Ergänzter Teil des Referats von der IALANA-Veranstaltung zu den Giftgas-Angriffen in Syrien vom 30.11.2018

I.

Der Einsatz von Giftgas in militärischen Auseinandersetzungen ist völkerrechtlich seit langem und vielfach geächtet:

Nach der Haager Konvention von 1899 mit dem Verbot, „solche Geschosse zu verwenden, deren einziger Zweck ist, erstickende oder giftige Gase zu verbreiten“, kommt es zur Haager Landkriegsordnung vom 1907 mit den Bestimmungen: „Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl ihrer Mittel zur Schädigung des Feindes“ und „namentlich untersagt ist die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen“ (Art. 22 f).

Proklamiert vom deutschen Kaiser an der Spitze der Staatsmänner wurde das Abkommen insbesondere von Deutschland schamlos gebrochen in den Kämpfen des ersten Weltkriegs. Ich erinnere nur an Ypern. Die schrecklichen Bilder und Erfahrungen, der Tod von insgesamt ca. 100.000 Opfern und 1,3 Mio Verletzten im ersten Weltkrieg führten zum Genfer Giftgasprotokoll von 1925:

In Erwägung, dass die Verwendung von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen ..im Kriege mit Recht in der allg. M. der zivilisierten Welt verurteilt worden ist, und dass das Verbot dieser Verwendung in den Verträgen ausgesprochen worden ist, an denen die meisten Mächte der Welt beteiligt sind“ erkennen die unterzeichneten Staaten dieses Verbot an „ ...in der Absicht, eine allgemeine Anerkennung dieses Verbots, das in gleicher Weise eine Auflage für das Gewissen wie für das Handeln der Völker bildet, als eines Bestandteils des internationalen Rechts zu erreichen.“

Die Vereinbarung hatte durchaus Erfolg: trotz Entwicklung wirksamer Nervengase wie Sarin in den 30er Jahren und Ansammlung von ca. 500.000 to C-Waffen weltweit bis 1945 , gab es keine Anwendung von Giftgasen im zweiten Weltkrieg. Das Verbot des Einsatzes von Giftgas entsprechend dem Protokoll von 1925 ist inzwischen Teil des Völkergewohnheitsrechts. Es bindet damit auch Staaten, die das Protokoll nicht unterzeichnet haben.

Dennoch gab es nach 1945 immer wieder Verstöße.

Ich nenne nur als Stichworte: Vietnam: Agent Orange oder Irak: „Chemie Ali“ gegen Kurden. Die Anwender beriefen sich jeweils darauf, das Giftgasprotokoll sei nicht einschlägig: Agent Orange sei kein „gleichartiges Gas“. Oder: das Protokoll sei nicht anwendbar auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Einen eindeutigen Vertragsbruch gab es aber auch: im ersten Golfkrieg Irak gegen Iran (1980-88) führte der Irak 64 Giftgaseinsätze mit Senfgas. Das führte zu mehreren 10.000 Opfern unter Soldaten und Zivilbevölkerung . Dagegen kam keine Resolution des UN-Sicherheitsrates zustande, weil Sadam Hussein damals als Verbündeter des Westens galt und die USA eine Verurteilung verhinderten.

In den Jahren nach 1945 standen die  Atomwaffen im Vordergrund. Erst nach Abschluss des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) 1968 kamen die anderen Massenvernichtungswaffen wieder in den Blick. 1972 wurde die Biowaffenkonvention abgeschlossen; dann wurde 20 Jahre weiter verhandelt über die C-Waffen, ab Mitte der 70er über Verifikation, über Vor-Ort-Kontrollen (ab 1987) und dann bis 1992 über die Verifikation in den privaten Chemiebetrieben.

Die Chemiewaffenkonvention vom 13.1.1993 - „Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen“ (CWC) (hier zitiert nach Bundesgesetzblatt 1994, Teil II, S. 808 bis 963)

Mit der Ratifikation verpflichteten sich die Staaten, unter keinen Umständen jemals chemische Waffen einzusetzen (Artikel I b CWC) , aber auch, umgehend ihre Bestände zu deklarieren und bis 2012 alle Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht zu vernichten. 1997 trat die CWC in Kraft zwischen damals 65 Staaten, die das Abkommen ratifiziert hatten. Nachdem Syrien unter internationalem Druck die Konvention 2013 auch ratifiziert hat , fehlen von den 197 Staaten der Welt nur 4 Staaten: Ägypten, Nordkorea, Südsudan und Israel (hat unterzeichnet, aber nicht ratifiziert). Nach der Präambel sind die Vertragsstaaten

entschlossen zu handeln, um wirksame Fortschritte in Richtung auf eine allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle einschließlich des Verbots und der Beseitigung aller Arten von Massenvernichtungswaffen, zu erzielen“

und weiter: „ entschlossen, im Interesse der gesamten Menschheit die Möglichkeit des Einsatzes chemischer Waffen durch die Anwendung dieses Übereinkommens vollständig auszuschließen und dadurch die mit dem Genfer Protokoll von 1925 eingegangenen Verpflichtungen zu ergänzen"

Aus der Formulierung „vollständig auszuschließen“ wird hergeleitet, dass die CWC auch Anwendung finden soll auf bewaffnete Konflikte, die nicht als Kriege im klassischen Sinne anzusehen sind, ebenso auch auf Oppositionsgruppen in einem Bürgerkrieg. Auch Mitglieder nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen können ja wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Das Abkommen enthält auf über 50 Seiten detaillierte Bestimmungen vor allem zur Durchführung der Kontrollen und verweist dazu dann auf den weitere 100 Seiten starken Verifikations-Anhang, der die Inspektionen bis in die Einzelheiten regelt.

