In dem Urteil des Amtsgerichts (3 Ds 2010 Js 13035/15) wurde Hermann Theisen zu Unrecht der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten in zwei Fällen für schuldig befunden

 

Stellungnahme zum Urteil des Amtsgericht Cochem vom 29.2.2016 (3 Ds 2010 Js 13035/15) gegen Herman Theisen, durch das dieser der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten in zwei Fällen für schuldig befunden wurde.

 

 

I

Herman Theisen könnte sich nur dann strafbar gemacht haben, wenn die Verteilung der Flugblätter den Tatbestand des § 111 StGB erfüllt.

 

Unter Berücksichtigung der völker- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte ist jedoch zweifelhaft, dass Herman Theisen mit der Verteilung des Flugblattes zur unbefugten Offenbarung von Dienstgeheimnissen nach § 353b Abs. 1 StGB aufgefordert hat. Denn schutzbedüftig ist ein Dienst- oder Staatsgeheimnis nur, wenn es mit der Verfassung und dem geltenden Recht in Einklang steht. Es kann kein rechtliches Erfordernis geben, die Geheimhaltung gegen das Recht zu sichern, wenn die Geheimhaltung nach der verfassungsmäßigen Ordnung Unrecht ist. Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands müssen als demokratischer Souverän davon erfahren, wenn die gewählte Regierung oder ihre Amtsträger die ihnen obliegende zentrale Verfassungspflicht verletzen, das geltende Recht ohne Ausnahme zu beachten.

Ohne Informationen darüber können die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte zur Mitwirkung am demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess nicht sachkundig wahrnehmen. Das hat der hochgeachtete SPD-Abgeordnete Adolf Arndt bereits 1963 klar erklärt: „Der Wille des Volkes , auch in Verteidigungsfragen (kann) sich in richtiger Weise nur bilden, wenn das Volk über Tatsachen unterrichtet wird, die für die Bildung seines Willens von Bedeutung sind.“ (NJW 1963, S. 25). Der BGH hat in dem den Whistleblower Werner Pätsch betreffenden Urteil (BHGSt 20, 342) 1965 entschieden, dass die Entscheidung des Widerstreits der Belange des Staates und der Grundrechte des Staatsbürgers nur in einem nach Güter- und Pflichtenabwägung vorgenommenen Ausgleich liege, wobei die Offenbarung von Staatsgeheimnissen zunächst mit dem naheliegensten und unschädlichsten Mittel begonnen werden müsse, nämlich dem nach Art. 17 GG eröffneten Petitionsweg an die zuständigen Behörden. Diese Einschränkung des Rechtes, sich mit der Rüge von öffentlichen Missständen sofort an die Öffentlichkeit zu wenden, gilt nach BGH aber nicht ausnahmslos. Es gebe einen Kernbereich des Verfassungsrechts, bei dessen Verletzung jeder das Recht haben muss, sofort und ohne Umweg die Öffentlichkeit anzurufen, auch wenn dies zwingend zur Preisgabe von Staats- oder Amtsgeheimnissen führt. Ein Verstoß müsse aber von einer gewissen Schwere sein.

 

Die in dem Flugblatt verlangten Enthüllungen sollen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands über den fortgesetzten Rechtsbruch der Teilnahme Deutschlands an der nuklearen Teilhabe, der Atomwaffenstationierung auf dem Fliegerhorst Büchel und der geplanten Atomwaffenmodernisierung informieren. Darin liegt angesichts der verheerenden Folgen des Einsatzes der in Büchel stationierten Atombomben und des potentiellen Gegenschlages ein die Existenz Deutschlands gefährdender, mithin außerordentlich schwerer Verfassungsverstoß.

 

Das Amtsgericht hat auch außer Acht gelassen, dass die Soldaten des Fliegerhorstes Büchel nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sein können, ihre Bedenken gegen die nukleare Teilhabe und die damit verbundenen Einsatzübungen durch Gegenvorstellungen gegenüber den Vorgesetzten geltend zu machen und etwaige Befehle zum Einsatz der Atomwaffen oder zum Üben des Atomwaffen-Einsatzes zu verweigern.

