Vortrag von Otto Jäckel in der Veranstaltung des Bundesausschusses Friedensratschlag am 07.10.2011 im Haus der IG Metall in Berlin aus Anlass des 10. Jahrestages des Kriegsbeginns in Afghanistan

„In bestimmten Situationen kann es taktisch sehr klug sein, die Führer der gegnerischen Seite auszuschalten… Diese Art von Krieg im Bereich der Aufstandsbekämpfung ist immer ein äußerst schmutziger Krieg“, so der ehemalige Oberst der Bundeswehr Roland Kaestner in der Sendung „Fakt“.
Ein schmutziger Krieg, das ist es, was in Afghanistan stattfindet. Damit ist nicht nur das Setzen von Namen von Personen auf  „capture or kill“-Listen unter Beteiligung der Bundeswehr gemeint , die anschließend durch Spezialkommandos bei Nacht und Nebel in ihren Häusern überfallen und getötet werden. Schmutzig sind auch die Bombardements aus der Luft, sei es durch bemannte Flugzeuge oder unbemannte Drohnen; und zwar in gleicher Weise wie die Bombenfallen der Aufständischen.

Der lange als Militärattache in Kabul und militärischer Berater der Bundesregierung eingesetzte  Oberstleutnant Jürgen Heiducoff kritisierte schon im Frühjahr 2007 in einem internen Brief an den damaligen Außenminister Steinmeier die Entwicklung des Krieges. Es sei unerträglich, so Heiducoff, dass „unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung … bekämpfen. Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung. Dies müssen die Paschtunen als Terror empfinden.“ Er beklagt: „Die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer sprechen eine  eigene Sprache, mit der die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit militärischer Gewalt als Lösung der inneren und äußeren Probleme Afghanistans zum Ausdruck kommt“.
Das Bombardement von Kunduz war danach kein einzelner Fehler eines einzelnen Kommandeurs, sondern offensichtlich nur ein Bestandteil alltäglicher Kriegsführung, der wegen des Massenanfalls von Opfern besondere Aufmerksamkeit erregt hat.
Dieses Vorgehen verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht. Nach Art.51 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Rotkreuzabkommen dürfen weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen das Ziel von Angriffen sein. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift sind insbesondere unterschiedslose Angriffe verboten. Dazu zählen ausdrücklich Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder –mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht begrenzt werden können und die daher militärische Ziele und Zivilpersonen unterschiedslos treffen.
So lag der Fall bei dem Abwurf von zwei 500 Pfund Bomben auf die Menschen an den Tanklastzügen im Kunduz-Fluß.  Bei dem Ziel, einzelne Aufständische zu bekämpfen wurde der Tod einer völlig unverhältnismäßigen Zahl von unbeteiligten Zivilisten in Kauf genommen.
Es waren schwarze Tage für den deutschen Rechtsstaat und zeugt von außerordentlicher Rechtsblindheit, dass die inzwischen aus dem Amt geschiedene Generalbundesanwältin Harms das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein eingestellt hat. Unerträglich ist ebenso, dass die Vertreter der Anzeigenerstatter sich bis heute vor dem Bundesverfassungsgericht darum streiten müssen, überhaupt einmal Akteneinsicht in die Ermittlungsakten zu bekommen.
Allerdings kommt hier nicht nur das individuelle politische Vorverständnis einer Juristin zum Ausdruck, sondern zugleich ein struktureller Mangel in der Ausformung der Gewaltenteilung in Deutschland. Der Generalbundesanwalt ist politischer Beamter, der jederzeit von dem Bundesjustizminister von seiner Funktion entbunden und abgelöst werden kann. Wie soll die Person, die dieses Amt übernimmt, unter diesen  Voraussetzungen die erforderliche Unabhängigkeit und Zivilcourage entwickeln, notfalls auch gegen die eigene Regierung zu ermitteln? Es ist daher dringend erforderlich, das  Amt des Generalbundesanwalts mit der richterlichen Unabhängigkeit eines Untersuchungsrichters zu versehen. Dies gilt im Übrigen für alle Staatsanwaltschaften, die in Deutschland weisungsgebundene Beamte sind.