Mit der Überwachung der Einhaltung der Konvention wurde die „Organisation of the Prohibition of Chemical Weapons“ (OPCW) mit Sitz in Den Haag beauftragt. Ihr höchstes Organ ist die Staaten-Konferenz, sie tagt alle 4 Jahre. Jeder Vertragsstaat hat eine Stimme. Ausführendes Organ ist das technische Sekretariat, bestehend aus Inspektoren unter einem von der Staatenkonferenz aller Vertragsstaaten gewählten Generaldirektor. Das Sekretariat ist strikt unabhängig, die Inspektoren arbeiten vor Ort in einer Art Diplomatenstatus und genießen Immunität. Sie berichten dem Generaldirektor.

Russland vernichtete im September 2017 die letzten Reste seines einstigen Riesenarsenals von 40.000 Tonnen Chemiewaffen. Präsident Wladimir Putin forderte bei diesem Anlass, nun sollten auch die USA wie vereinbart ihre letzten chemischen Waffen abrüsten. "Sie haben schon dreimal die Frist zur Vernichtung hinausgeschoben, auch unter dem Vorwand, dass die nötigen Mittel im Haushalt fehlen, was, ehrlich gesagt, merkwürdig klingt". In Aussicht genommen ist nun von den USA das Jahr 2023.

Nach dem Beitritt Syriens zur CWC war die Vernichtung der Chemiewaffenarsenale mit über 1.500 to und der dazu gehörigen Produktionseinrichtungen vorgesehen bis Ende Juni 2014. Bis dahin waren tatsächlich 100% der von Syrien deklarierten Waffen und Grundstoffe der gefährlichsten Kategorien zumindest aus Syrien weggeschafft zur Vernichtung auf hoher See. Zuletzt wurden 18 Container verschifft vom Gelände einer Fabrik, zu der die syrische Regierung mehrere Monate keinen Zugang gehabt hatte, weil das Gebiet an die Rebellen gefallen war. Auch wurden den Inspektoren 2 herrenlose Behälter übergeben, welche die syrische Regierung als mögliche Chemiewaffen bezeichnete, die ihr aber nicht gehörten. Die Untersuchung ergab, dass sie Sarin enthielten (Note by the Director General of the OPCW von Juli 2014 unter 4a und 9).

 

II.

Welcher Mechanismus ist in der CWC vorgesehen für einen vermuteten schweren Verstoß eines Vertragsstaates?

Es findet zunächst eine Verdachtsinspektion statt, bis Juni 2018 ausschließlich zu dem Zweck, Tatsachen über eine mögliche Nichteinhaltung der CWC festzustellen (Art. IX, Abs.9 S.836) , also nicht dazu, wer es getan hat. Der Generalsekretär stellt nach Meldung des Verdachts ein geeignetes Inspektorenteam zusammen , das binnen 24 Stunden nach Eingang der Meldung entsendet werden soll (Teil XI Verfikationsanhang Abs.12 – S. 960) , unter Gewährleistung dessen Sicherheit (ebda, Abs.11). Das Team hat Zugang zu dem behaupteten Einsatzort, zu Krankenhäusern, etc. , kann Zeugen befragen, Proben am Tatort entnehmen wie Rückstände toxischer Chemikalien, Bodenproben, Reste von Munition und Geräten, auch biomedizinische Proben von Mensch oder Tier. Wenn dabei oder in späteren Laboranalysen Informationen auftauchen, die etwas aussagen können über die Herkunft eingesetzter chemischer Waffen, soll das mit berichtet werden ( Abs. 26 – S. 963 im Verifikations-Anhang).

Art. XII der CWC handelt von den „Maßnahmen zur Bereinigung einer Lage und zur Gewährleistung der Einhaltung dieses Übereinkommens, einschließlich Sanktionen“ .Er ist bemerkenswert kurz: der Exekutivrat der Staatenkonferenz trifft sog. „Maßnahmen zur Bereinigung der Lage“ mit Ziel der Wiedereinhaltung der Konvention, kommt der Staat dem nicht nach, kann die Staatenkonferenz seine Rechte aussetzen bis er gehorcht, bzw. den Vertragsstaaten „gemeinsame Maßnahmen in Einklang mit dem Völkerrecht empfehlen“. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen setzt die OPCW unmittelbar die UN-VV und den Sicherheitsrat in Kenntnis (Art XII, Abs.4 der CWC); dabei erhalten diese alle angefallenen Informationen und Schlussfolgerungen (Art. 8 Abs.36 – S. 831).

Hiernach ist die Modellvorstellung der CWC deutlich: die OPCW bringt ihr gemeldete schwerwiegende Verstöße nach Abklärung der Fakten vor den UN-Sicherheitsrat der dann die Fakten bewertet und ggf. zur Täteridentifikation weitere Maßnahmen treffen soll, i.d.Regel unter Heranziehung der Inspektoren der OPCW. Täteridentifikation heißt hier: hat der betr. Staat die CWC verletzt ? Danach entscheidet der SR über Sanktionen gegen den Verletzerstaat wegen des Verstoßes.

 

III.

Individuelle Verantwortlichkeit handelnder Personen

Diese Frage muss scharf unterschieden werden vom Verstoß eines Staates gegen die Chemiewaffenkonvention. Der Einsatz von Giftgas ist nämlich auch ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht. Art. 8 Abs.2 lit. b) Ziff. 18 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998 definiert als Kriegsverbrechen u.a.die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase“ und unter lit. d) Ziff 1 vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche oder einzelne Zivilpersonen, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen“.

Und auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) bedroht in § 12 mit Freiheitsstrafe den, der

(1) ... "im Zusammenhang mit einem internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ….biologische oder chemische Waffen verwendet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 den Tod oder die schwere Verletzung einer Zivilperson, wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Führt der Täter den Tod vorsätzlich herbei, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren."