Die von dem Amtsgericht Cochem hervorgehobenen durch § 353 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgüter des Schutzes der Allgemeinheit und des Schutzes der Bundeswehr dürfen nicht um den Preis des Verfassungsbruchs geschützt werden. Dieser wird aber begangen, weil die in Büchel praktizierte nukleare Teilhabe Deutschlands gegen das Grundgesetz verstößt.

 

1) Die im Gewahrsam der US-Army in Büchel gelagerten Atomwaffen sollen im Fall des Einsatzes unter Tornado-Flugzeuge der Bundeswehr gehängt und von Bundeswehrsoldaten zu den Einsatzorten geflogen und abgeworfen werden, wobei der Einsatz von dem US-Präsidenten befohlen werden muss und im Rahmen der NATO stattzufinden hat. In dem Einsatz würden dann bis zum Abwurf deutsche Hoheitsträger die tatsächliche Verfügungsgewalt über Atomwaffen erhalten. Entsprechendes gilt für etwaige Einsatzübungen mit Atombomben. Damit würde Deutschland gegen Art. 2 des 1970 in Kraft getretenen Nichtverbreitungsvertrages (NPT) verstoßen, ausweislich dessen die Bundesrepublik verbindlich auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet hat. In Art. 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12.9.1990 hat Deutschland den Verzicht auf die Verfügungsgewalt über Atomwaffen ausdrücklich bekräftigt. Diese völkerrechtlichen Verträge binden gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch die Bundesregierung und die Bundeswehrbediensteten.

 

2) Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes der in Büchel stationierten Atombomben und der Drohung damit ergibt sich aus dem humanitären Völkerrecht. Darauf hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) in seinem für die UN-Generalversammlung am 8. Juli 1996 erstellten Rechtsgutachten ausdrücklich hingewiesen. In dem für alle Staaten verbindlichen völkerrechtlichen Gutachten hat der IGH festgestellt: „Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.“ Denn das Völkergewohnheitsrecht verbietet im humanitären Völkerrecht zwingend die Verwendung von Waffen, die nicht zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und Zivilbevölkerung unterscheiden, die unnötige Grausamkeiten und Leiden verursachen und die unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft ziehen.

Offengelassen hat der IGH lediglich die Völkerrechtswidrigkeit im Falle der Existenzgefährdung eines Staates. Aus dem IGH-Gutachten ergibt sich jedoch, dass selbst im Falle einer extremen Notwehrsituation, in der das Überleben eines Staates auf dem Spiele steht, ein etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn er die genannten Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts beachten könnte. Diese Argumentation wird untermauert durch die ausdrückliche Feststellung in dem Gutachten des IGH, dass keiner der Staaten, die in dem Verfahren für die Rechtmäßigkeit des Atomwaffeneinsatzes eingetreten sind, dem Gericht Bedingungen dargelegt hat, unter denen ein Einsatz gerechtfertigt sein könnte. Die zum Zeitpunkt des Gutachtens existierenden Atomwaffen – soweit deren Existenz von den Atomstaaten eingeräumt worden ist – erfüllten die Anforderungen des humanitären Völkerrechts nicht. Das hat sich bis heute nicht geändert und gilt auch für die in Büchel stationierten B61-Bomben. Sie können bis heute nicht zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und Zivilbevölkerung unterscheiden, nicht unnötige Grausamkeiten und Leiden vermeiden und auch nicht vermeiden unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft zu ziehen.

Das humanitäre Völkerrecht gehört zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“, die nach Art. 25 GG Verfassungsrang haben und Bestandteil des Bundesrechtes sind. Auch daran sind Bundesregierung und Bundeswehrbedienstete nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden.