Weiterhin vermissen wir die Schamesröte in den Gesichtern von Frau Merkel und Verteidigungsminister De Maiziere dafür, dass sie die Angehörigen der Opfer mit einem Handgeld von 3000,--Dollar für den Verlust ihrer Angehörigen und Familienernährer abspeisen wollen, während sie die Entschädigungssummen für die Familien gefallener Bundeswehrsoldaten gerade von 80.000,--€  auf 150.000,-- € erhöht haben.
Rechtspolitisch brauchen wir in dem von dem Kollegen Popal aus Bremen geführten zivilgerichtlichen Verfahren auf Schadensersatz für die Opfer einen Durchbruch. Hierzu hoffen wir auf Hilfe von dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dort fand gerade die mündliche Verhandlung statt in einem Verfahren, in dem sich die Bundesregierung gegen die Zwangsvollstreckung in Bundesvermögen aus Urteilen italienischer Gerichte wehrt. Diese haben die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Entschädigungen für italienische Bürger verurteilt, die im II. Weltkrieg als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden waren. Sie haben dabei das rechtliche Konstrukt der so genannten „Staatenimmunität“ nicht gelten lassen, wonach ein Staat nicht von einzelnen Bürgern eines anderen Staates, sondern nur von einem anderen Staat auf Schadensersatz in Anspruch genommen können werden soll.
Erst wenn Verletzungen des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten zu strafgerichtlichen Verurteilungen der Täter und zu Schadensersatz für die Opfer führen, haben die Regeln des humanitären Völkerrechts eine Chance, effektiver als bisher beachtet zu werden. Das Leben, die Gesundheit und das Eigentum unbeteiligter Zivilisten zu zerstören, muss die Täter in jeder Hinsicht teuer zu stehen kommen!
Im Übrigen gilt weiterhin die Erfahrung: „Wenn der Krieg losbricht, ist die Hölle entfesselt!“ Unser Hauptaugenmerk muss daher nicht dem jus in bello, dem humanitären Kriegsvölkerrecht gelten, sondern vielmehr dem jus ad bellum, dem Recht, überhaupt einen Krieg zu beginnen. Wir wollen Kriege lieber verhindern, anstatt – wenn sie schon ausgebrochen sind - uns darum zu kümmern, ob sie auch regelgerecht geführt werden. Und wir wollen dafür sorgen, dass völkerrechtswidrig begonnene Kriege unter allen Umständen möglichst rasch wieder beendet werden.
Wie ist insofern der Afghanistankrieg einzuordnen? Zunächst ein Blick auf die Rechtsgrundlagen:
Bei der Schaffung eines jus ad bellum ist die Menschheit nach der Erfahrung der beiden Weltkriege mit der in San Francisco ausgearbeiteten Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 einen erheblichen Schritt weiter gekommen. Während es zuvor ausreichte, den Krieg förmlich zu erklären und man sich später darüber stritt, ob der Krieg ein gerechter oder ungerechter Krieg war, ist der Krieg als Mittel der Politik nach der UN - Charta generell verboten. Es gilt das allgemeine Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der Charta, von dem es nur zwei Ausnahmen gibt.
Erstens kann der Sicherheitsrat selbst nach Art. 42 militärische Sanktionsmaßnahmen anordnen, wenn er zuvor nach Art. 39 eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung festgestellt hat.
Zum zweiten gesteht Art. 51 der Charta für den Fall eines bewaffneten Angriffs den Mitgliedern das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung zu, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
Fraglich ist also, und hierfür ist eine kurze Rückblende an den Anfang dieses Krieges vor zehn Jahren erforderlich, ob nach dem 11. September 2001 eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat für eine bewaffnete Aktion gegen Afghanistan vorlag oder eine  Selbstverteidigungssituation der USA eine bewaffnete Verteidigung gegen Afghanistan rechtfertigte.
Zunächst zu den Sicherheitsratsresolutionen. Unmittelbar nach dem Anschlag versuchten die USA, eine Resolution des Sicherheitsrats zu bekommen, die einen Angriff gegen Afghanistan autorisiert hätte.
Bereits einen Tag nach dem Terroranschlag verabschiedete der Sicherheitsrat seine Resolution 1368 (2001), in der er die "entsetzlichen Anschläge in strengster Weise" verurteilte und den Anschlag "wie jeden anderen Akt internationalen Terrorismus, als eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" betrachtete.
