Gerhard Baisch: Der dornige Weg zu einem deutschen Whistleblower-Schutzgesetz

Die BReg. verletzt seit vielen Jahren internationales Recht mit ihrer Weigerung, einen adäquaten Schutz für Whistleblower in der BRD per Gesetz einzuführen.

Im internationalen Zusammenhang steht Deutschland seit langem wegen seines fehlenden Whistleblowerschutzes unter Beobachtung. Dabei geht es nicht nur darum, einen bilateralen Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu regulieren. „Die rechtspolitische Herausforderung des Whistleblowings liegt in der polygonalen Struktur des Konflikts: Whistleblowing erfüllt in unterschiedlichen systemischen Kontexten unterschiedliche Funktionen“1.

Im Bereich der Wirtschaft soll Whistleblowing zu Wettbewerbsgerechtigkeit und zum Funktionieren des Marktes beitragen. Es dient darüber hinaus aber auch dem Schutz von Allgemeininteressen. Es ist daher auch ein „Instrument zur Ermöglichung demokratischer Öffentlichkeit und Kontrolle und damit zentraler Baustein in der Demokratie“2. Um dieses Spannungsfeld in Ausgleich zu bringen, hat die internationale Staatengemeinschaft mit grenzüberschreitenden Regelungen reagiert, wie z.B.Aktionsplänen der OECD3 oder dem Antikorruptionsplan der G 20 von November 2010. Ferner hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates die Mitgliedstaaten im April 2010 dazu aufgefordert, den rechtlichen Schutz von Whistleblowern zu überprüfen und bei Bedarf
zu verbessern (Resolution 1729 (2010), Recommendation 1916 (2010). Dass ein dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt auch eine dahingehende E-Petition im Deutschen Bun-
destag (Nummer 15699), die von Tausenden Bürgern unterstützt wurde.

Vertragspflichten für die Bundesregierung ergeben sich insbesondere aus der UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC- Art.33), aus der OECD-Konvention zur Bestechungsbekämpfung, aus dem UN-Zivilpakt und aus der Europäische Menschenrechtskonvention. Diese Übereinkommen hat die Bundesrepublik ratifiziert, an sie ist sie vertraglich gebunden. Aus diesen Verträgen ergeben sich Verpflichtungen, denen die Bundesrepublik bislang nicht nachgekommen ist.

In Deutschland gab es bis in die jüngste Zeit neben wenigen speziellen Regelungen4 nur eine einzige allgemeine Bestimmung in § 612 a BGB, wonach der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen darf, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Whistleblower, die regelmäßig anschließend von ihren Arbeitgebern gekündigt worden waren, konnten sich darauf berufen und u.U. vor Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung erreichen. Erschwert war dies dadurch, dass die Betroffenen nicht nur das Recht selbst, sondern auch beweisen mussten, dass sie wegen der Ausübung des Rechts benachteiligt worden waren. Unterschiedliche Urteile taten das Ihre: es war völlig unvorhersehbar, was Whistleblowern vor Gericht passieren würde. Bestenfalls kam es zu Abfindungsregelungen. Aber der Arbeitsplatz war weg.

IALANA und VDW forderten daher – verstärkt seit der Jahrtausendwende – vom Bundestag einen besseren Schutz für Whistleblower. Kernforderungen waren:

  • Erstens muss die bestehende Rechtsunsicherheit für Whistleblower durch klare gesetzliche Schutzvorschriften beseitigt werden. Wer in gutem Glauben auf gravierende betriebliche oder innerdienstliche Missstände, Rechtsverletzungen oder gar Straftaten gegenüber zuständigen Stellen oder auch in der Öffentlichkeit hinweist, darf deswegen weder diskriminiert noch sonst benachteiligt oder gar gekündigt werden. Für den Fall, dass dies trotzdem geschieht, muss ein effektiver gesetzlicher Anspruch auf Wiedergutmachung und Schadensersatz geschaffen werden.
  • Zweitens muss das Grundrecht der Meinungsfreiheit für alle Beschäftigten in Betrieben, Unternehmen und Dienststellen wirksamer als bisher gewährleistet werden.  Dazu bedarf es einer klaren  gesetzlichen Schutzvorschrift mit einer Vermutungsregel: Bei allen Äußerungen von Beschäftigten, die nicht leichtfertig und nicht wider besseres Wissen erfolgen sowie eine das öffentliche Interesse wesentlich berührende Frage betreffen, spricht eine gesetzliche Vermutung für den Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit vor anderen rechtlich geschützten Interessen.
  • Drittens müssen Beschäftigte wirksam vor Nachteilen geschützt werden, wenn sie sich weigern, an Rechtsbrüchen mitzuwirken oder diese zu vertuschen5.

Die arbeitgebernahen Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben seit 2008 alle gesetzgeberischen Initiativen im Bundestag für ein Wh.-Schutz-Gesetz zum Scheitern gebracht

2008 kam es unter der Großen Koalition zu einem ersten Versuch, Whistleblower besser zu schützen. Nach einem gemeinsamen Gesetzesentwurf der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Justiz und Entwicklung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sollte § 612a BGB durch eine Beweislastumkehr und ein eingeschränktes Recht auf sofortige externe Meldung ergänzt werden. Zu diesem Entwurf führte der Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 4.6.2008 eine öffentliche Anhörung mit Sachverständigen durch6. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand der CDU/CSU.

Am 21.7.2011 hatte der EMGR im Fall Heinisch entschieden, dass der Altenpflegerin wegen ihrer Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber von den deutschen Gerichten bis hin zum BVerfG zu Unrecht gekündigt worden war. Dieses bahnbrechende Urteil zur Informationsfreiheit im Arbeitsverhältnis regte neue Bemühungen um einen besseren Whistleblowerschutz an.

Eine Initiative der Länder Berlin und Hamburg im Oktober 2011 mit dem Ziel, die Bundesregierung zu Aktionen zum Whistleblowerschutz zu bewegen, fand aber bereits im Bundesrat keine Mehrheit. Die Bundesregierung verwies auf das geltende Arbeitsrecht und internationale Bestrebungen. Aber selbst der G20-Gipfel in Seoul konnte – mit Zustimmung von Bundeskanzlerin Angela Merkel – am 11./12.11.2010 u.a. Deutschland auffordern, „bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen und umzusetzen, …um Hinweisgeber, die gutgläubig einen Verdacht auf Korruption melden, vor Diskriminierung und Vergeltungsmaßnahmen zu schützen“, ohne dass die CDU-FDP-Regierung irgendwelche konkreten Schritte unternahm.

Die Fraktion DIE LINKE forderte die Bundesregierung am 5.7.2011 auf, bis Ende 2011 einen Gesetzentwurf zum Schutz und zur Förderung der Tätigkeitvon Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern vorzulegen und gab dazu detailliert inhaltliche Schwerpunkte an (BT- Drucksache 17/6492). Im Februar 2012 legte dann die SPD aus der Opposition heraus einen Entwurf für ein eigenständiges Hinweisgeberschutzgesetz vor, der sich am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz orientierte (BT-Drs. 17/ 8567). Auch die Fraktion der GRÜNEN folgte im Mai 2012 mit einem eigenen Entwurf (BT-Drs. 17/9782). Alle 3 Entwürfe wurden in den Ausschüssen beraten und dann im Plenum in 2.Lesung von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD von Dezember 2013 wurde zum Thema Whistleblowerschutz nur ein Prüfauftrag festgehalten: „Beim Hinweisgeberschutz prüfen wir, ob die internationalen Vorgaben hinreichend umgesetzt sind“7. Daraus folgte keine gesetzgeberische Tätigkeit der Regierung, so dass im Jahr 2014 die Opposition erneut aktiv wurde. Am 4.11.2014 legten LINKE und GRÜNE jeweils neue Enwürfe für ein Whistelblowergesetz vor (LINKE BT-Drs, 18/3043 ; GRÜNE BT-Drs. 18/3039). Erneut wurde am 11.März 2015 eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales durchgeführt (Ausschuss-Drs. 18(11)327), an der u.a. Annegret Falter und Guido Strack vom Whistleblower-Netzwerk e.V. teilnahmen8. Letztlich gelang es nicht, die SPD ins Boot zu holen, so dass auch diese Entwürfe am Widerstand von CDU/CSU scheiterten.

