3.November 2022
Die letzte Große Koalition unter Kanzlerin Merkel hatte die Frist für die Umsetzung der EU-Richtlinie aus 2019 bis 17.Dezember 2021 ungenutzt verstreichen lassen und damit ein im Januar 2022 eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission ausgelöst.
Mit dem Regierungsantritt der Ampel-Koalition erstarkte die Hoffnung, dass nun rasche Schritte zu einem wirksamen Whistleblower-Schutzgesetz gemacht werden. Die entsprechende Formulierung im Koalitionsvertrag ist vielversprechend:
„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistle-
blowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen
EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Ver-
stößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung
im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen
Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und
finanzielle Unterstützungsangebote“. 1
Der im März 2022 vorgelegte Referentenentwurf enttäuschte jedoch und löste die Hoffnungen nicht ein. Trotz zahlreicher kritischer Stellungnahmen der Verbände legte Justizminister Buschmann (FDP) im Juli der Regierung einen fast unveränderten Entwurf vor, der beschlossen wurde und auch im Bundesrat im Wesentlichen Zustimmung fand2. Es ist damit zu rechnen, dass der Entwurf mit kleinen Änderungen als Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) noch im Jahr 2022 in Kraft tritt3. Die nachstehende Kritik bezieht sich auf diesen Entwurf.
Von den Versprechen im Koalitionsvertrag wird – aus nicht einsichtigen Gründen – nur das erste eingelöst: es wird ein einheitliches Whistleblower-Schutzgesetz geben, das nicht nur die EU-Richtlinie unverändert in deutsches Recht umsetzt. Auch das Offenbaren von Verstößen gegen nationales Recht soll geschützt werden. Jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich auf strafbare Gesetzesverstöße und gilt nicht für die Aufdeckung von erheblichem Fehlverhalten, dessen Meldung gleichermaßen im öffentlichen Interesse liegt. Beratungs- und Unterstützungsangebote für Whistleblower:innen sieht das Gesetz schließlich mit Ausnahme von Merkblättern der Meldestellen überhaupt nicht vor.
Einhellig wurden von Seiten der Vereinigungen, die schon lang einen verbesserten Schutz für Whistleblowerinnen und Whistleblower fordern, folgende Punkte am Gesetzesentwurf kritisiert:4
Zu enger Anwendungsbereich
Der Entwurf beschränkt Whistleblowing auf Verstöße gegen strafbewehrte Rechtsnormen und „Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“5.
Darüber hinaus wird dem Whistleblower Schutz bei sonstigen Verstößen gegen nationales Recht nur in dem engen Katalog von 24 Rechtsmaterien zugesagt, die weitgehend dem Schutzbereich des umzusetzenden europäischen Rechts entsprechen. Der Entwurf spricht insoweit selbst von einer „begrenzten“ Ausweitung auf nationales Recht. Dabei werden zwar der Schutz der Rechte von Aktionären aufgeführt; es fehlen aber u.a. Rechte der Gewerkschaften und Verstöße gegen die betriebliche Mitbestimmung und die Rechte der Beschäftigten außerhalb der Tarifverträge. Anstatt gut verständlich den Schutz und seine Grenzen zu umreißen, wird der potentielle Whistleblower in einen Irrgarten von Vorschriften entlassen, wo er erst mit anwaltlicher Hilfe erkennen kann, ob er den Schutz des Gesetzes beanspruchen kann. Mit einer derartigen Regelung verletzt der Gesetzgeber das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit: Gesetze müssen klar und bestimmt sein. Sie müssen für die Bürger:innen verständlich und rechtliche Konsequenzen müssen vorhersehbar sein. Unübersichtlich für potentielle Whistleblower ist auch die verstreute Regelung der maßgeblichen Bestimmungen in §§ 1-3, 7, 32-40, unterbrochen durch die detaillierten Regelungen für die Einrichtung von Meldestellen.
