Widerspruch gegen die Behauptung der Bundesregierung, die von Deutschland im Rahmen der NATO praktizierte nukleare Teilhabe verstoße nicht gegen den Nichtverbreitungsvertrag (NPT – BGBl. 1974 II S.786)

Bernd Hahnfeld

 

Das in Büchel stationierte Jagdbombergeschwader 33 der Bundeswehr hat im Rahmen der nuklearen Beihilfe der NATO die Aufgabe, mit den Tornado-Flugzeugen die Beförderung und den Abwurf der dort stationierten Atombomben zu üben und diese im Kriegsfall zu den Zielgebieten zu fliegen und sie dort abzuwerfen, nachdem der US-Präsident sie freigegeben und das US-Militär sie einsatzbereit geschaltet hat. Damit erlangen die Bundeswehrsoldaten im Kriegsfall unter dem Schutz der NATO die Verfügungsgewalt über Atomwaffen – unabhängig davon, dass im Rahmen der Modernisierung die Freischaltung der Waffen lediglich für den Abwurf an den von den USA vorgesehenen Zielen wirksam ist. Hinweise dafür, dass in Friedenszeiten Atombombenabwürfe nicht nur mit Übungsbomben sondern mit realen Atombomben stattgefunden haben, gibt es nicht.

 

Als Vertragspartei des NPT ist der Nichtatomwaffenstaat Bundesrepublik nach Art. 2 NPT verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemanden unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“. Entsprechend ist die USA nach Art. 1 NPT verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“. Die Bundesregierung behauptet, dass diese Verpflichtungen nicht uneingeschränkt gelten, weil die nukleare Teilhabe bereits vor Unterzeichnung des NPT am 1. 7.1968 (durch die Bundesrepublik erst im November 1969) bestanden habe.

Tatsächlich hat die Bundesrepublik bereits in den 50-er Jahren eigene Trägersysteme für die in Deutschland stationierten Atomwaffen der USA und des Vereinigten Königreichs bereit gehalten. Dabei ist von Bedeutung, dass die nukleare Teilhabe keine völkervertragliche Basis hat. Im NATO-Vertrag ist die nukleare Teilhabe nicht geregelt. Sie ist lediglich ein Teil der NATO-Strategie. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass für ihre Abänderung kein Vertrag erforderlich ist.1 Sie könnte durch eine Erklärung der Bundesregierung aufgegeben werden.

 

Der Wortlaut des NPT ist eindeutig. Eine Ausnahme für die im Rahmen der nuklearen Teilhabe stationierten Atomwaffen ist nicht vorgesehen. Damit stellt sich die Frage, ob die Bundesrepublik bei der Unterzeichnung und bei der Ratifizierung des NPT einen förmlichen Vorbehalt erklärt hat, durch den sie sich im Kriegsfall das Recht auf die Verfügungsgewalt über Atomwaffen vorbehalten hat.

 

Die Bundesregierung hat am 28. November 1969 anlässlich der Unterzeichnung des NPT u.a. erklärt:

„Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ...

(4) geht davon aus, daß die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die NATO gewährleistet bleibt; sie bleibt ihrerseits den kollektiven Sicherheitsregeln der NATO uneingeschränkt verpflichtet;“

 

Bei derselben Gelegenheit hat die Bundesregierung in einer den damaligen Vertragspartnern des NPT übermittelten Note u.a. erklärt:

„Die Bundesregierung geht davon aus, ...

  • daß die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verbündeten weiterhin durch die NATO oder ein entsprechendes Sicherheitssystem gewährleistet bleibt,“

 

In einer Erklärung der Bundesregierung vom 2. Mai 1975 anlässlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden zum NPT heißt es u.a.:

„Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ...