Dazu äußerte im Jahr 2015 Nikolai Schnarrenberger: „Die Regierung scheint es mit dem bindenden Gestaltungsauftrag beim Whistleblowing nicht so genau zu nehmen. Mehr noch lässt sich annehmen, dass die Regierung den Whistleblowerschutz bewusst verschleppt.“9

Bei Fortsetzung der Großen Koalition in der 19.Periode des Bundestags ab 2017 gab es im Koalitionsvertrag nicht einmal einen erneuten Prüfauftrag.

Der letzte Versuch, die Bundesregierung zum Handeln zu bringen, war ein Gesetzesentwurf der Fraktion B 90/GRÜNE vom 26.9.18 – BT-Drs. 19/4558. Er basierte auf dem Vorschlag der EU-Kommission vom 23.4.2018 zu einem Vorschlag für eine EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Er wurde am 11.10.2018 im Plenum beraten und an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Dort blieb er bis zum Ende der Legislaturperiode liegen.


Auch bei der Formulierung der EU-Whistleblower-Richtlinie 2019 und bei ihrer Umsetzung in nationales Recht agiert die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel nicht im Sinne eines wirksamen Whistleblowerschutzes

Dem Europa-Parlament ist es zu verdanken, dass im Jahr Frühjahr 2018 schließlich die EU-Kommission den Vorschlag machte, über eine EU-Richtlinie Fortschritte im Whistleblowerschutz zu erreichen. Damit entsprach sie einer Forderung des EU-Parlaments aus dem Februar 2017. Dieses wollte keinen Vorrang der innerbetrieblichen Meldung festlegen und auch den Gang an die Öffentlichkeit erleichtert wissen. Dagegen formierte sich unter Anführung der deutschen Justizministerin im EU-Rat Widerstand mit dem Ziel, einen dreistufigen Meldeweg zwingend vorzuschreiben.10 Dazu das Whistleblower-Netzwerk in einer Stellungnahme vom 1.März 2019:

Vorrang der internen Abhilfe“- das von der deutschen Wirtschaft favorisierte „Stufenmodell“ will genau dies in Stein gemeißelt sehen: Dass ein Arbeitnehmer Missstände zuerst dem Vorgesetzten oder einem internen Hinweisgebersystem melde und sich erst nach Monaten „extern“ an die Strafverfolgungsbehörden wende.(…..) Dieses „abgestufte Meldeverfahren“ macht das empirisch unbegründete Misstrauen deutlich, das allen Hinweisgebern gegenüber in Wirtschaft und Behörden vorherrscht. Letztlich soll dieser erzwungene Meldeweg deren Erstzugriff auf brisante Informationen sicherstellen. Unter dem Vorwand möglicher „unlauterer“ Motive aller Whistleblower schafft er die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung. Die grundsätzliche Annahme über die Motivlage der HinweisgeberInnen ist deren Schädigungsabsicht.“11

Erst nach massiven internationalen Protesten und mit Unterstützung des EU-Parlaments konnte dies im Trilog-Verfahren verhindert werden. Die im Oktober 2019 verabschiedete EU-Richtlinie erlaubt nun wahlweise die Nutzung von internen oder externen Meldewegen.12 Die Richtlinie, die sich aus Kompetzengründen beschränken muss auf die Anwendung von EU-Recht, musste bis Dezember 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden. Sie empfahl, diesen Rechtsakt zu nutzen für einen entsprechenden Whistleblowerschutz auch im nationalen Recht, also ein einheitliches Schutzgesetz, wie es in Deutschland bisher nicht zustandegekommen war.

