veröffentlicht in: Friedensforum 1 / 2019 S. 24 f.

Der Beschluss vom 15. März 2018, die Verfassungsbeschwerde von Dr. Elke Koller nicht zur Entscheidung anzunehmen, ist in den Medien irreführend als Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dargestellt worden. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch mit dem Beschluss gerade nicht zur Entscheidung angenommen worden. Der veröffentlichte Beschluss ist also eine Nicht-Entscheidung, die konsequenterweise auch nicht „Im Namen des Volkes“ verkündet worden ist, wie § 25 Abs. 4 BVerfGG für Entscheidungen vorschreibt.

Außerdem ist der Beschluss bereits aus formalen Gründen rechtswidrig. Die drei Richter der Kammer haben die Beschwerdeführerin dem gesetzlichen Richter entzogen. Sie waren verpflichtet, die Verfassungsbeschwerde dem gesamten Senat vorzulegen, weil darin grundsätzliche Rechtsfragen zu entscheiden waren. Denn zu prüfen war die Frage, ob sich Elke Koller als Anwohnerin des Atomwaffen-Stationierungsortes unmittelbar auf Art. 25 Abs. 2 GG und die "allgemeinen Regeln des Völkerrechts" berufen kann.


Eine Bindungswirkung des Nichtannahmebeschlusses nach § 31 Abs. 1 BVerfGG tritt nicht ein. Diese Vorschrift lautet: "Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gericht und Behörden." Sie gilt nur für Entscheidungen, nicht jedoch für Nicht-Entscheidungen wie dem Nichtannahmebeschluss.

Die unzulässig von den drei Richtern gegebenen Antworten auf die vom gesamten Senat des Bundesverfassungsgerichts zu entscheidenden Grundsatzfragen sollen nicht unwidersprochen bleiben. Elke Koller hat in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch zwei Instanzen vergeblich versucht, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, auf den Abzug der in Büchel stationierten US-amerikanischen Atomwaffen und die Beendigung der Nuklearen Teilhabe hinzuwirken. Das Bundessministerium für Verteidigung hatte das 2009 abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Köln hat die dagegen gerichtete Klage 2011 als unzulässig abgewiesen. Elke Kollers Antrag auf Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Münster 2013 abgelehnt. Dagegen hat sie Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügt die Verletzung ihrer Grundrechte auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf Eigentum sowie die Verletzung völkerrechtlicher Schutzpflichten Deutschlands.


Vom gesamten Senat zu prüfen war damit die Frage, ob ein Deutschland zurechenbarer Eingriff in Grundrechte Elke Kollers vorliegt und hinreichend überzeugend dargelegt worden ist.


Die drei Richter meinen, die Stationierung der US-Atomwaffen sei Deutschland nicht zuzurechnen. Das könnte nach ihrer Auffassung nur dann der Fall sein, wenn die Bundesregierung eine darin liegende Grundrechtsverletzung zumindest in Kauf nimmt. Die Richter täuschen und widersprechen sich, wenn sie darauf abstellen, dass die Verantwortung Deutschlands für die Einhaltung der Grundrechte auf deutschen Boden dort endet, wo „ein Vorgang in seinem wesentlichen Verlauf von einer fremden Macht nach ihrem, von der Bundesrepublik unabhängigen Willen gestaltet wird“. Selbst der von ihnen zitierte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht die Verantwortung des Stationierungsstaates für Menschenrechtsverletzung eines Drittstaates auf seinem Gebiet dann gegeben, wenn diese mit der stillschweigenden oder ausdrücklichen Billigung des Stationierungsstaates geschieht. Das ist vorliegend der Fall, wo die praktizierte Nukleare Teilhabe Deutschlands an der Atomwaffenstrategie der USA und der NATO von der Bundesregierung nicht nur stillschweigend sondern sogar ausdrücklich gebilligt und gewünscht wird - gegen die 2010 von der großen Mehrheit des Bundestages erklärte Aufforderung an die Bundesregierung, sich für den Abzug der Atomwaffen einzusetzen.

Damit und mit ihrer Zustimmung zu der Modernisierung der in Büchel stationierten atomaren A61-Fliegerbomben verstößt die Bundesregierung gegen das Völkerrecht und setzt sich über die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung hinweg. Die Bundesregierung hat es in der Hand, die Atomwaffenstationierung und die Nukleare Teilhabe durch eine politische Erklärung gegenüber den NATO-Verbündeten zu beenden, wie das die NATO-Mitgliedsländer Norwegen, Spanien, Dänemark, Litauen und Island durch ihren Verzicht getan haben. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2001 ist das strategische Konzept der NATO kein Vertrag, der förmlich gekündigt oder abgeändert werden müsste. Der Ausstieg Deutschlands ist formlos möglich.