Für die Strafverfolgung zuständig sind zunächst die nationalen Gerichte; wenn sie nicht tätig werden und der betreffende Staat dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) vertraglich zugestimmt hat , der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Weiter kann der Sicherheitsrat entweder dem ICC durch besonderen Beschluss die Strafverfolgung für einen Komplex übertragen oder einen Ad-hoc- Gerichtshof einrichten. Syrien hat das Römische Statut nicht ratifiziert, so dass der ICC in Syrien nicht tätig werden kann, es sei denn, der Sicherheitsrat beauftragt ihn.

Verfolgen können solche Verbrechen aber auch u.U. die Strafgerichte anderer Länder nach dem Weltrechtsprinzip, wenn ihre Strafnormen die Verfolgung von schweren Delikten auch erlauben, obwohl der Tatort im Ausland liegt und obwohl der Täter nicht eigener Staatsangehöriger ist. Das ist z.B. in Deutschland nach dem Völkerstrafgesetzbuch möglich.

IV.

Feststellungen im Fall der Giftgaseinsätze in Syrien

Die Frage, ob die syrischen Streitkräfte - insbesondere auch noch nach dem Beitritt Syriens zur Chemiewaffenkonvention im September 2013 – im Kampf gegen den IS und andere Rebellengruppen Giftgas eingesetzt haben, ist von besonderer Bedeutung, nachdem der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 2118 (2013) vom 27.9.2013 unter Ziff. 1 bindend festgestellt hat, dass der Einsatz chemischer Waffen, gleichviel wo er stattfindet, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt und die Giftgaseinsätze in Syrien schärfstens missbilligt hat.

Als gesichert kann gelten, dass im Krieg in Syrien seit 2012 in weit über hundert Fällen von wem auch immer Giftgas eingesetzt worden ist, überwiegend Chlorgas, aber in Einzelfällen auch Sarin und Senfgas.

Auch hier müssen wir Feststellungen zu einem etwaigen Verstoß des Staates Syrien gegen die Chemiewaffenkonvention unterscheiden von strafrechtlichen Ermittlungen gegen tatverdächtige Personen.

a) Zunächst zu der strafrechtlichen Seite:

Bereits am 22.8.2011 hatte der UN-Menschenrechtsrat (UN-HRC) eine 4-köpfige „Unabhängige internationale Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien“ gebildet unter der Leitung von Paulo Sergio Pinheiro. Ihr gehörte als einziges Mitglied mit Erfahrung in völkerstrafrechtlichen Verfahren Carla del Ponte an, die ehemalige Chefanklägerin des UN-Sondergerichtshofs für Jugoslawien.

Diese Kommission hat unter ihren vielen Aufgaben in einigen Berichten auch Giftgaseinsätze untersucht, von ihrem Ansatz her aber gleich unter der Frage: wer kann jeweils strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Sie hatte schwierige Randbedingungen (zu wenig Personal, durfte z.B nicht ins Land, die syrische Regierung bezweifelte die Unabhängigkeit der Untersuchung und arbeitete nicht mit ihr zusammen). Sie ermittelte daher vor allem in den Nachbarstaaten, viel in Flüchtlingslagern. Die Kommission vernahm über 6.000 Zeugen und sammelte ungeheure Mengen von Material für künftige Gerichtsverfahren.

Die Kommission hat mit ihrem 14.Bericht am 6.9.17 ein Schaubild – ohne nähere Erklärungen - zu “allen bekannten” Giftgaseinsätzen in Syrien veröffentlicht, wo sie im Entwurf zunächst alle aufgeführten 28 Fälle entweder der syrischen Regierung zuordnete oder anmerkte “Umstände ungeklärt”. Carla del Ponte “fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ausgewogen unsere Kommission berichtete”. Erst nach ihrem Protest wurden wenigstens 5 der Vorfälle den Rebellen zugeordnet, 6 blieben “ungeklärt”, darunter die Vorfälle Khan-Al Asal vom 19.3.13 und Ghouta vom 21.8.13, die inzwischen zumeist den Rebellen zugeschrieben werden. Immer wieder berichtet Carla del Ponte von Kontroversen mit dem amerikanischen Mitglied der Kommission. Soviel zur Unabhängigkeit der Kommission.

Wichtiger noch zum Beweiswert der Feststellungen: Die Kommission durfte nicht nach Syrien einreisen, hat also keinen der Tatorte besuchen und keine Augenzeugen vor Ort interviewen können. - Alle Feststellungen basieren im Kern auf Zeugenaussagen von Flüchtlingen in Lagern außerhalb Syriens. Jeder Strafverteidiger weiß um die geringe Qualität dieses Beweismittels. Die Zeugen haben schreckliches erlebt nach einem Gaseinsatz. Aber sie dürften in der Regel kaum zuverlässige Beobachtungen zur Frage gemacht haben, wie und wer das eingesetzt hat.

Die Kommission beklagte immer ihre zu geringen Kapazitäten und dass ihre mühsam gewonnenen Spezialisten mit entsprechenden Sprachkenntnissen immer wieder weg versetzt wurden. C.del Ponte in ihrem 2018 erschienenen Buch “Im Namen der Opfer” resümiert:

Unser Mandat war, die Täter zu identifizieren. Doch am Tatort waren wir nicht , und die verschiedenen Seiten haben uns den Zugang zu aufschlussreichen Unterlagen verweigert. Ressourcen hatten wir zu wenig und zu wenig Geld für umfassende Ermittlungen. Vielen der gesammelten Indizien müsste noch auf den Grund gegangen werden, sonst würden die Beweise vor einem Strafgericht nicht standhalten.” (S. 181)

Die veröffentlichte Liste ist zudem undurchsichtig und widersprüchlich: darin sind Vorfälle der syrischen Regierung zugerechnet, die in früheren Berichten der Kommission über den selben Zeitraum nicht einmal erwähnt wurden und solche, bei denen es in früheren Berichten hieß, eine Zuordnung sei nicht möglich gewesen.

