Das ECCHR hat die Einstellungsentscheidung analysiert und kommt nach Auswertung der öffentlich zugänglichen Quellen sowie aufgrund eigener Ermittlungen zu dem Schluss, dass das Ermittlungsverfahren durch den Generalbundesanwalt unzureichend geführt worden ist. Die Entscheidung, das Verfahren einzustellen, beruht auf mehreren Rechtsfehlern. Die gutachterliche Stellungnahme soll nun die Hinterbliebenen dabei unterstützen, ihre Rechte geltend zu machen.

ECCHR-Referent Andreas Schüller sagt hierzu: „Die Ermittlungen hätten insbesondere gegen die tatverdächtigen CIA-Mitarbeiter weitergeführt werden müssen, da diese nicht Teil der amerikanischen Streitkräfte sind und sich daher auch nicht auf die Einhaltung kriegsrechtlicher Vorschriften berufen können.“

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Dokumentiert: Einleitung und Schlussfolgerungen des Gutachtens
Einleitung *

Am 4. Oktober 2010 wurde Bünyamin E. in Mir Ali / Pakistan durch den Einsatz eines unbemannten bewaffneten Luftfahrzeugs [1] getötet. Mit ihm starben vier weitere Personen. Die Tötung von Bünyamin E. war der erste öffentlich bekannt gewordene Fall eines gezielten Angriffs mittels einer Kampfdrohne auf einen deutschen Staatsangehörigen in Pakistan. Dieser Vorfall, im Gegensatz zu einer Vielzahl vorangegangener, gegen Staatsangehörige anderer Nationen gerichteter Angriffe, löste eine Ermittlungspflicht der deutschen Strafverfolgungsbehörden aus, um dem Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat nachzugehen.[2] Von Anfang Oktober 2010 bis zum 10. Juli 2012 prüfte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof seine Zuständigkeit. Diese wäre nur im Falle des Vorliegens eines internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikts in der Region gegeben gewesen. Der Generalbundesanwalt bejahte das Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts, bestehend aus zwei sich überschneidenden Konfliktbeziehungen. Daraufhin wurde am 10. Juli 2012 ein formelles Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet.

Mit Verfügung vom 20. Juni 2013 hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Absatz 2 StPO mit der Begründung, dass kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bestünde, eingestellt.[3] Da laut Generalbundesanwalt die tatverdächtigen Mitarbeiter des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts Central Intelligence Agency (CIA) als Teil der amerikanischen Streitkräfte anzusehen seien, würden diese Immunität vor einer Strafverfolgung genießen, solange die Vorschriften des humanitären Völkerrechts eingehalten worden seien. Bünyamin E. sei, so der Generalbundesanwalt, als Mitglied einer organisierten bewaffneten Gruppe keine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person gewesen, weshalb kein Kriegsverbrechen vorliege und die Tatverdächtigen durch die Einhaltung des humanitären Völkerrechts für einen tatbestandlich erfüllten Mord (§ 211 StGB) gerechtfertigt seien. Somit fehle es laut Generalbundesanwalt an einem für eine Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Verdacht der Begehung einer Straftat.

Dieser gutachterlichen Stellungnahme liegt die am 23. Juli 2013 vom Generalbundesanwalt veröffentlichte offene Version der Einstellungsverfügung vom 20. Juni 2013 zu Grunde.[4] In der Analyse und Bewertung wurden öffentlich zugängliche Berichte und Fachartikel sowie Erkenntnisse aus eigenen Ermittlungen hinzugezogen. Die in der Verfügung enthaltene Begründung für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gibt Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, wie im Folgenden näher ausgeführt wird.