Das SPD-geführte Justizressort legte im April 2020 ein Eckpunktepapier zur Umsetzung der Richtlinie vor zur Abstimmung mit dem christdemokratisch geführten Wirtschaftsministerium von Minister Altmaier, im August 2020 auch einen nicht veröffentlichten Gesetzesentwurf. Danach war nur informell zu hören, dass die CDU ein umfassendes Whistleblower-Schutzgesetz bockierte. Danach ging nichts mehr voran. Am 17.Dezember 2021 lief die Umsetzungsfrist ergebnislos ab. Im Februar 2022 leitete die EU-Kommission darauf gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Erst die neue Koalitionsregierung von SPD, FDP und GRÜNE konnte die Blockade beenden.

Was sind die Gründe für diesen hartnäckigen Widerstand des Unternehmerflügels in Deutschland?

In seiner Rede zur Verleihung des Whistleblower-Preises 1999 schilderte der damalige Richter am Bundesverfassungsgericht Jürgen Kühling das gesellschaftliche Umfeld des Whistleblowers so:

Sein Verhalten wird als Verrat eingestuft, gilt als illoyal. Ein tief verwurzeltes Ethos der Gefolgschaftstreue überlagert die Grundsätze einer aufgeklärten Ethik, die sein Verhalten gutheißt.“

Nicht von ungefähr erinnert hier Kühling an den Faschismus mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) von 1934, das die Anpassung des Arbeitsrechts an die Ideologie des Nationalsozialismus vornahm, in den Betrieben das Führerprinzip einführte und damit die letzten Reste des Weimarer Arbeitsrechts beseitigte, aktiv vorangetrieben von den damals führenden Arbeitsrechtlern Alfred Hueck und Hans Carl Nipperdey. Beide setzten nach dem Krieg ihre Karrieren fort, NIpperdey war sogar 1954 bis 1963 Präsident des Bundesarbeitsgerichts. Hueck äußerte in einem Artikel „Der Treuegedanke im modernen Privatrecht“ 13 aus dem Jahr 1946:

Im Arbeitsverhältnis stellt der Arbeitnehmer seine persönliche Arbeitskraft dem Arbeitgeber unter dessen Leitung zur Verfügung, er verspricht nicht nur einzelne konkrete Arbeits-
leistungen, sondern den Einsatz seiner Person. Auch dadurch wird eine enge persönliche Verbindung, ein Gemeinschaftsverhältnis, begründet, das entsprechend alter deutschrechtlicher
Auffassung vom Grundsatz beiderseitiger Treue beherrscht wird. Das tritt uns schon im mittelalterlichem Arbeitsverhältnis, sowohl dem gewerblichen wie dem gesinderechtlichen, entgegen. (….)
Für das zur Zeit noch geltende deutsche Recht hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 AOG die beiderseitige Treuepflicht ausdrücklich festgesetzt, aber es ist hervorzuheben, daß die Existenz dieser Pflicht auch schon vorher in Literatur und Judikatur anerkannt war, und es kann deshalb keinem Zweifel unterliegen, daß die Treuepflicht auch in Zukunft für das Arbeitsverhältnis eine maßgebende Rolle spielen wird, wie immer das Arbeitsvertragsrecht im einzelnen ausgestaltet werden mag.“ 14