Angesichts der Tatsache, dass auch bei den Untersuchungen von OPCW /JIM nur zu wenigen Gaseinsätzen Urteile über den Verursacher getroffen werden konnten, wird jetzt von manchen auf die “gesicherten und unbestreitbaren Feststellungen der UNHRC-Kommission mit 20: 5 zu Lasten des Assad-Regimes” verwiesen. Das halte ich – aus den dargelegten Gründen – für unprofessionell und – wegen der politischen Folgerungen, die daraus gezogen werden, für indiskutabel.

Erwartung und begründete Hoffnung war, dass der Sicherheitsrat (SR) für die Verfolgung dieser Verbrechen den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) beauftragen oder doch einen Ad-Hoc-Gerichtshof einsetzen würde wie im Fall von Ex-Jugoslawien und Ruanda. Im Mai 2014 lag dem SR eine dahingehende Resolution vor, unterstützt von fast allen SR-Mitgliedern, von 65 weiteren Staaten und über 100 NGOs. Auftrag sollte sein, Verbrechen aller Beteiligten in Syrien zu untersuchen. Dennoch legten China und Russland im SR ihr Veto ein.

Nachdem der SR blockiert war, beschloss immerhin die UN-VV im Dezember 2016, wenigstens eine Assistenzkommission für die UN-HRC-Untersuchungsgruppe einzusetzen mit dem Ziel, das angesammelte Beweismaterial zu systematisieren und handhabbar für künftige Prozesse zu machen. Ihre Bezeichnung: IIIM („International, Impartial and Independent Mechanism“). Diese Kommission erarbeitet praktisch wie eine Staatsanwaltschaft Akten und Anklageschriften für ein noch unbekanntes Strafgericht.  Leiterin ist die Französin Catherine Marchi-Uhel seit Juni 2017. Finanziert wird die Kommission durch freiwillige Beiträge von z.Zt. 35 Staaten, sie ist praktisch ein Unterausschuss der UN-VV, also nicht von Vetos der 5 ständigen SR-Mitglieder bedroht, und hat im August 2018 ihren 2. Report vorgelegt. Die Kommission ist unterfinanziert. Sie hat nur ca. 20 Mitarbeiter – nur zum Vergleich: das Sondertribunal für Jugoslawien hatte 600 Mitarbeiter. Die Kommission bereitet seit Herbst 2018 einige Anklagen vor, die aber – soweit bekannt – nicht Giftgasangriffe betreffen.

Festzuhalten ist, dass es bisher bezüglich der Giftgasangriffe in Syrien strafrechtlich noch nicht einmal eine Anklage gibt geschweige denn Feststellungen in einem Gerichtsurteil.

 

b) Auch die Untersuchungen zur Frage, ob und welche Giftgaseinsätze in Syrien der Assad-Regierung als Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention angelastet werden können, haben bisher wenig Belastbares ergeben.

Zunächst hatte Ban Ki-Moon am 21.März 2013 eine Fact Finding Mission der UN eingerichtet zu den Beschuldigungen, in Syrien würden CW eingesetzt. Durchgeführt wurde sie von einem Team der OPCW unter der Leitung von Prof. Ake Sellström. Ihre Aufgabe war nur, festzustellen, ob Giftgas eingesetzt wurde, nicht von wem.

19. März 2013 Khan al-Assal

In erster Linie sollte die Kommission auf Bitte der syrischen Regierung den Vorfall vom 19.3.13 in Khan Al-Assal untersuchen, wo 25 Menschen, darunter auch Soldaten der syrischen Armee, durch Beschuss mit Boden-Boden-Raketen mit Sarin getötet oder verletzt wurden. Der Tatort lag in einem Gebiet unter Kontrolle der syrischen Regierungstruppen. Die Umstände sprachen für einen Sarin-Einsatz durch Rebellen. Die Westmächte hatten jedoch eilig 15 weitere, z.Teil weit zurückliegende angebliche Verstöße der syrischen Regierung gemeldet , die nun auch untersucht werden sollten – später erwiesen sich die Anschuldigungen als haltlos - und dadurch den Beginn der Untersuchung massiv verzögert. Später konnte die Kommission zu Khan Assal keine verwertbaren Ergebnisse mehr vorlegen. Russland hatte kurz nach dem Vorfall eine eigene Untersuchung durchgeführt und Proben in OPCW-zertifizierten Laboren durchführen lassen. Sie ergaben, dass nicht das aus der syrischen Giftgasproduktion in der chemischen Zusammensetzung bekannte Sarin verwendet worden war. Die Sellström-Kommission, der diese Ergebnisse zugänglich gemacht wurden, lehnte ihre Verwendung ab wegen fehlender „chain of custody“. (Damit wird der Grundsatz der OPCW benannt, Proben nur selbst zu entnehmen und dann den weiteren Gang der Proben incl. der Auswertung in Laboren unter genauer Überwachung zu halten.)

21.August 2013 - Ghouta

Bekannter wurde die Sellström-Kommission durch ihren Report über den Vorfall in Ghouta am 21.8.2013, der damals um ein Haar zu einem massiven Angriff der USA auf Syrien geführt hätte. Die Kommission war 2 Tage vorher in Damaskus eingetroffen war, um u.a. zu Khan Al Assal zu arbeiten. Sie sollte nun vorrangig diesen erneuten Giftgaseinsatz untersuchen. Am16.9.2013 berichtete sie, dort seien 3 Boden- Boden-Raketen mit Sarin gegen die Zivilbevölkerung im Rebellengebiet zum Einsatz gekommen. Die Zahl der Opfer war hoch. Glaubwürdige Angaben der Ärzte ohne Grenzen sprechen von 3.600 Patienten, von denen 355 verstorben seien. Andere Quellen zählten bis zu 1729 Todesopfer.