Dementsprechend hat das Bundesverteidigungsministerium 2006 in der Taschenkarte für die Soldaten „Druckschrift Einsatz Nr. 03 - Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“ die Soldaten ausdrücklich auf das Verbot des Einsatzes atomarer Waffen hingewiesen. Dieses Verbot hat konsequenterweise auch für die Vorbereitung dieses Einsatzes durch die Lagerung der Atomwaffen, die Stationierung und Bereitstellung der Einsatzflugzeuge und Einsatztruppen sowie die Einsatzübungen zu gelten. Denn aus der Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen ergibt sich, dass auch die Vorbereitungshandlungen völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen sind.

 

3) Herman Theisen hat

Mit einen Einsatzbefehl würden die Soldaten zu einem Verstoß gegen die “allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ aufgefordert werden. Nach § 10 Abs. 4 des Soldatengesetzes (SG) dürfen Befehle nur unter Beachtung der „Regeln des Völkerrechts“ erteilt werden. Entsprechend der Vorrangwirkung des Art. 25 S. 2 GG kann im Bereich der Bundeswehr ein militärischer Befehl eines Vorgesetzten, der den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ widerspricht, von Untergebenen keinen Gehorsam nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG beanspruchen. Der Soldat ist berechtigt, sich gegenüber einem militärischen Befehl auf das Grundrecht auf Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG zu berufen, wenn ihm die Ausführung des Befehls nach Abwägung aller maßgeblichen Umstände nicht zugemutet werden kann (BVerwG Urteil vom 21.6.2005 – 2 WD 12/04). Art. 25 GG verdrängt insoweit die Rechtswirkungen des § 11 Abs. 1 SG. Der Untergebene hat also, wenn ein Befehl „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ verletzt, diese Regeln anstelle des ihm erteilten Befehls zu befolgen.

 

Mit dem Einsatzbefehl würde von den am Einsatz der Atomwaffen beteiligten Soldaten zudem die Begehung von Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach § 7 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) und von Kriegsverbrechens nach § 8 VStGB verlangt werden. Mit dem Völkerstrafgesetzbuch hat Deutschland die Straftatbestände des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichthofs – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – in das deutsche Strafrecht übernommen. Die beteiligten Soldaten wären wegen Beihilfe zu bestrafen. Ihr Handeln auf Befehl wäre kein Schuldauschließungsgrund, weil alle Soldaten mit der Taschenkarte des Bundesverteidigungsministeriums ausdrücklich über das bedingungslose Verbot des Einsatzes von Atomwaffen belehrt worden sind.

 

II

Nicht strafbar ist es, Soldaten aufzufordern, eingehend zu prüfen, ob ihnen ihr Gewissen die Ausführung eines militärischen Befehls verbietet. Es ist auch nicht strafbar, an Soldaten zu appellieren, ihre Pflichten zu erfüllen und rechtliche Grenzen einzuhalten. Die Bundeswehrsoldaten in Büchel haben das Recht und dienstrechtlich sogar die Pflicht, die Ausführung der Einsatz-Befehle zu verweigern und Gegenvorstellung bei ihren Vorgesetzten zu erheben.

 

Ergänzend soll vorsorglich darauf hingewiesen werden, dass das Amtsgericht Cochem bei der gebotenen Rechtsgüterabwägung nur die durch die Offenbarung von Dienstgeheimnissen entstehenden Gefahren für die Allgemeinheit durch die Offenbarung der Militär- und Verteidigungsstrategien und die persönlichen Gefahren für Soldaten und Bedienstete berücksichtigt hat. Unterlassen worden ist die Abwägung der von der Stationierung der Atomwaffen ausgehenden Gefahren für die Allgemeinheit und die Soldaten und die Bediensteten. Diese bestehen in der Gefahr von Unfällen mit radioaktiver Verstrahlung der Umgebung, der Gefahr von Terroranschlägen und der Gefahr des Einsatzes der Atomwaffen mit der Folge des den Standort treffenden atomaren Gegenschlages. In dem Flugblatt hat Herman Theisen auf die Gefahren der Atomwaffenrüstung für die gesamte Menschheit hingewiesen.

 

 

Bernd Hahnfeld, IALANA