Die Einstellungsverfügung ist aus den folgenden Gründen rechtlich fehlerhaft: Der Generalbundesanwalt geht vom Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafgesetzbuchs und des humanitären Völkerrechts aus, der „durch zwei sich überschneidende Konfliktsbeziehungen gekennzeichnet ist“.[5] Der Generalbundesanwalt rekurriert zum einen auf den innerpakistanischen Konflikt der Zentralregierung, unterstützt durch die USA, gegen Aufständische, zum anderen auf einen aus Afghanistan herüberreichende Konflikt zwischen der dortigen Zentralregierung, unterstützt durch ISAF, und dortigen Aufständischen.[6] Dabei wird in der rechtlichen Würdigung schon nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die in Betracht kommenden nicht-staatlichen Konfliktparteien überhaupt im Einzelnen den rechtlichen Anforderungen (Organisationsgrad etc.) genügen, um als Konfliktpartei angesehen werden zu können. Auch bleibt letztlich ungeklärt, welche staatliche Konfliktpartei sich mit welcher nicht-staatlichen Konfliktpartei zum Tatzeitpunkt in einer Auseinandersetzung befunden hat, die wegen ihrer Dauer und Intensität als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren ist. Nur durch eine solche konkrete Zuordnung wäre es möglich gewesen festzustellen, ob Bünyamin E. als Kämpfer eines bewaffneten Konflikts Ziel eines militärischen Angriffs werden durfte. Des Weiteren belegt der Generalbundesanwalt nicht, zu welcher Konfliktpartei Bünyamin E. gehört haben soll.[7] Die größten Zweifel bestehen allerdings hinsichtlich der Frage, ob Bünyamin E. überhaupt Opfer eines militärischen Angriffs geworden ist. Es entspricht allgemeiner Auffassung im Völkerrecht, dass nur Angehörige der militärischen Streitkräfte in bewaffneten Konflikten legitimiert sind, an Kampfhandlungen teilzunehmen und sich auf eine Immunität vor Strafverfolgung berufen können, soweit sie die Regeln des humanitären Völkerrechts beachten. Der Generalbundesanwalt verkennt, dass die CIA gerade nicht zu den US-Streitkräften zählt und in deren Befehls- und Kommandostrukturen eingebettet ist. Selbst wenn Mitarbeiter der CIA an Kampfhandlungen teilnehmen, steht ihnen kein sog. Kombattantenprivileg zu. Auch wenn sie die Regeln des humanitären Völkerrechts eingehalten haben sollten, unterliegen sie weiterhin der herkömmlichen strafrechtlichen Haftung, ohne sich auf eine Rechtfertigung als Kombattant berufen zu können.
Schließlich zeigt der Umgang des Generalbundesanwalts mit den Zahlen zu Drohnenangriffen und mutmaßlich getöteten Terrorismusverdächtigen ein sehr einseitiges Verständnis von der Problematik. So hätte es laut Generalbundesanwalt zwischen 2009 und 2011 in 259 Einsätzen mit ca. 1.900 Todesopfern gegeben, dabei habe „ein Großteil der Drohneneinsätze (…) auf Führungsmitglieder der Taliban, der al-Qaida, des Haqqani-Netzwerks und der IBU/IJU“ gezielt.[8] Darunter wurden „zahlreiche, auch namentlich bekannte Führer der aufständischen Gruppierungen“ getötet.[9] Aufgezählt werden anschließend jedoch nur sechzehn Vorfälle, davon sechs namentlich bekannte. Es spricht folglich gegen die Annahme des Generalbundesanwalts, dass ein „Großteil der Einsätze auf Führungsmitglieder zielte“, wenn bei über 1.900 Todesopfern nur sechs namentliche bekannte Führer getroffen wurden. Aktuelle Zahlen der pakistanischen Regierung sprechen von mindestens 330 Drohnenangriffen in Pakistan zwischen 2004 und März 2013, die mindestens 2.200 Todesopfer gefordert hätten.[10] Dabei seien trotz des schwierigen Zugangs zu den Tatorten mindestens 400 Zivilpersonen sowie 200 weitere Nichtkombattanten unter den Todesopfern festgestellt worden. Diese Zahlen seien allerdings mit einer hohen Wahrscheinlichkeit unterbewertet.[11]

Den Angehörigen bleibt nun durch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nur der durch sehr hohe formale Anforderungen gekennzeichnete Antrag auf Klageerzwingung nach § 172 Absatz 2 StPO, um eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Generalbundesanwalts zu erreichen. Da der Generalbundesanwalt als Teil der Exekutive und gegenüber dem Bundesministerium der Justiz weisungsgebunden handelt, wäre eine unabhängige gerichtliche Entscheidung umso wichtiger im Rahmen der Gewaltenteilung und der Kontrolle exekutiver Entscheidungen durch die Judikative. Als Rechtsmittel steht aber einzig der Antrag auf Klageerzwingung zur Verfügung, der jedoch den Hinterbliebenen auferlegt, eigene Ermittlungen anzustrengen und gemäß § 172 Absatz 3 StPO die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel anzugeben. Damit soll das zuständige Gericht in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten oder sonstige Akten eine Schlüssigkeitsprüfung über die Erhebung der öffentlichen Klage vorzunehmen.[12]