Zwar trifft es zu, dass Deutschland durch diverse völkerrechtliche Vereinbarungen den USA die Nutzung von Liegenschaften, ihre Nukleare Teilhabe und damit die Stationierung der Atomwaffen in Büchel gestattet hat. Auch hat die BRD seit den 50/60-er Jahren der Beschränkung ihrer Kontrollrechte zugestimmt. Diese Einschränkungen haben jedoch nicht zur Folge, dass die deutschen Behörden Völkerrechtsbrüche hinnehmen müssen.


Dementsprechend wird in dem ablehnenden Beschluss auch erklärt, dass die deutschen Staatsorgane verpflichtet sind, das Völkerrecht durchzusetzen, wenn dritte Staaten es auf deutschen Boden verletzen. Deutsche Behörden und Gerichte dürfen Verstöße gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, zu dem auch das humanitäre Völkergewohnheitsrecht gehört, auch dann nicht hinnehmen oder daran mitwirken, wenn sie von Hoheitsträgern der USA begangen werden.

Die im Einsatzfall vorgesehene Weitergabe der US-Atomwaffen an Soldaten der Bundeswehr verstößt auf Seiten der USA gegen Art. 1 des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) und auf Seiten Deutschlands gegen Art. 2 NPT. Die USA darf die Verfügungsgewalt über Atomwaffen nicht an den Nichtatomwaffenstaat Deutschland abgeben. Deutschland darf diese nicht von den USA annehmen. Die Richter wollen nicht anerkennen, dass bereits die Stationierung der Atomwaffen die völkerrechtlich verbotene Drohung mit dem Einsatz gegen einen potentiellen Angreifer darstellt. Warum liegen sie denn dort einsatzbereit?

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat unmissverständlich erklärt, dass der Einsatz dieser Waffen und dessen Androhung gegen das für alle Staaten der Welt verbindlich geltende humanitäre Völkergewohnheitsrecht verstoßen.


Nicht nachvollziehbar ist die Feststellung der Richter, dass der IGH ein gewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes von Atomwaffen und dessen Androhung in seinem Gutachten vom 8.7.1996 nicht erkennen konnte. Das Gegenteil ist der Fall! Der IGH hat in seinem Gutachten deutlich gemacht, dass selbst in extremen Notwehrsituationen ein etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn dabei die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts beachtet werden können. Der IGH hat erklärt, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta durch das humanitäre Völkerrecht eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden.“ Das sollte eindeutig sein!


Die IGH-Richter haben nur im Hinblick auf die seinerzeit technisch nicht auszuschließenden angeblich „sauberen“ kleinen taktischen Atomwaffen dargelegt, „nicht genügend Grundlagen zu haben, die sie in die Lage versetzen, mit Sicherheit zu entscheiden, dass die Anwendung von Atomwaffen unter allen Umständen in Widerspruch steht zu den Prinzipien und Regeln des für den bewaffneten Konflikt verbindlichen Rechts.“ Solche nicht radioaktiv strahlenden, Zivilisten und Kombattanten unterscheidende Atomwaffen, die zudem keine besonderen Qualen verursachen und neutrale Staaten nicht in Mitleidenschaft ziehen, gab es damals nicht und gibt es nach allen zur Verfügung stehenden Informationen auch heute nicht.

Zwar hat der IGH in seiner Antwort an die Generalversammlung unter E (2) 1996 formuliert: "Allerdings kann der Gerichtshof angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Verteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiele stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre." Aber: Eine rechtliche Erlaubnis für den Atomwaffenbesitz der Atomwaffenstaaten hat der IGH trotz der missverständlichen Formulierung an keiner Stelle des Gutachtens ausgesprochen. Auch „erlaubt“ der IGH an keiner Stelle des Gutachtens den Einsatz von Waffen, die mit dem humanitären Völkerrecht unvereinbare Schäden verursachen.


Die drei Richter verneinen die Existenz eines völkergewohnheitsrechtlichen Verbots auch deshalb, weil das tatsächliche Verhalten der Atomwaffenstaaten entgegensteht. Dabei verkennen sie, dass sich das Verbot aus dem unangefochtenen humanitären Völkergewohnheitsrecht ergibt.

Unverständlich ist, dass die Richter die von den Atomwaffen für die Anwohner ausgehende Gefahr gleichsetzen mit der „unüberschaubar großen Zahl von Anwohnern und Nutzern vieler im Bundesgebiet vorhandener gefährdeter sowie gefährlicher Einrichtungen.“ Damit verharmlosen sie die akute Gefahr des gegen den Stationierungsort geführten Erstschlages sowie den nahezu sicheren Gegenschlag nach einem Einsatz.


Ein Klagerecht des Bürgers aufgrund allgemeiner völkerrechtlicher Normen wie dem Gewaltverbot lehnen die drei Richter ab. Das Grundgesetz habe keine Popularklage eröffnen wollen. Das GG wird damit sehr einseitig ausgelegt, denn Art. 25 GG erklärt, „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ... erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets.“

Die rechtliche Auseinandersetzung um die in Deutschland stationierten Atomwaffen und die Nukleare Teilhabe Deutschlands harrt nach wie vor der verfassungsgerichtlichen Klärung und wird weiter geführt werden.