Der Schutzbereichs muss auf die Aufdeckung erheblicher Missstände ausgeweitet werden
Potentielle Whistleblower haben Anspruch auf eine klare allgemeine Bestimmung, aus der sich ergibt, dass diejenigen geschützt werden, die im besonderen öffentlichen Interesse uneigennützig Missstände aufdecken.
Als Beispiel für den bisher mangelhaften Schutz der Whistleblower:innen in Deutschland zitiert die Begründung des Entwurfs den Fall von Brigitte Heinisch. Aber wäre sie, die Missstände in der Altenpflege anprangerte, durch das jetzt entworfene Gesetz heute besser geschützt? In dem Katalog der 24 Materien taucht die Altenpflege nicht auf. Ein strafbewehrter Verstoß des Trägers oder wenigstens ein bußgeldpflichtiger Verstoß müsste vorgebracht werden. Er ist aber wohl kaum zu begründen.
Das Geschäftsgeheimnisgesetz von 2019 hat innerhalb seines Anwendungsbereichs ausdrücklich anerkannt, dass Whistleblower:innen auch bei Aufdeckung von formal nicht-rechtswidrigem Fehlverhalten Schutz verdienen (§ 5 Nr. 2 GeschGehG). Dementsprechend müssen Whistleblower:innen auch dann geschützt werden, wenn sie erhebliche Missstände aufdecken, die nicht erkennbar als Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu bewerten sind.
Anonyme Hinweise nicht ausklammern
Die EU-Whistleblower-Richtlinie hatte den Mitgliedsstaaten freigestellt, die betroffenen Unternehmen auch zur Annahme anonymer Hinweise zu verpflichten. Bereits der Referentenentwurf aus 2020 hatte davon keinen Gebrauch gemacht. Grund war vor allem die Sorge, Denunziationen zu fördern. Dies wurde schon damals von Experten und NGOs kritisiert, weil Anonymität für Hinweisgeber oft den wirksamsten Schutz vor Repressionen bedeutet und in bisherigen europaweiten empirischen Untersuchungen eine erkennbare Steigerung von „Denunziationen“ aufgrund zugelassener anonymer Hinweise nicht festgestellt werden konnte.
Überraschenderweise überlässt auch der neue Gesetzesentwurf es den Unternehmen, ob sie anonyme Hinweise annehmen und bearbeiten wollen. Die in der Praxis voraussichtlich eher genutzten externen Meldestellen sind nach § 27 Abs.1 „nicht verpflichtet, anonyme Meldungen zu bearbeiten“, d.h. im Klartext: sie werden sie nicht bearbeiten.
Umstandslose Privilegierung der klassifizierten Infos lässt Whistleblower schutzlos
Wenn Whistleblower bei ihren Enthüllungen auf Infos zurückgreifen, welche die Behörden mit dem „Geheim“-Stempel versehen haben, soll ihnen automatisch der Schutz verweigert werden (§ 5 II S.1). Eine Prüfung, ob die Klassifizierung materiell zu Recht erfolgt war, ist nicht vorgesehen. Auch der Geheimhaltungsgrad soll keine Rolle spielen. Nur für Verschlusssachen mit dem schwächsten Geheimhaltungsgrad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ soll es kleine Ausnahmen geben.
Das ist eine Einladung an die Behörden, selbst banale, aber unliebsame Informationen möglichst wirksam zu verbergen. Als z.B. 2020 ein Bundestagsabgeordneter anfragte, wie viele der Fernzüge der Deutschen Bahn AG mit geschlossenem beziehungsweise nicht vollständig funktionsfähigem Bordrestaurant fahren und welche Einnahmen die DB durch den Betrieb der Bordrestaurants erzielt, wurde das verweigert: die Bundesregierung habe die erbetenen Informationen als Verschlusssache eingestuft. Die Zahl der Verschlusssachen wächst steil an. Allein im Bundesministerium des Innern wurden seit 2008 zusätzlich 190.020 Verschlusssachen registriert (sowie weitere 8 Millionen des Bundesamtes für Verfassungsschutz).