2. geht davon aus, das die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die NATO gewährleistet bleibt; die Bundesrepublik Deutschland bleibt ihrerseits den kollektiven Sicherheitsregeln der NATO verpflichtet.“

 

Alle Erklärungen bezeichnen die Waffen nicht, mit denen nach den kollektiven Sicherheitsregeln der NATO der Schutz der Bundesrepublik gewährleistet werden sollte. Obwohl das besondere Interesse der Bundesrepublik der Fortexistenz der nuklearen Teilhabe und der Sicherung der Europäischen Option galt,2 sind Atomwaffen in den Erklärungen nicht ausdrücklich genannt. Nach dem Wortlaut der Erklärungen ist nicht ausgeschlossen, dass die NATO die Bundesrepublik ausschließlich mit konventionellen Waffensystemen verteidigen sollte. Auch ergibt sich aus den Erklärungen nicht, dass die seinerzeit bereits praktizierte nukleare Teilhabe nach dem Inkrafttreten des NPT fortgesetzt werden sollte.

 

Dennoch behauptet die Bundesregierung, dass der NPT der nuklearen Teilhabe nicht entgegensteht. Sie beruft sich dabei auch auf die bei der Unterzeichnung und der Ratifizierung abgegebenen Erklärungen.

 

Ob es sich bei diesen Erklärungen um völkerrechtlich wirksame Vorbehalte handelt, ist im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK – BGBl 1985 II S. 927) völkerrechtlich verbindlich geregelt. Ergibt die Auslegung, dass mit den Erklärungen der Bundesrepublik der Inhalt des NPT geändert ( z. B. eingeschränkt) werden sollte, liegt nach Art. 2 Absatz 1 lit d WVK ein Vorbehalt vor. Dabei hängt die Feststellung, ob es sich um einen Vorbehalt handelt, nicht von der Bezeichnung der Erklärung ab, sondern ausschließlich von deren Inhalt.3

 

Bei der Auslegung ist laut Art. 31 WVK der Wortlaut maßgeblich, gegen das, was die Parteien bei Abschluss des Vertrages subjektiv mit den verwendeten Formulierungen meinten.4 Die auch als Gewohnheitsrecht geltende Schlüsselbestimmung Art. 31 Abs.1 WVK lautet: „Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.“

 

Zulässig sind nach Art. 19 lit c WVK nur Vorbehalte, die mit Ziel und Zweck des Vertrages nicht unvereinbar sind. Das von der Bundesregierung angesprochene Sicherheitssystem der NATO sieht im Kriegsfall im Rahmen der nuklearen Teilhabe die Übergabe von Atomwaffen an Bundeswehrsoldaten, die deutsche Hoheitsträger sind, vor. Mit der Übergabe der Atomwaffen würde der NPT praktisch ausgehebelt, weil dessen Sinn und Zweck darin besteht, dass Atomwaffenstaaten keine Atomwaffen an Nichtatomwaffenstaaten übergeben und diese keine Verfügungsgewalt über Atomwaffen ausüben dürfen. Weitere Regelungen sind in Art 1 und 2 NPT nicht enthalten. Die Fortgeltung der nuklearen Teilhabe (d. h. die Übertragung der Verfügungsgewalt über Atomwaffen im Kriegsfall) auch nach Inkrafttreten des NPT würde den Wortlaut und den Sinn und Zweck des NPT in sein Gegenteil verkehren. Sie kann gemäß Art. 19 lit c WVK nicht Inhalt eines völkerrechtlichen Vorbehalts sein und ist als Vorbehalt unwirksam.

 

Die Erklärungen der Bundesregierung können lediglich als Interpretationserklärungen angesehen werden. Diese unterscheiden sich von einem Vorbehalt dadurch, dass sie nicht den Ausschluss oder die Änderung einer Vertragsbestimmung bezwecken, sondern lediglich die Klarstellung.5 Mehr noch als ein Vorbehalt darf eine Auslegung nicht dem unmissverständlichen Wortlaut oder dem Ziel und Zweck des gesamten Vertrages widersprechen. Das wäre jedoch bei der „Klarstellung“ der Bundesregierung der Fall, die im Kriegsfall eine Übertragung der Verfügungsgewalt über Atomwaffen bedeutet. Sie ist nach Art. 31 Abs.1 WKV und entsprechend Art. 19 lit c WVK unzulässig und damit ohne Rechtswirkung. Möglicherweise übereinstimmende bilaterale Interpretationen der Bundesregierung und der USA (Rusk-Brief), die im Kriegsfall die Kernvorschriften des NPT gegenstandslos machen würde, stellt die Wirksamkeit des NPT nicht infrage und berechtigt die beiden Staaten nicht, den Vertrag zu brechen.

 

Auch das seit Bestehen der nuklearen Teilhabe praktizierte Üben des Abwurfes von Atombomben verlangt keine andere Bewertung. Zwar ist gemäß Art. 31 Abs.3 lit b WVK „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages“ zu berücksichtigen. Jedoch nur, wenn aus ihr „die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht.“ Die Proteste zahlreicher Nicht-Atomwaffenstaaten gegen die nukleare Teilhabe sprechen dagegen.

 

Festzuhalten ist: Einen völkerrechtlich wirksamen Vorbehalt über die Fortgeltung der nuklearen Teilhabe hat die Bundesrepublik weder bei der Unterzeichnung noch bei der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden erklärt. Auch durch eine derartige Vertragsauslegung lässt sich die nukleare Teilhabe nicht völkerrechtlich rechtfertigen.

 

Zwar nehmen alle NATO-Staaten nach wie vor den sog. “Kriegsvorbehalt“ in Anspruch. Danach soll der NPT dann nicht mehr gelten, wenn „eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird“ („in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre“).6 Wenn dieser öffentlich verschwiegene Kriegsvorbehalt völkerrechtlich wirksam wäre, würde er den NPT und das in ihm enthaltene Verbot der Weitergabe von Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten im Spannungs- und Kriegsfall praktisch gegenstandslos machen.

Belege für das völkerrechtlich wirksame Zustandekommen eines förmlichen Vorbehalts zu Art. II des NPT sind der Öffentlichkeit bislang nicht vorgelegt worden. Es bestehen gewichtige völkerrechtliche Einwände gegen seine Wirksamkeit, und zwar sowohl hinsichtlich des Verfahrens (fehlende nachgewiesene Kenntnisgabe an die NPT-Vertragspartner gem. Art. 23 WVK) als auch in materieller Hinsicht (Vereinbarkeit i.S.v. Art. 19 WVK mit Ziel und Zweck des NPT).

 

Die Übergabe der entsperrten Atomwaffen im Kriegsfall an Soldaten der Bundeswehr verletzt den NPT. Wenn der Transport und der Abwurf von einsatzbereiten Atomwaffen durch Bundeswehrsoldaten rechtswidrig sind, lässt sich auch das Üben insoweit nicht mit dem Völkerrecht rechtfertigen.

 

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls von Bedeutung, dass nach dem Gutachten des Internationale Gerichtshof (IGH)7 die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Zwar hat der IGH im Tenor seines Gutachten auch erklärt, dass er angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden kann, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Diese Aussage ist der Tatsache geschuldet, dass nach der Feststellung des IGH keiner der Staaten, die für die Rechtmäßigkeit der Anwendung von Atomwaffen eintreten, näher ausgeführt hat, welche die genauen Bedingungen sein würden, die solch eine begrenzte Anwendung rechtfertigen.8 Der IGH konnte nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass es künftig Atomwaffen geben könnte, welche die Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen könnten.

 

Entscheidend ist, dass der IGH in den Gründen seines Gutachtens wiederholt betont hat, Notwehr sei nur mit Waffen erlaubt, deren Anwendung den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts nicht widersprechen; der IGH hat erklärt, dass das Notwehrrecht nach Art. 51 UN-Charta durch das humanitäre Völkerrecht eingeschränkt ist, „welche Mittel der Gewalt auch eingesetzt werden.“9 Damit ist Notwehr mit Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtlich verboten, weil diese nach dem gegenwärtigen Stand der Waffentechnik nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden, vor allem durch ihre radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen und neutrale Staaten grenzüberschreitend in Mitleidenschaft ziehen.

 

Eine abweichende Notwehr-Regel für extreme Notwehrlagen, in denen das Überleben eines Staates auf dem Spiel steht, ist dem Völkerrecht nicht zu entnehmen. Die Bedingungen des humanitären Völkerrechts können die im Rahmen der nuklearen Teilhabe in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht erfüllen. Dementsprechend hat das Bundesministerium der Verteidigung in der Ausgabe 2006 der Taschenkarte den Soldaten der Bundeswehr ausdrücklich den Einsatz von Atomwaffen untersagt.10

 

Die Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts gehören laut IGH zum internationalen Gewohnheitsrecht.11 Sie sind nach Art. 38 IGH-Statut geltendes Völkerrecht und in Deutschland als allgemeine Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG vorrangiger Bestandteil des Bundesrechts. Der NPT selbst gilt in der Bundesrepublik seit der Ratifizierung nach Art. 59 Abs. 2 GG als innerstaatlich anzuwendendes Völkervertragsrecht.

 

Nach Art. 20 Abs. 3 GG sind die Bundesregierung und alle Soldaten der Bundeswehr ausnahmslos an dieses Recht gebunden. Sie könnten ihre Teilnahme an einem Atomwaffeneinsatz nicht rechtfertigen. Alle für den Atomwaffeneinsatz Verantwortlichen wären in diesem Fall wegen Völkerrechtsverbrechen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

 

 

 

 

1 BVerfGE 104, 151-214

2 Matthias Küntzel, Bonn und die Bombe, Deutsche Atomwaffenpolitik von Adenauer bis Brandt, Frankfurt/M. 1992, S. 143

3 Heintschel von Heinegg in Ipsen, Völkerrecht 6. Auflage, § 15 RdNr. 2

4 Wolfgang Graf Vitzthum in Wolfgang Graf Vietzthum, Völkerrecht 4. Auflage, 1.Abschnitt RdNr. 123; von Heinegg aaO § 12 RdNr. 12

5 von Heinegg aaO §15 RdNr. 4

6 Vgl. dazu die dem Deutschen Bundestag von der Bundesregierung für die Beratung des Zustimmungsgesetzes vor der Ratifizierung des NPT vorgelegte Denkschrift des Auswärtigen Amtes. In dieser wird die entsprechende US-amerikanische „Interpretationserklärung“ („Rusk-Brief“) wiedergegeben und in der Bundestagsdrucksache 7/994, S. 17 auch veröffentlicht. Sie wurde und wird aber öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Die Bundestagsdrucksache 7/994 ist hier einsehbar: http://www.ialana.de/images/pdf/arbeitsfelder/atomwaffen/atomsperrvertrag/Seite_16-20_aus_0700994.pdf.

7 Rechtsgutachten des IGH vom 8. Juli 1996 – abgedruckt in IALANA, Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster 1997

8 IGH aaO Ziffer 94

9 Ziffern 40, 41, 42, 78 des Rechtsgutachtens, Ziff. 42 wörtlich: „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann allein für sich genommen die Anwendung von Atomwaffen in Notwehr nicht unter allen Umständen ausschließen. Aber gleichzeitig muß eine Gewaltanwendung, die nach dem Notwehrrecht verhältnismäßig ist, um rechtmäßig zu sein auch die Forderungen des für bewaffnete Konflikte verbindlichen Rechts erfüllen, was insbesondere die Grundsätze und Regeln des humanitären Völkerrechts umfaßt.“

10 Druckschrift Einsatz Nr. 03 – Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Grundsätze – August 2006 DSK SF009320187

11 IGH-Gutachten aaO Ziff. 79