Das am 19.03.2019 verkündete Drohnenurteil ist seit dem 09.04.2019 im Internet. Da es als Ausdruck 43 engzeilige bedruckte Seiten umfasst, (der Umdruck ist 139 Seiten stark!), hat es wohl kaum jemand richtig studiert.

Hier zur schriftlichen Urteilsbegründung (pdf)

1. Schon die Leitsätze zeigen, wie tief das Gericht eingestiegen ist. Zum Beispiel:

LS 3: Die Exekutive hat im Völkerrecht (VR) keinen nicht justiziablen Beurteilungsspielraum. Das heißt, dass das Gericht ins VR einsteigen muss, was es auch getan hat.

LS 8: „Das Gebot der Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten ist […] Teil des Völkergewohnheitsrechts“: Das stammt aus dem Drohnenurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.04.2016 (Wolfgang Jung).

LS 10: Die US-Annahmen eines globalen Krieges gegen den Terror und eines Rechts auf präventive Selbstverteidigung bieten ein erhebliches Risiko von Verstößen gegen das VR.

LS 12: Das völkerrechtliche Verbot willkürlicher Tötungen verlangt, dass wirksame amtliche Ermittlungen durchgeführt werden.

2. Wichtige Feststellungen des Urteils:

Es lag, wie schon das VG angenommen hat, eine Klagebefugnis vor (Ergebnis der Vorgaben im Jung-Urteil).

Die Kläger können in ihrem Grundrecht aus Art. 2 verletzt sein. Dabei bezieht sich das OVG auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Brücke von Varvarin und zu Kundus (Rz. 115).

Ein Verweis auf US-Gerichte ist unzulässig (Rz. 128).

Die Zustimmung der BRD zum Bau der Relaisstation umfasste „keine generelle Billigung […] jeglicher Drohneneinsätze“ (Rz. 183).

Der Staat hat eine Schutzpflicht für das Leben (Rz. 187 f.).

Es bestehen zahlreiche Hinweise für Drohneneinsätze, die über Ramstein gesteuert werden (Rz. 229-266). Dabei bezieht sich das Urteil auch auf Scahill/Intercept und auf die „LUFTPOST“, die Webseite von Wolfgang Jung (Rz. 257 + 266); des Klägers im Vorverfahren.

Wichtig waren auch Aussagen von Brandon Bryant im NSA-Untersuchungsausschuss (Rz. 283 f.).

Beurteilungsgrundlage sind vor allem das Humanitäre Völkerrecht (Rz. 297) und die UN-Charta, dort das Gewaltverbot als allgemeiner Grundsatz des VR (Rz. 298).

Ein Recht auf sogenannte „präventive Selbstverteidigung“ gibt es nicht. Hier bezieht sich das Urteil auf das Irak-Urteil von 2005 (Rz. 329, 330).

Maßstäbe setzt das Urteil dann mit den Ausführungen zum ZP II (Rz. 349-409).

Das OVG geht auch auf die Menschenrechte ein und bezieht sich dabei auf das IGH-Gutachten von 1996 (Rz. 410 ff., bes. 416).

Das OVG sieht gewichtige Ansatzpunkte für rechtswidrige Drohneneinsätze, die über Ramstein gesteuert wurden (Rz. 429).

In diesem Zusammenhang wird der „einheitliche, potenziell weltweite bewaffnete Konflikt“ der US-Sicht kritisiert (Rz. 460 ff., bes. 464, dann weiter bis Rz. 485).

Für die Kläger begründet die US-Einsatzpraxis erhebliche Gefahren (Rz. 532).

Die Bundesregierung ist dem daraus entstehenden Schutzanspruch bisher „nur unzureichend nachgekommen“ (Rz. 535, 554 und 567).

Daher muss sich die Bundesregierung „durch geeignete Maßnahmen vergewissern“, ob Drohneneinsätze regelgerecht stattfinden, und „erforderlichenfalls auf Einhaltung des VR gegenüber den USA einwirken“, so der Urteilstenor.

21.5.2019

Dr. Peter Becker - Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats