Erklärung IALANA-Deutschland vom 5.4.2019

 

Der INF-Vertrag wurde von der US-Regierung am 1.2.2019 gekündigt. Als Reaktion darauf hat die russische Regierung ihrerseits den Vertrag ausgesetzt. Die jetzt laufende Übergangsfrist für Verhandlungen beträgt sechs Monate. Lassen die Vertragsparteien diese Frist ungenutzt verstreichen, wird die Kündigung der US-Regierung am 2.8.2019 wirksam. Die wechselseitigen Vorwürfe, mit denen die Kündigung bzw. Aussetzung begründet wurden, sind bekannt. Allerdings wurde den von russischer Seite erhobenen Vorwürfen in den öffentlichen Medien in Deutschland wenig Beachtung geschenkt. Entsprechendes gilt für die Entgegnungen der russischen Regierung auf die Behauptung, Russland habe den INF-Vertrag durch Konstruktion und Stationierung von SSC-8-Raketen einseitig verletzt.

Diese tendenziöse Berichterstattung findet ihre Entsprechung in den Verlautbarungen führender Politiker der EU-Mitgliedstaaten und der Mitgliedstaaten der NATO, welche stereotyp den Vorwurf der USA wiederholen, ohne sich dabei mit dem Fehlen von Beweisen oder mit den Argumenten und Überprüfungsangeboten der russischen Regierung auseinanderzusetzen.

Auch die Stellungnahmen der Bundesregierung bewegen sich ungeachtet der Feststellungen und Empfehlungen der deutsch-russisch-US-amerikanischen Deep Cuts Commission auf dieser Linie. Unlängst am 1.4.2019 erhob Außenminister Maas in einer Rede vor dem American Council on Germany (ACG) erneut den Vorwurf, Russland habe einseitig den INF-Vertrag gebrochen. Es müsse „darum gehen, Russland zur Einhaltung internationaler Regeln zurückzuführen“.

Die von der Bundesregierung sonst unterstützte Deep Cuts Commission hatte bereits im März 2018 von den Regierungen beider Staaten und der NATO „dringende Schritte zur Vermeidung eines neuen nuklearen Wettrüstens und gefährlicher Fehlkalkulationen“ gefordert, und zwar:

- die sofortige Verlängerung des New START-Treaty bis 2026 - verstärkte Anstrengungen zur Klärung der Fragen bezüglich der Einhaltung des INF-Treaty - die Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Dialogs über strategische Stabilität - einen ständigen Dialog zwischen den Militärs über Schlüsselprobleme.

 

Zur Bewahrung des INF-Vertrages wurde von der Commission vorgeschlagen, „US-amerikanische und russische Vertreter sollten ihre Bemühungen zur Klärung der Vertragseinhaltung intensivieren. Sie sollten erwägen, ob Vorführungen sowie technische Briefings einerseits helfen können, die Fragen bezüglich der Reichweite der russischen bodengestützten Marschflugkörper 9M729 (SSC-8) zu klären und andererseits sicherstellen können, ob die Fähigkeiten von Mk-41-Startgeräten an den Raketenabwehrstandorten „Aegis Ashore“ in Rumänien und Polen nur SM-3-Abfangraketen tragen. Darüber hinaus könnten Inspektionen überprüfen, ob die strittigen Systeme mit den Bestimmungen des INF-Treaty konform gehen.“

(https://www.ialana.de/images/pdf/arbeitsfelder/atomwaffen/atomare%20abruestung/inf-vertrag/deep_cuts_commission_1804018_DEU.pdf )

 

Hierzu müsste nur das bewährte Verifikationssystem zur Durchführung des INF erneut genutzt werden. Die zitierten Forderungen und Empfehlungen der Deep Cuts Commission waren und sind zu unterstützen.

Bedauerlicherweise haben sie aber in den vergangenen 12 Monaten weder von der EU noch von ihren Mitgliedstaaten die notwendige Unterstützung erhalten, obgleich inzwischen auch weitere Experten bzw. Thinktanks die Richtigkeit dieser Empfehlungen bekräftigt haben. Außerdem gibt es auch zusätzliche Hinweise darauf, dass die von den USA in Rumänien stationierten und für Polen vorgesehenen Aegis-Startgeräte keineswegs nur SM-3-Abfangraketen starten können, sondern - ohne aufwendige Umrüstungsaktionen - auch die schon bisher auf US-Kriegsschiffen installierten vorgefertigten Kanister-Module mit Cruise missiles.

Diese sind, klassische Angriffswaffen und können mit nuklearen Sprengköpfen versehen werde. Dabei handelt es sich um nukleare Mittelstreckenwaffen der vom INF verbotenen Kategorie. Verboten sind schon die für sie geeigneten Abschussvorrichtungen.

 

Weitere Bedenken gegen die behauptete Defensivfunktion erwachsen aus der Tatsache, dass die Aegis-Abwehrraketen technisch gesehen gar nicht für ihren behaupteten Zweck, die Abwehr iranischer Langstreckenraketen geeignet sind. Wie Prof. Theodore Postol – Träger des Whistleblowerpreises 1999 und hochgeachteter Militärexperte des MIT - nachgewiesen hat, ist dafür ist ihr Radarradius zu klein und ihre Geschwindigkeit zu gering. Das verstärkt russische Befürchtungen, dass die Abschussanlagen weniger der Abwehr als einem eventuellen Angriff dienen sollen.

Postol wörtlich:

Die mechanischen und elektronischen Bauteile der in Rumänien und Polen installierten Aegis-Systeme sind identisch mit den Bauteilen der auf Kriegsschiffen eingebauten Aegis-Systeme, die von Anfang an so konstruiert wurden, das sie sowohl Abfangraketen als auch Marschflugkörper abschießen können [s. dazu auch https://apps.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a183944.pdf ]. Die Behauptung, landbasierte Aegis-Systeme könnten keine Marschflugkörper starten, ist so wenig glaubwürdig wie die Behauptung, eine Computer-Workstation könne keine USB-Speichersticks lesen oder keine Bilder von Videokameras empfangen. Das ist einfach gelogen und widerspricht dem Konstruktionsprinzip des Aegis-Systems“ (übersetzt und zitiert nach http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_19/LP03319_180319.pdf ).

 

Vor dem Hintergrund, dass trotz aller Lippenbekenntnisse bis heute keine ernsthaften Bemühungen um den Erhalt des INF-Vertrages erkennbar sind, warnt IALANA ebenso wie viele andere Friedensorganisationen mit Nachdruck vor den Gefahren eines neuen atomaren Wettrüstens.

IALANA ruft in Erinnerung, dass alle Staaten der Welt völkerrechtlich zur vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichtet sind (Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8.7.1996). In Deutschland haben in allen Meinungsumfragen der vergangenen Jahre mehr als 2/3 der befragten Menschen einen Abzug aller in Deutschland befindlichen atomaren Sprengköpfe und Atombomben sowie eine Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrag von der Bundesregierung gefordert.

IALANA fordert die USA und Russland auf, die Kündigungen des INF-Vertrag zur Kontrolle nuklearer Mittelstreckensysteme zurückzunehmen und konstruktive Verhandlungen über die Einhaltung des Vertrages, sowie zur Klärung strittiger Fragen betreffend die Reichweite der russischen Marschflugkörper 9M729 und betreffend die von den USA in Rumänien und Polen stationierten Mk-41-Startgeräte zu führen.

IALANA fordert die USA und Russland ferner auf, den bis 2021 befristeten New Start-Treaty sofort zu verlängern, und zwar bis mindestens 2026.

IALANA mahnt die Bundesregierung, den vom Bundestag in seiner Abrüstungsdebatte am 26.3.2010 gefassten Beschluss in politisches Handeln umzusetzen.

IALANA fordert die Bundesregierung auf, sich nicht an einem drohenden Wettrüsten zu beteiligen und endlich jegliche Art der sogenannten nuklearen Teilhabe zu beenden, Deutschland atomwaffenfrei zu machen und dafür zu sorgen, dass die US-Atombomben aus Büchel in Rheinland-Pfalz abgezogen werden.

IALANA fordert die Bundesregierung auf, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen und darauf hinzuwirken, dass auch andere Mitgliedstaaten der EU, sowie auch die EU selbst diesen Vertrag unterzeichnen und ratifizieren. 

 

5.4.2019