Konnte die syrische Regierung so unbesonnen sein, in dieser Situation den schon angekündigten Angriff des Westens zu provozieren? 2012 hatte ja Obama für weitere Chemiewaffeneinsätze eine rote Linie gezogen. Im August 2013 war aber Assads Armee auf der Gewinnerstraße , der Gaseinsatz gegen Zivilisten dazu ohne militärischen Wert, Das Urteil stand im Westen aber sofort fest: Assad hatte jetzt die rote Linie überschritten.

Die Kommission hatte nur insgesamt 7,5 Stunden Zeit an 4 Tagen eines Extra-Waffenstillstands , um die verschiedenen Tatorte im Rebellengebiet zu besichtigen, Zeugen zu vernehmen, Beweismittel zu sichern und Proben zu nehmen. Die Tatorte waren nicht abgesperrt oder besonders gesichert. Es wurden auch andere verdächtige Munitionsteile dort abgelegt, so dass mit Manipulation am Tatort gerechnet werden musste. Auch beim Besuch der Kommission liefen viele Passanten durch die Untersuchungsorte.

Zunächst wurde zur Begründung, dass es nur Assad gewesen sein konnte, angeführt, die Rebellen hätten weder Sarin noch Raketen besessen. Beides konnte widerlegt werden: bereits am 20.6. 2013 wies der US-Geheimdienst DIA darauf hin, dass die Nusra-Front eine Sarin-Produktions-Einheit habe und über Sarin verfügte (enthüllt von Seymour Hersh). Dazu ist auch darauf hinzuweisen, dass 12 Al Nusra-Leute im Juli, also einen Monat vorher im Süden der Türkei mit 2 kg Sarin festgenommen und bald nach Syrien abgeschoben wurden.

Entscheidend für Bewertung, dass es sich damals höchst wahrscheinlich um eine False Flag- Operation der Nusrafront gehandelt hat (um die USA zu einem massiven Militärschlag gegen Syrien zu bewegen), war aber, dass

a) die Fachleute A. Postol vom renommierten MIT und R.Lloyd nachwiesen, dass die eingesetzten Raketen nach ihrer Konstruktion nur kurze Entfernungen (ca. 2 km ) zurücklegen konnten, so dass sie nicht von dem weiter entfernten Regierungsgebiet abgeschossen worden sein konnten;

b) der brit. Geheimdienst das verwendete Sarin in Portondown hatte untersuchen lassen. Dabei wurde festgestellt, dass es sich unterschied von dem von Assad in seinen Giftgaswaffen verarbeiteten Sarin. Der US-Generalstab wies daraufhin Obama auf seine ernsten Zweifel hin, dass das Assad-Regime das Gas eingesetzt hätte. Darauf blies Obama den für den nächsten Tag geplanten Angriff ab. Statt dessen wirkten die USA und Russland gemeinsam daraufhin, dass Syrien umgehend im September 2013 der Chemiewaffenkonvention beitrat und damit sich verpflichtete, binnen kurzer Zeit seine Chemiewaffen zu vernichten.

 

Die Untersuchung der Giftgaseinsätze übernahm nun nach dem Beitritt Syriens zur CWC vertragsgemäß die OPCW - Fact Finding Mission (FFM). Sie untersuchte die ihr gemeldeten Giftgaseinsätze jeweils unter der Frage: kann dort der Einsatz von Giftgas nachgewiesen werden?

Seit April 2014 wurde von den FFM der OPCW regelmäßig an den SR berichtet, aber jede Zuschreibung vermieden, wer jeweils für den Einsatz verantwortlich war, wie das die CWC vorschrieb. Das wurde zunehmend als Manko begriffen.

Daher beschloss der Sicherheitsrat im August 2015 (Res. 2235 v. 7.8.15) , durchaus mit den Stimmen von China und Russland, zusätzlich einen Joint Investigation Mechanism (JIM) einzurichten, um die für den Einsatz von Chemiewaffen jeweils verantwortlichen Rechtsbrecher in Syrien auch zu identifizieren, also wiederum – wie schon bei der Überwachung der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen - einen gemeinsamen Untersuchungsmechanismus der OPCW und der UN.

Der JIM stützte sich unter der Leitung von zunächst Virginia Gamba (Albanien) , später von Edmond Mulet (Guatemala), auf die Untersuchungen der FFM der OPCW, untersuchte jetzt also nur die Fälle, in denen die FFM bereits nach ihren Kriterien Chemiewaffeneinsatz belegt hatte. Seine Tätigkeit war zunächst auf ein Jahr befristet, wurde dann aber mit der SR-Res. 2319 um ein weiteres Jahr verlängert bis 16.11.2017.

Der JIM erstellte zwischen Februar 2016 und November 2017 sieben Berichte. Im November 2017 scheiterte eine weitere Verlängerung am Veto Russlands (China enthielt sich). Russland warf dem JIM unprofessionelle Arbeit vor und bezweifelte seine Unabhängigkeit. Russlands Vorschlag, einen „Unabhängigen Ermittlungsmechanismus der UN“ selbst einzurichten, scheiterte im Januar 2018 an den USA, die auf der Erneuerung der JIM-Konstellation bestanden.