Hans Carl Nipperdey hat das restriktive deutsche Arbeitsrecht bis heute geprägt: Politische Streiks sind verboten, Beschäftigte zur Treue verpflichtet und Whistleblower nahezu ungeschützt. Auf diesem Nährboden ist in Deutschland die Doktrin vom grundsätzlichen Vorrang des internen Whistleblowings vor dem Whistleblowing gegenüber Behörden entstanden. Von Ausnahmen abgesehen, sollte ein Whistleblower, der sich direkt an die Behörden oder die Medien wandte, keinen Schutz gegen Repressalien, insbesondere die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, genießen. So z.B. das LAG Baden-Württemberg am 20.12.1976: ein Schweißer, der beschichtete Bleche zu verschweißen hatte und dadurch unter Entzündungen an Augen, Nase und Mund litt, hatte sich zunächst erfolglos an den zuständigen Betriebsingenieur und dann über seine Gewerkschaft an das Gewerbeaufsichtsamt gewandt. Das Gericht sah darin einen schweren Verstoß gegen seine Treuepflicht, einen „unfreundlichen, wenn nicht gar feindseligen Akt gegen den Arbeitgeber“ und bestätigte die Kündigung15.

„Whistleblowing“ ist in wenigen Jahren zum eingedeutschten Begriff geworden. Von tieferer Bedeutung ist allerdings, dass es in Deutschland ein Fremdwort geblieben ist: der Begriff des – eher positiv konnotierten – „ethischen Dissidenten“ oder des neutralen „Alarmschlagens“ konnte sich nicht durchsetzen. Vielmehr lag in der Auseinandersetzung um die Whistleblower immer auch ein Schatten auf der Bewertung ihres Tun. So verdienstvoll ihr Fingerzeig auf Straftaten und Mißstände war, hatten sie dabei nicht ihre Schweigepflicht verletzt oder Unterlagen zu Beweiszwecken mitgenommen?? Während die einen diese Regeldurchbrechung als notwendiges und selbstverständlich gerechtfertigtes Beiwerk bei der Aufdeckung eines Skandals ansehen,brechen andere den Stab über die Whistleblower und werten sie ab als „Denunzianten oder – noch krasser – als „Verräter“. Auch im Bundestag – z.B. Peter Bleser (CDU/CSU) 19.1.2011 (an die SPD gewandt): „Sie haben verlangt, dass wir den Denunziantenschutz (sic!) in Deutschland einführen, dass Mitarbeiter ihren eigenen Betrieb bei Behörden denunzieren, indem sie entsprechende Ereignisse (sc. im angesprochenen Fall: Dioxin im Viehfutter) melden.“ (17. Wahlperiode, BT-Prot. S. 9273).

Am 19.Februar 2021 schrieb der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer in einer viel gelesenen Kolumne für den SPIEGEL über die „Kultur des Verdachts“ von der „allgemeinen Denunziation, neudeutsch Whistleblowing“. Der Begriff sei inzwischen sprachlich codiert: „Das Whistleblowing gilt, so könnte man annehmen, inzwischen als eine höchst edle Betätigung, geboren aus dem moralisch verdienstvollen Gefühl, irgendein beliebiges Unrecht, eine Ungerechtigkeit, einen Missbrauch oder Skandal nicht länger ertragen, mitmachen oder decken zu wollen. Der Whistleblower kommt also, jedenfalls in der öffentlichen Darstellung, aus dem Inneren einer bösen Macht; er muss vor deren Einfluss und Rache beschützt und für seine Treue zum Guten und Rechtstreue belohnt werden.“16

Fischer dazu: da sei einiges dran. Aber: „Die Motive von Whistleblowern sind nicht stets und auch nicht notwendig edel, meist eher im Gegenteil: sie wollen Vorteile, Belohnung, Schonung.“ Nach der Lebenserfahrung aus Jahrtausenden seien die meisten Verdachtsfälle unbegründet. Um zu diesem Verdikt zu gelangen, wirft Fischer alles in einen Topf. Whistleblower sind für ihn auch Tippgeber der Kriminalpolizei, Drogendealer, die ihre Kunden „verpfeifen“,um ihr Strafmaß zu mindern, u.a.: „Die meisten Whistleblower sind Kleinkriminelle, die an der Leine von Strafverfolgungsbehörden laufen und gegen großzügiges Übersehen ihrer eigenen Verstrickung allerlei Tipps auf Vorkommnisse in der jeweiligen Szene geben.“ Und so schließt Fischer:

„Der Whistleblower ist ein vielleicht notwendiges Übel, aber nicht seiner Natur nach ein leuchtender Stern“.17

Abschließend: das Finanzministerium Baden-Württemberg hat im Herbst 2021 ein anonymes Hinweisgeberportal freigeschaltet, und ein Aufschrei geht durchs Land. „Warum eigentlich? Ist Steuerhinterziehung plötzlich ein Kavaliersdelikt? Steuerbetrug verursacht schätzungsweise jährlich bundesweit einen Schaden von 50 Milliarden Euro. Geld, das für Investitionen in gute Bildung, Infrastruktur und Sicherheit fehlt“.18 Was musste man aber zum Hinweisgeberportal hören und lesen? Steuerpranger, Denunziantentum (Markus Blume, CSU); Mögliche[s] Denunziantentum unter Nachbarn (Christian Lindner, FDP); Blockwartmentalität (Michael Theurer, FDP); Steuerpranger (Thorsten Frei, CDU) und Steuer-Stasi (Bild-Zeitung)19.

Solche Äußerungen zeigen, warum es in Deutschland so schwer ist, einen wirksamen Whistleblowerschutz per Gesetz durchzusetzen.

1vgl. zum Folgenden Andreas Fischer-Lescano, „Internationalrechtliche Regulierung des Whistleblowing. Anpassungsbedarf im deutschen Recht“ Juristisches Kurzgutachten im Auftrag des DGB , 2015

2ebda, S. 3

3OECD, Whistleblower Protection: Encouraging Reporting, Juli 2012

4u.a. in den Bereichen Arbeitsschutz, Gefahrstoffe und Datenschutz

5vgl. https://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/schutz-der-whistleblower/110-schutz-whistleblower

6darunter auch D.Deiseroth vgl. webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1423&id=113

7Deutschlands Zukunft gestalten, S. 52 – htttps://archiv.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf

8https://www.bundestag.de/resource/blob/354568/a1ddb82b3c4d8cbc28b7c049ba83c14d/stellungnahmen-data.pdf

9https://netzpolitik.org/2015/vertragsbruch-beim-whistleblowerschutz-regelungen-in-deutschland-massiv-unzureichend/

10https://www.morgenpost.de/politik/article216535767/Schutz-von-Whistleblowern-Deutschland-lehnt-Vorstoss-ab.html; https://netzpolitik.org/2019/barley-hat-kein-herz-fuer-whistleblower-justizministerium-blockiert-eu-gesetz/

11https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2019/03/01/unser-brief-an-katarina-barley-2/

12Directive (EU) 2019/1937 of the European Parliament and of the Council of 23 October 2019 on the protection of persons who report breaches of Union law . Hier die Richtlinie in dt. Übersetzung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019L1937&from=DE

13https://www.zobodat.at/pdf/Sitz-Ber-Akad-Muenchen-phil-hist-Kl_1944-46_0

14a.a.O., S. 13

15EzA Nr.8 zu § 1 KSchG -verhaltensbedingte Kündigung

16vgl.htttps://www.spiegel.de/panorama/justiz/whistleblower-und-denunzianten-pfeifen-im-walde-kolumne-von-thomas-fischer-a-8a75991d-ed8a-4daa-931a-151d5786c08b

17a.a.O.

18Finanzministerium Baden-Württemberg. PM vom 30.8.2021 https://fm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilung/pid/anonymes-hinweisgeberportal-freigeschaltet/

19 https://www.steuertipps.de/steuererklaerung-finanzamt/finanzamt/steuerhinterziehung-https://meldung- von-steuerbetrug-ist-kein-verrat

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