Die Enthüllung illegaler Vorgänge darf nicht dem Whistleblowerschutz entzogen werden. Es sei daran erinnert, dass nicht nur die NSA der USA, sondern in gleicher Weise auch der deutsche BND an der skandalösen anlasslosen Massenüberwachung und Datensammlung beteiligt war, die Snowden enthüllt hat.
Schutz auch für Whistleblower aus dem Sicherheitsbereich
Die Gesetzesbegründung beruft sich für Verweigerung jeglichen Schutzes für Whistleblower aus dem Sicherheitsbereich (§ 5 Abs.1 Ziff.1) auf eine genaue Umsetzung der EU-Richtlinie, verschweigt aber, dass insoweit der nationale Gesetzgeber im Gegensatz zur EU einen breiten Regelungsspielraum hat. Nach der Rechtsprechung des EGMR im Fall Bucur und Toma gegen Rumänien erfasst die Meinungsfreiheit auch die Offenlegung von missbräuchlichen Praktiken der Nachrichtendienste6. Der Bundestag könnte eine international vorbildliche Regelung treffen und jedenfalls die Aufdeckung illegaler Aktionen unter Whistleblowerschutz stellen. IALANA bekümmert zutiefst, dass unsere Preisträger Ellsberg, Manning und Snowden persönlich Verfolgung und schwere Nachteile in Kauf nehmen mussten, die sich auch auf die Pressefreiheit ausgewirkt haben und dies aktuell im Fall Assange noch tun. Alle drei haben völkerrechtliche Verbrechen und Missstände ihrer Regierungen enthüllt und sind dafür als Spione nach dem US-Espionage-Act angeklagt worden. Dieser unbefriedigende Zustand bedarf dringend der Abänderung durch Whistleblower schützende Regelungen.
Schutzmaßnahmen konkretisieren, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe vermeiden
So wortreich und mit zahlreichen Paragraphen die Regelungen für die Meldestellen im Entwurf ausgestaltet sind, so wortkarg und allgemein gehalten sind die Regeln, die den Schutz der Whistleblower sichern sollen. Beim Verbot von Repressalien in § 36 Abs.1 findet sich nur der Satz: „Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten“. Die EU-Richtlinie nennt dagegen in Art. 21 der Richtlinie insgesamt 15 konkrete Formen von verbotenen Repressalien und in Art. 23 Sanktionen gegen diejenigen, die Meldungen verhindern oder behindern, mutwillig Verfahren gegen Whistleblower einleiten oder die Identität von Hinweisgebern preisgeben. Der Katalog der EU-Richtlinie orientiert sich an der gelebten Rechtspraxis und dokumentiert auf erschreckende Weise den Erfindungsreichtum der Whistleblower-Gegner. Er könnte künftig den Gerichten klare Kriterien an die Hand geben und würde zudem Whistleblower:innen die möglichen Folgen ihres Whistleblowings einschließlich der Schutzbestimmungen verdeutlichen. Die Fassung des Entwurfs lässt demgegenüber viele Interpretationsspielräume zu und überantwortet die Gesetzesauslegung letztlich der Rechtsprechung. Für Whistleblower:innen sind das Risiken, die sie eher von einer Meldung zurückschrecken lassen werden.
Dazu rechnen auch die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe des Entwurfs, die den Umfang und die Voraussetzungen des Schutzes ins Ungewisse rücken: so z. B. in § 33 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 der „hinreichende Grund zur Annahme“, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen und die Verstöße in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Was ist ein „hinreichender Grund“? Aufgrund der Beweislastumkehr in § 34 Abs. 2 muss der Benachteiligende (Arbeitgeber/Dienstherr) beweisen, dass „die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass die Benachteiligung nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte“. Was sind „hinreichend gerechtfertigte Gründe“ für eine Repressalie?