Die OPCW-FFM hatten von den bis 2015 bekanntgewordenen 116 Fällen 29 näher untersucht. Daraus übernahm der JIM 2015 dann 7 für die Untersuchung, später noch 7 dazu. Bei den 14 Fällen hat JIM bis November 2017 nur zu 6 Täter benannt, nämlich zu 2 Fällen ISIL (mit Senfgasgranaten) und zu 4 Fällen die syr. Regierung, darunter im Bericht von Oktober 2017 den Vorfall von Khan Sheikhoun vom 4.4.17, also den Vorfall, der – ohne die Ermittlungen abzuwarten - zu Trumps Angriff auf den Flugplatz von Sha‘irat geführt hat. In drei Fällen sollen syrische Hubschrauber Chlorgasbehälter abgeworfen haben, im Fall von Khan Sheikhoun ein Flugzeug einen Behälter mit Sarin. Zu den Ergebnissen des JIM, die wegen angeblicher Einseitigkeit für russischen Protest und dem Ende des JIM geführt haben, will ich gleich noch kritisch Stellung nehmen. Hier jetzt zunächst noch die weitere Entwicklung.

Nach dem Ende des JIM im November 2017 blieb die FFM der OPCW weiter tätig und untersuchte dann u.a. den Vorfall vom

7.4.2018 in Duma /Ost -Ghuta

angeblich mit Sarin, der von den USA, Frankreich und Großbritannien eine Woche später mit Angriffen auf den Flugplatz Dumayr, eine Forschungseinrichtung und ein angebliches Giftgaslager beantwortet wurde – wiederum ohne irgendwelche Beweiserhebungen abzuwarten. Zu diesem angeblichen Giftgaseinsatz gibt es bisher – bis Ende 2018 - nur einen Zwischenbericht der FFM von Juli 2018, wonach keinerlei Sarin zu finden war. Auch hier muss man am Ende vielleicht einen false-flag Einsatz konstatieren.

Nach dem Ende des JIM blieb es für die Völkergemeinschaft zunehmend unerträglich, dass die Untersuchungen der OPCW zu den Giftgaseinsätzen nicht mit der Feststellung der jeweils Verantwortlichen enden sollten und sich die strafrechtlichen Ermittlungen mangels Beauftragung des Internationalen Strafgerichtshofes durch den Sicherheitsrat hinzogen.

Auf einer außerordentlichen CWC-Staatenkonferenz im Juni 2018 wurde daher mit 2/3-Mehrheit gegen den Widerstand von 24 Staaten, darunter China, Russland, Syrien und Iran, beschlossen, dass die OPCW , sofern eine erste Untersuchung durch eine Fact-Finding Mission (FFM) bestätigen würde, dass auf dem Gebiet eines Vertragsstaates Giftgas eingesetzt wurde, auch die dafür Verantwortlichen identifizieren soll, weiter im Fall Syriens auch die vergangenen Einsätze, soweit noch keine abschließenden JIM-Berichte vorliegen, weiter untersucht werden sollen, um die jeweils Verantwortlichen festzustellen. Die regelmäßige Überprüfungskonferenz zur CWC im November 2018 bestätigte die Änderungen und setzte für die neue Ermittlergruppe auch Haushaltsmittel an , so dass diese jetzt ab 1.1.2019 tätig werden kann.

c) Kritik an den Ergebnissen des JIM

Zunächst muss hingewiesen werden auf einige grundlegende Fakten, die in vielen Beiträgen zum Thema nicht oder nicht ausreichend beachtet werden. Syrien hatte bis zum Jahr 2011 unter Verstoß gegen das Giftgasprotokoll von 1925 - mit Unterstützung deutscher Firmen - eine große Menge an Chemiewaffen industriell produziert und gelagert, darunter auch Sarin. Weiter wurde als dual-use-Produkt auch das für zivile Verwendungen unentbehrliche Chlorgas in mehreren Fabriken hergestellt. Nach Beginn der militärischen Auseinandersetzungen in Syrien verlor die Regierung die Kontrolle über große Gebiete an die Aufständischen. Dabei fielen diesen nicht nur zahlreiche Waffendepots der syrischen Armee in die Hände, sondern auch zwei Fabriken zur Herstellung von Chlorgas. In einer derselben östlich von Aleppo waren allein 400 to gelagert, die dann mit LKWs abtransportiert wurden – durch wen und wohin ?? Diese Umstände hat JIM selbst aufgeführt (3. Bericht vom 24.8.2016 unter Ziff. 40). Erst nach dem Beitritt Syriens zur CWC wurden die Bestände an Chemiewaffen – soweit unter Kontrolle der Regierung – ab Oktober 2013 außer Landes gebracht und vernichtet.

Dies hat zur Folge, dass aus der Tatsache, dass bei Chemiewaffeneinsätzen teilweise Produkte aus syrischer Fabrikation verwendet wurden, nicht geschlossen werden kann, dass diese von den syrischen Regierungstruppen eingesetzt worden wären. Bei Chlorgas kommt hinzu, dass die mehrfach eingesetzten 125 Liter - Gebinde in genau dieser Ausführung weltweit gehandelt werden und überall erhältlich sind (JIM, aaO., Ziff. 33-35).

In allen Untersuchungen von OPCW, JIM u.a. gab es keinerlei Hinweise darauf, dass russische Flugzeuge an Giftgasangriffen irgendwie beteiligt gewesen wären. In der nicht weiter begründeten Überzeugung, dass keine der vielen illegal im Luftraum über Syrien operierenden westlichen Luftwaffen so vermessen sein könnte, Chemiewaffen für eine false-flag-Operation einzusetzen, bleibt dann anscheinend nur die syrische Luftwaffe übrig.

