Leserbrief  von Bernd Hahnfeld an die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betr.: "Diplomatisches Minenfeld" von Nikolaus Busse in der FAZ vom 23.3.2013:

Der Bericht von Nikolaus Busse baut auf der unzutreffenden Behauptung auf, "dass die Bundesregierung über den Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht alleine entscheiden kann, sondern dazu die Zustimmung Washingtons braucht und im Bündnis mit seinen 28 Mitgliedern einen Konsens herstellen muss."


Tatsache ist, dass die US-Regierung kein Recht auf die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland hat, und dass der Abzug der Atomwaffen nicht von der Zustimmung der 28 Nato-Mitgliedstaaten abhängig ist.

Seit 1953 stationieren die USA Atomwaffen auf dem Boden Deutschlands. Das Besatzungsrecht, insbesondere die Haager Landkriegsordnung gab der damaligen Besatzungsmacht USA zwar nur das Recht, Waffen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im besetzten Deutschland bereit zu halten. Jedoch hat der damalige Bundeskanzler der Stationierung von US-amerikanischen Atomwaffen zugestimmt. Der Nato-Vertrag von 1949, dem die Bundesrepublik 1955 beigetreten ist, sah kein ausdrückliches Recht der Stationierungsmächte vor, Atomwaffen nach Deutschland zu bringen. Der im Jahre 1955 in Kraft getretene Aufenthaltsvertrag gab den Stationierungsstaaten nur allgemein das Recht, Streitkräfte der gleichen Effektivstärke wie zuvor in Deutschland zu stationieren. Atomwaffen werden in ihm nicht erwähnt. Selbst wenn diese unter den Begriff Effektivstärke zu fassen waren, so ist dieses Recht mit dem 2+4-Vertrag entfallen. Die Fortgeltung des Aufenthaltsvertrages ist 1990 und 1994 durch einen Notenwechsel von Botschaftern vereinbart worden, dem später der Bundestag zugestimmt hat. Jedoch ist dabei die Fortdauer der Stationierung von Atomwaffen weder im Bundestag noch in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Wegen der existentiellen Bedeutung für die souverän gewordene Bundesrepublik hätte die Frage der weiteren Stationierung von US-Atombomben aber nicht nur durch Vereinbarungen von Botschaftern, sondern mit der notwendigen öffentlichen Beteiligung und Diskussion im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren geregelt werden müssen.
Letztlich kann diese Frage dahingestellt bleiben. Denn entscheidend ist, dass weder der NATO-Vertrag, das NATO-Truppenstatut, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, der Aufenthaltsvertrag noch sonstige völkerrechtliche Vereinbarungen Deutschland verpflichten, völkerrechtswidrige Handlungen von NATO-Partnern hinzunehmen oder zu unterstützen.

Die Stationierung von B61-Atomwaffen ist völkerrechtswidrig. Ihr Einsatz ist völkerrechtlich verboten. Denn das Völkergewohnheitsrecht verbietet im humanitären Kriegsvölkerrecht zwingend die Verwendung von Waffen, die nicht zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und Zivilbevölkerung unterscheiden, die unnötige Grausamkeiten und Leiden verursachen und die unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft ziehen. Für Atomwaffen hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) in seinem Gutachten vom 8.7.1996 auf Ersuchen der UN-Generalversammlung festgestellt: „Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.“

Offengelassen hat der IGH lediglich die Völkerrechtswidrigkeit im Falle der Existenzgefährdung eines Staates. Aus dem IGH-Gutachten ergibt sich jedoch, dass selbst im Falle einer extremen Notwehrsituation, in der das Überleben eines Staates auf dem Spiele steht, ein etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn er die genannten Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts beachten könnte. Diese Argumentation wird untermauert durch die ausdrückliche Feststellung in dem Gutachten des IGH, dass keiner der Staaten, die in dem Verfahren für die Rechtmäßigkeit des Atomwaffeneinsatzes eingetreten sind, dem Gericht Bedingungen dargelegt hat, unter denen ein Einsatz gerechtfertigt sein könnte. Die zum Zeitpunkt des Gutachtens existierenden Atomwaffen – soweit deren Existenz von den Atomstaaten eingeräumt worden ist – erfüllten mithin die Anforderungen des humanitären Kriegsvölkerrechts nicht. Das gilt auch für die in Büchel weiterhin stationierten B61-Bomben.

Wenn der Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz rechtswidrig sind, sind auch die Herstellung, der Transport und die Stationierung von Atomwaffen nicht zu rechtfertigen.

Abgesehen von der oben begründeten Völkerrechtswidrigkeit eines solchen Einsatzes verstößt die fortdauernde Fähigkeit und Bereitschaft der Bundeswehr zum Einsatz der US-amerikanischen Atomwaffen in Büchel mit deutschen Tornado-Kampfflugzeugen (nukleare Teilhabe) gegen den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) von 1968 und gegen den 2+4-Vertrag von 1990, die beide einen ausdrücklichen Verzicht auf die (Mit-)Verfügungsgewalt über atomare Waffen enthalten.

Die Bundesregierung missachtet mit der bewussten Duldung oder der Billigung der Stationierung ihre Verpflichtung aus Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 25 GG. Danach ist sie an Recht und Gesetz gebunden und darf einen völkerrechtswidrigen Zustand auch nicht stillschweigend hinnehmen. Vielmehr ist die Bundesregierung nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, den gesetz- und völkerrechtswidrigen Zustand umgehend zu beenden.

Die Zustimmung der anderen 27 Nato-Mitgliedstaaten zur Beendigung der Atomwaffenstationierung in Deutschland ist nicht erforderlich. Der Nato-Vertrag enthält kein ausdrückliches Recht der Nato zur Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten. Jedoch verpflichtet der Nato-Vertrag alle Mitgliedsstaaten zur strikten Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Rechte und Pflichten nach der UN-Charta. Damit ist auch die Nato an die völkerrechtliche Bewertung der Atomwaffen durch den IGH in Den Haag gebunden. Die Bundesregierung bedarf zur Beendigung der Stationierung von Atomwaffen in Deutschland keines völkerrechtlichen Vertrages mit den Nato-Verbündeten und keines Ratifizierungsgesetzes. Das der Stationierung zugrundeliegende strategische Konzept der NATO ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.11.2001 (2 BvE 6/99) kein Vertrag, der förmlich abgeändert oder gekündigt werden müsste. Der politische Wille und eine entsprechende Regierungserklärung reichen aus.

Der Forderung der – nach dem 2+4-Vertrag endgültig souverän gewordenen – Bundesrepublik nach dem ersatzlosen Abzug der Atomwaffen hätte die Regierung der USA Folge zu leisten.