Schlussfolgerung **
Die Einstellungsverfügung des Generalbundesanwalts wirft eine Reihe von Zweifeln auf. Bereits die Begründung der eigenen Zuständigkeit, für die das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts erforderlich ist, misslingt. Es ist zweifelhaft, ob der Angriff auf Bünyamin E. im Kontext eines bewaffneten Konflikts stattfand. Es liegt vielmehr nahe, dass die CIA verdeckte Maßnahmen im Rahmen ihres eigenen „globalen Krieges gegen den Terror“ durchführte, möglicherweise in einem Konfliktgebiet, in dem die pakistanische Regierung die Taliban bekämpft, jedoch nicht in Bezug zu dem dort stattfindenden Konflikt. Einer verdeckten geheimdienstlichen Maßnahme liegen jedoch nicht die Regelungen des bewaffneten Konflikts zu Grunde. Die CIA kämpft zum einen nicht Seite an Seite mit der pakistanischen Armee gegen Aufständische in der Region, sondern verfolgt amerikanische Interessen in der weltweiten Terrorismusbekämpfung. Ebenso wenig fand der Angriff auf Bünyamin E. im Rahmen des Konflikts in Afghanistan statt, da es keine ausreichenden Hinweise darauf gibt, welche Partei des Konflikts in Afghanistan pakistanisches Gebiet als Rückzugsraum nutzt und ob Bünyamin E. Mitglied einer solchen Partei gewesen ist. Der Generalbundesanwalt unterlässt es, zwischen den einzelnen Konfliktarten in der Region im Einzelfall zu unterscheiden und sieht faktisch jeden bewaffneten Akteur als Partei im Konflikt. Dies verkennt die unterschiedliche Art von Konflikten in der Region. Es muss unterschieden werden, welche Gruppen die humanitär-völkerrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, Konfliktpartei zu sein und wem sie gegenüberstehen. Davon zu unterscheiden sind Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung zum einen durch den pakistanischen Staat, zum anderen durch die USA. Durch die Generalisierungen der Konfliktparteien und Konfliktarten wendet der Generalbundesanwalt Rechtsrahmen auf Situationen an, für die die rechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Damit missachtet der Generalbundesanwalt grundlegende Schutzstandards für die Zivilbevölkerung und fundamentale Menschenrechte wie das Recht auf Leben oder auf ein faires Verfahren.

Daraus folgt, dass die Ermittlungen an die zuständige lokale Staatsanwaltschaft hätten abgegeben werden müssen, da die Tötung außerhalb eines bewaffneten Konflikts stattgefunden hat. Der Generalbundesanwalt hat seine Zuständigkeit überschritten und anschließend nicht so umfassend ermittelt, wie es seine Pflicht im Rahmen von Tötungsdelikten ist.

Fußnoten:

    Im Folgenden „Drohne“ oder „Kampfdrohne“.
    Siehe § 152 Absatz 2 StPO, § 160 StPO, § 7 Absatz 1 StGB.
    Die offene Version der Einstellungsverfügung des Generalbundesanwalts vom 20.06.2013 ist abrufbar unter: www.generalbundesanwalt.de/docs/drohneneinsatz_vom_04oktober2010_mir_ali_pakistan.pdf; die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 01.07.2013 ist abrufbar unter: www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=15&newsid=482.
    Idem.
    Generalbundesanwalt, Verfügung vom 20. Juni 2013, S. 17.
    Generalbundesanwalt, Verfügung vom 20. Juni 2013, S. 18.
    Generalbundesanwalt, Verfügung vom 20. Juni 2013, S. 24.
    Generalbundesanwalt, Verfügung vom 20. Juni 2013, S. 6.
    Generalbundesanwalt, Verfügung vom 20. Juni 2013, S. 6.
    Siehe B. Emmerson, Bericht des UN-Sonderberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, 18. Sept. 2013, A/68/389, Ziff. 32.
    Siehe B. Emmerson, Bericht des UN-Sonderberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, 18. Sept. 2013, A/68/389, Ziff. 32.
    K.-H. Schmid in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 172, Rn. 34.

* S. 2-4 des Gutachtens
** S. 23 des Gutachtens.

 

 

Verwiesen sei auch auf den jüngst erschienenen Beitrag von Peter Becker, "Rechtsprobleme des Einsatzes von Drohnen zur Tötung von Menschen" in "Die Öffentliche Verwaltung" (DÖV), Juli 2013, S. 493-502, der sich eingehend mit derselben Thematik befasst.