Aber auch das greift zu kurz. Apodiktisch wird behauptet, die Rebellen hätten nicht über Flugzeuge etc. verfügt. Das gilt aber zumindest nicht für Helikopter, wie JIM selbst berichtet (aaO., Ziff. 43): die syrische Regierung hatte im Verlauf der Kämpfe die Kontrolle über 6 Flugplätze verloren; in einem Fall hatten die Rebellen 15 Helikopter erbeutet, davon 9 einsatzbereit. Zugleich wird in diesem Zusammenhang über zahlreiche Überläufer berichtet, auch unter Offizieren, also im üblichen Rang der Helikopterpiloten. In den Untersuchungen von JIM findet sich keine Information dazu, was aus den einsatzbereiten Helikoptern geworden ist. Es heißt nur, man habe keinen Nachweis, dass die Rebellen sie auch benutzt hätten. Falls sie aber zum Abwurf von CW benutzt wurden, hatten sie doch die perfekte Tarnung, waren in nichts von den Maschinen des syrischen Militärs zu unterscheiden. Da die meisten CW-Einsätze mit Chlorgas von Hubschraubern aus erfolgten, ist die insoweit vom JIM erfolgte Schlussfolgerung, mangels Helikoptern in Rebellenhand müssten diese Einsätze sämtlich durch die syrische Luftwaffe erfolgt sein, bisher nicht überzeugend. Für den Ausschluss der Alternative, dass auch Rebellen Helikopter genutzt hätten, ist m.E. angesichts der Faktenlage mehr nötig als der fehlende Nachweis.

 

Kritik an den Feststellungen des JIM im Fall Khan Sheikhoun vom 4.4.2017

Die OPCW hat aus früherer Zeit wegen der Qualität ihrer Arbeit einen guten Ruf. Auch für die Arbeit des JIM in Syrien legte sie im ersten Bericht vom 16.2.16 als Kriterien für Feststellung der Beteiligung dar, es müsse eine „überwältigende, substantielle und ausreichende Evidenz“ vorliegen. Zudem galten ihre strengen Arbeitsrichtlinien, z.B. musste für ein verwertbares Beweismittel die schon erwähnte “chain of custody” gewahrt sein: also eine lückenloser Verbleib einer Probe in der Obhut des OPCW von der Aufnahme vor Ort durch die Inspektoren bis zur Analyse parallel in 2 besonders zertifizierten Laboren.

Diese hehren Grundsätze hat der JIM im folgenden nicht eingehalten und damit seine Feststellungen auch angreifbar gemacht:

JIM war aus Sicherheitsgründen nach dem Gasangriff von Khan Sheikhoun (im Folgenden „KS“) zu keiner Zeit am angeblichen Tatort, einer Art großem Schlagloch in einer Straße außerhalb des Ortes. (JIM spricht immer vom „Krater“, was aber schon begrifflich eine Vorfestlegung auf „Folge eines Einschlags eines Objekts aus der Luft“ darstellt.) JIM hat diesen angeblichen Tatort allein nach Fotos Dritter ausgewertet und Gutachten zu den im Krater zu sehenden Metallteilen anfertigen lassen, die nur auf den Fotos basierten. Vor der Anfertigung der Fotos war der Krater nachweislich verändert worden (mindestens 3 Gegenstände eingebracht zur “Verstärkung” des Nachweises); später wurde er von den Rebellen zubetoniert und damit zuverlässigere Feststellungen unmöglich gemacht.

JIM hat angenommen, dass der Behälter, dessen Reste am Tatort fotografiert worden waren, aus einem syrischen Flugzeug abgeworfen wurde und daher 2 Videos mit 4 Staubwolken im Gebiet von KS zur Tatzeit auswerten lassen; keiner der daraus errechneten Einschlagsorte passt zum Ort des Kraters (JIM-Bericht Nr. 7 vom 26.10.2017/Annex Ziff.44). Es erfolgt dann aber keine überzeugende Auseinandersetzung mit der naheliegenden These, dass der vorgewiesene Krater gar nicht der TO ist , bzw. der Alternative, dass der Giftgasbehälter gar nicht abgeworfen, sondern am Boden durch eine aufgelegte Sprengladung zur Öffnung gebracht worden ist (so die These von Postol).

JIM hat Bodenproben, angeblich vom Tatort, ausgewertet, die nicht von den Inspektoren genommen worden waren, sondern von den White Helmets, die nachweislich den Rebellen nahestanden, und dann durch mehrere Hände , u.a. türkischer Behörden, gingen. Was ist hier mit der „chain of custody, die Sellström im Falle Khan al Assal noch gegen die russische Untersuchung so hochgehalten hat?

JIM hat sich nicht Zugang zu den Flugüberwachungsdaten des Westens verschafft, obwohl im Fall Kan Sheikhoun die USA zu 2 Flügen Daten hatten – es waren aber nach den JIM-Feststellungen insgesamt 4 Maschinen in der fraglichen Zeit in der Luft.

JIM hat nicht feststellen können, dass der Luftangriff, der mit dem Abwurf eines Sarin-Behälters den Krater verursacht haben soll, vom Flugplatz Scha’irat, der kurz danach von Trump bombardiert worden ist, geflogen wurde (aaO., Annex Ziff. 31)

JIM stellte anhand der von der syrischen Regierung gelieferten Flugdaten für den Flugplatz Scha’irat fest, dass von dort ungefähr zur Tatzeit mit 2 SU-22 Flugzeugen Angriffe mit Sprengbomben gegen Rebellen-Stellungen auf Ziele in Ortschaften geflogen wurden, die 8 bzw. 18 km entfernt an der damaligen Front lagen; dort wurden auch entsprechende Zerstörungen festgestellt, identisch mit den mitgeteilten Zieldaten. Auch der vernommene Pilot der einen Maschine bestätigte das (der andere ist nach Abschuss vermisst). Ein Gasangriff – weit hinter der Front - in Khan Sheikhoun macht militärisch gar keinen Sinn.