Die EU-Richtlinie fordert in Art. 21 nach Repressalien die „vollständige Wiedergutmachung“ des erlittenen Schadens. Der Entwurf spricht nur allgemein vom Ersatz des Schadens und wehrt bei Whistlebower:innen in § 37 Abs.2 einschränkend ab: kein Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses (…) oder auf einen beruflichen Aufstieg. Gilt das auch, wenn der durch die Repressalie verursachte Schaden gerade in der Verweigerung der Einstellung oder des Aufstiegs besteht?
Eher Schutz der Unternehmen gegen Hinweisgeber als wirksamer Schutz der Hinweisgeber
Befremdlich ist es schließlich, wenn im Abschnitt „Schutzmaßnahmen“ in § 38 die Whistleblower:innen zum Ersatz des Schadens (sc. des Arbeitgebers) verpflichtet werden, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Irrtümer der Whistleblower sind nicht vorgesehen und Regelungen der Beweislast fehlen. Häufig wissen potentielle Whistleblower:innen nur vage, dass ein Missstand vorliegt, können das aber nicht vorab klären, ohne sich selbst zu gefährden. Müssen sie dann das Risiko hinnehmen, dass die Offenlegung im Prozess später als „grob fahrlässig“ angesehen wird? Die EU-Richtlinie sieht Sanktionen gegen Whistleblower:innen nur vor, wenn sie wissentlich nachweislich falsche Informationen offenlegen. Sie fordert allgemein, dass Sanktionen so zu bemessen sind, dass potentielle Hinweisgeber nicht abgeschreckt werden (Erwägungen Nr. 102). Dazu passt nicht, dass in § 40 des Gesetzesentwurfs Whistleblower:innen, die wissentlich eine unrichtige Information offenlegen, zusätzlich – neben der Schadensersatzpflicht – mit einer Geldbuße von bis zu 20.000 Euro geahndet werden können.
Hinweisgeberschutz in Deutschland: ein Kostenfaktor, vor dem Unternehmen geschützt werden müssen?
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass frühe Hinweise Fehlentwicklungen und Fehlinvestitionen des Staates oder der betroffenen Unternehmen verhindern helfen. Davon ist in der Begründung des neuen Gesetzes wenig die Rede. Stattdessen sollen Unternehmen vor Überlastung bewahrt werden, z.B. durch Einrichtung von Meldewegen auch für anonyme Meldungen (Begründung S.34 unter Ziff.7). Aus Kostengründen wird – in offenem Widerspruch zur EU-Richtlinie – die Einrichtung von internen Meldestellen auch nur auf Konzernebene erlaubt. Der finanzielle Nutzen durch Aktionen von Hinweisgeber:innen wird nirgends gegengerechnet.
Insgesamt: Aufgabe verfehlt
Bei eingehender Lektüre wird deutlich, woran der Gesetzesentwurf der Bundesregierung krankt. Die EU-Richtlinie geht aus von der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Whistleblowings zur Erkennung von Fehlentwicklungen. Sie betont, dass die grundrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit der Beschäftigten den Interessen der Unternehmen an der Geheimhaltung ihrer betrieblichen Abläufe gegenübersteht. In diesem Spannungsfeld hat auch der EGMR in der wichtigen Entscheidung in Sachen Heinisch seine Maßstäbe gefunden. In Ziff. 31 der Erwägungen zur EU-Richtlinie wird ausgeführt:
„Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, das in Art. 11 der Charta und in Art. 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist, umfasst sowohl das Recht, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, als die Freiheit und Pluralität der Medien7“
Freie Meinungsäußerung des Whistleblowers und Garantien für die Presse als Hüterin des demokratischen Prozesses! Von solchen Begriffsebenen ist der deutsche Gesetzesentwurf weit entfernt. In der EU-Richtlinie heißt es:
„Hinweisgeber sind besonders wichtige Informationsquellen für investigative Journalisten. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien erhöht die Rechtssicherheit potenzieller Hinweisgeber und fördert damit die Weitergabe von Hinweisen auch über die Medien. In dieser Hinsicht trägt der Schutz von Hinweisgebern als journalistische Quellen wesentlich zur Wahrung der Überwachungsfunktion investigativer Journalisten in demokratischen Gesellschaften bei (a.a.O., Ziff. 46).“
Demgegenüber enthält der deutsche Gesetzesentwurf in § 32 nur eine einzige Vorschrift zum Gang an die Öffentlichkeit, die nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich „als Ausnahme konzipiert“ ist. Die Verfasser des Entwurfs sind ersichtlich bemüht, die Offenlegung von Fehlern in Unternehmen über die Medien nach Möglichkeit zu verhindern, jedenfalls zu erschweren.
Das neue Gesetz schafft für externe Meldungen eine zentrale neue Behörde, die bei erwarteten jährlich 3000 Meldungen mit knapp 30 Stellen, davon die Hälfte im höheren Dienst, ausgestattet werden soll. Es ist einigermaßen kühn anzunehmen, dass bei der Nachverfolgung der Meldungen und Ergreifen von Maßnahmen dieser kleine Apparat es mit den Fähigkeiten eines einzigen investigativen Mediums wie z.B. dem „Spiegel“ aufnehmen kann.
Der Schutz investigativer Journalisten liegt ohnehin im Argen. Ermittlungsbehörden in Deutschland haben mittlerweile weit gehende Rechte, um gegen Medien und ihre Quellen vorzugehen. Eine ganze Reihe von Straftaten wie z.B. Staatsschutzdelikte sind in § 100 a der Strafprozessordnung aufgelistet. Telefone von Journalist:innen dürfen abgehört und bei Online-Diensten gespeicherte Daten dürfen abgefragt werden. Ganz ungeschützt sind Medienschaffende, wenn sie als sogenannter „Beifang“ überwacht werden, wenn sich beispielsweise Personen an Redakteure wenden, die bereits “auf dem Radar” von Ermittlungsbehörden sind.
Beim Staatsanwalt soll auch künftig der Schutz der Vertraulichkeitszusage für Hinweisgeber:innen enden. Verlangt er den Namen, muss die Meldestelle dem nachkommen8.
Hier zeigt sich, dass der deutsche Gesetzgeber die herausragende Bedeutung des Whistleblowings und der Presse für den demokratischen Prozess nicht akzeptiert hat, sondern sich widerwillig einer EU-Pflichtaufgabe entledigt und dabei vorrangig Unternehmensinteressen bedient, Interessen, deren Nutznießer über ein Jahrzehnt lang ein Whistleblower-Gesetz im Bundestag verhindert haben. Das Gesetz mag dazu dienen, internationale Standards der „good governance“ und Compliance-Regeln in deutschen Unternehmen durchzusetzen. In diesem Feld schützt es (mit Mängeln) Hinweisgeber. Es schützt jedoch wenig die uneigennützig zum Wohle der Allgemeinheit handelnden Whistleblower:innen, die persönliche Risiken bewusst in Kauf nehmen.
1„Mehr Fortschritt wagen“ – S. 88 in: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
2Entwurf vom 26.7.2022 – BT-Drs. 20/3442 Stellungnahme Bundesrat: BR-Drs. 372/22
3am 19.10.2022 führte der Rechtsausschuss des Bundestags eine Sachverständigenanhörung durch
4zum folgenden vgl. Gemeinsame Stellungnahme von Whistleblower-Netzwerk und Whistleblowing International Network v. 11.5.2022; Kai Dittmann, Löchriger Schutz für Whistleblower |Die Regierung traut sich nicht, tagesspiegel 12.7.22; DGB – 27.4.22, Mangelhafter Schutz von hinweisgebenden Personen; Transparency Deutschland 10.5.22, WhistleblowerSchutz: Referentenentwurf enttäuscht auf ganzer Linie
5Entwurf vom 26.7.2022, § 2 Abs.1
6Rechtsprechung EGMR, 08.01.2013 – 40238/02
7 Richtlinie (EU) 2019/ 1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutze von Personen, die Verstöße gegen das EU-Recht melden, S. 23).
8§ 9 Abs.2, Ziff.1 Gesetzentwurf)