JIM ermittelte, dass 247 Menschen in den Kliniken wegen des Vorfalls von Khan Sheikhoun behandelt wurden, allerdings 57 von diesen, bevor der Vorfall um 7:40 h passiert war, und 42 weitere bereits um 7:00 h in 30 km Entfernung. Dazu eine Reihe von angeblichen Opfern aus KS offensichtlich mit Chlorgasverletzungen (aaO., Annex Ziff. 77). Diese Tatsachen, die für eine planmäßige „Ergänzung von Opfern“ für KS sprechen, werden vom JIM nicht bewertet.

Nach seinen eigenen Kriterien hätte der JIM im Falle von KS eine Reihe von Feststellungen nicht treffen dürfen wegen fehlender gesicherter Tatsachenbasis. Anstatt dies einzugestehen, ist durchaus sorgfältige Kriminalistenarbeit auf unzuverlässiger Ausgangsbasis geleistet worden. Die Beweisergebnisse können das aber nicht ausgleichen. Nicht von ungefähr werden am Ende mehrere Hypothesen zur Erklärung nebeneinandergestellt und als mehr oder minder wahrscheinlich abgewogen. Dabei wird die Variante, dass die Rebellen einen Sarin-Behälter in einen schon vorher gerissenen Krater eingelegt und durch eine aufgelegte Granate aufgesprengt haben- so die These von A.Postol anhand der Fotos - nicht überzeugend ausgeschlossen. Hierzu Zitat (aaO., Ziff. 41) :

The Mechanism also examined whether an improvised explosive device could have caused the crater. While that possibility could not be completely ruled out, the experts determined that that scenario was less likely, because an improvised explosive device would have caused more damage to the surroundings than had been observed at the scene. Furthermore, no witnesses had reported the placement or explosion of an improvised explosive device from the ground“

Im Ergebnis hat der JIM zu KS durchaus nachvollziehbare gute kriminalistische Arbeit geleistet, aber die „überwältigende, substantielle und ausreichende Evidenz“ für seine Schlussfolgerung nicht erreichen können, dass die syrische Regierung für diesen Giftgaseinsatz verantwortlich war. Die Untersuchung zu Khan Sheikhoun ist daher für mich noch keineswegs abgeschlossen.

V.

Sanktionen

Der Einsatz von Giftgas ist in jedem Fall ein „schwerwiegender Verstoß“ gegen die CWC und daher nach Feststellung der Umstände durch die OPCW und - seit August 2018 – der Klärung, ob und welcher Vertragsstaat der CWC dafür verantwortlich ist, dem Sicherheitsrat zur weiteren Entscheidung vorzulegen. Der Sicherheitsrat kann nach Art. 41 der UN-Charta die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, die Unterbrechung der Verkehrs- und Fernmeldeverbindungen und den Abbruch diplomatischer Beziehungen. Wenn er derartige Maßnahmen für unzulänglich erachtet, kann er auch auch nach Art. 42 UN-Charta militärische Einsätze beschließen.

Der Sicherheitsrat hat sich mehrfach mit den Giftgaseinsätzen in Syrien befasst, jedoch in keinem Fall Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta (Militärische Sanktionen) zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens beschlossen, sondern immer nur angekündigt, vgl.  SR-Res 2118 v. 27.9.13:  <der SR>......

1. stellt fest, dass der Einsatz chemischer Waffen, gleichviel wo er stattfindet, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt;

2. verurteilt mit allem Nachdruck jeden Einsatz chemischer Waffen in der Arabischen Republik Syrien, insbesondere den Angriff vom 21. August 2013 <3 Sarin-Raketen in Ghouta>, unter Verstoß gegen das Völkerrecht ….

21. beschließt außerdem, im Falle der Nichtbefolgung dieser Resolution, einschließlich eines unerlaubten Transfers chemischer Waffen oder jedes Einsatzes chemischer Waffen in der Arabischen Republik Syrien, gleichviel durch wen, Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zu verhängen;

 

SR-Res 2209 v. 6.3.15:  <der SR>....

7. erinnert an die Beschlüsse des Sicherheitsrats in Resolution 2118 (2013) und beschließt in diesem Zusammenhang, im Falle der künftigen Nichtbefolgung der Resolution 2118 (2013) Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zu verhängen

SR-Res 2235 v. 7.8.15 ebenso in ZIff. 15 ; SR-Res 2319 v.17.11.16 bekräftigt 2235 – Ziff. 15 in ZIff.3. - Auch die SR-Res 2249 v. 20.11.15 zur Bedrohung des Weltfriedens durch die Aktionen von ISIL, Al-Nusra-Front u.a. ist nicht nach cap. 7 der UN-Charta ergangen und ermächtigt nicht zu Militäreinsätzen.

Die ohne Mandat des Sicherheitsrates verübten Sofort-Vergeltungsangriffe der USA 2017 und 2018 - 2018 mit Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs – sind völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen und stellen ihrerseits schwere Völkerrechtsverbrechen gegen das Land Syrien dar (vgl. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags vom 10.9.18- WD 2-3000-130/18 „Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien“ ).

Im Fall Syrien ist der Sicherheitsrat seit November 2017 (Auflösung des JIM) blockiert, nachdem Russland und andere Staaten die bis dahin vorgelegten JIM-Ergebnisse als einseitig abgelehnt haben. Jeder Resolutionsentwurf, der Syrien für Giftgaseinsätze verantwortlich machte, würde gegenwärtig mit einem Veto zumindest von Seiten Russlands belegt werden.

Da auch die strafrechtliche Untersuchung und Ahndung ohne Beauftragung des Internationalen Strafgerichtshofes durch den SR überaus erschwert ist, bleibt zu befürchten, dass die Giftgaseinsätze in Syrien noch länger unaufgeklärt und zunächst ungesühnt bleiben werden.