Allerdings ordnete er keine militärischen Sanktionsmaßnahmen nach Art. 42 der Charta an, sondern rief lediglich "alle Staaten dringend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, die Organisationen und Unterstützer dieser terroristischen Anschläge vor Gericht zu bringen" und betonte, "dass jene, die den Tätern geholfen, sie unterstützt oder ihnen Unterschlupf gewährt haben, zur Verantwortung gezogen werden." Weiterhin forderte er die Staaten dazu auf, durch "engere Zusammenarbeit und vollständige Umsetzung der Anti-Terror-Konvention und der Resolutionen des Sicherheitsrats, vor allem der Resolution 1269 vom 19. Oktober 1999, Terroranschläge zu verhindern und zu unterdrücken."
Schließlich erklärte der Sicherheitsrat seine Bereitschaft, "alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge zu reagieren und alle Formen des Terrorismus in Übereinstimmung mit der Verantwortung gemäß der UN - Charta zu bekämpfen". Er beschloss, „ weiter mit der Angelegenheit  befasst zu bleiben".
Er setzte also auf polizeiliche und justizielle Maßnahmen entsprechend den bereits bestehenden internationalen  Vereinbarungen zur Bekämpfung des Terrorismus; von Militäraktionen war nicht die Rede.
Wenig später versuchten die USA erneut, eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat zu erhalten. Die daraufhin am 28. September verabschiedete Resolution 1373 (2001) bestätigte jedoch lediglich die vorangegangene  Resolution und bezog sich in ihren weiteren Forderungen an die Staaten allerdings nun ausdrücklich auf das VII. Kapitel der UN - Charta, welches ihr verbindliche Sanktionen und Maßnahmen ermöglicht. Als solche forderte sie erstens von den Staaten, alles zu unterlassen, zu verhindern und zu bestrafen, was mit der Finanzierung terroristischer Handlungen zusammenhängt. Zweitens forderte sie das gleiche bezüglich jeglicher anderweitigen Unterstützung  terroristischer Aktivitäten. Insbesondere forderte sie die strafrechtliche Verfolgung, gerichtliche Untersuchung und Aburteilung von Terroristen, die Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Beweisen, effektiven Grenzkontrollen und strenger Überwachung der Ausgabe und Fälschung von Pass- und Reisedokumenten. Sie forderte die Staaten ferner auf, ihre Zusammenarbeit bei der wechselseitigen Information über alle Fragen, die den Terrorismus betreffen, zu verstärken.

Schließlich richtete der Sicherheitsrat mit der Resolution ein spezielles Komitee ein, welches aus allen Mitgliedern des Sicherheitsrats bestand, um die Umsetzung der Resolution zu kontrollieren und forderte alle Staaten auf, binnen 90 Tagen dem Komitee über ihre Maßnahmen zu berichten. Der Sicherheitsrat schloss die Resolution mit der Versicherung, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, die Umsetzung der Maßnahmen zu garantieren und der Absicht, "weiter mit der Sache befasst" zu bleiben.
Auch hier also keine Rede von militärischen Maßnahmen. Dieses Vorgehen war auch zutreffend und angemessen, wie sich bei allen in der Folgezeit  Al Quaida zugeschriebenen Attentaten gezeigt hat. Alle Täter – seien es die aus London oder diejenigen, die die Sprengstoffanschläge auf die Vorortzüge und den Atocha Bahnhof in Madrid verübt haben oder seien es die aus dem Sauerland, wurden mit polizeilichen Mitteln erfolgreich aufgespürt, vor Gericht gestellt und verurteilt. Es wäre daher auch angemessen gewesen, der Taliban-Regierung ein im internationalen Rechtsverkehr übliches Auslieferungsersuchen mit den dafür erforderlichen Beweisen vorzulegen und etwaige Hintermänner der Attentäter vom 11. September 2001 vor Gericht zu stellen. Die Regierung von Mullah Omar hatte angeboten, Bin Laden für ein Gerichtsverfahren in ein neutrales Land auszuliefern. Die USA lehnten dies jedoch ab.
Fraglich ist also weiterhin, ob den USA und ihren Verbündeten das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta zustand. Es müsste sich dann um einen Angriff eines anderen Staates gehandelt haben und dieser Angriff hätte noch gegenwärtig sein müssen.

Was als Angriff unterhalb der Schwelle des Einsatzes regulärer Truppen anzusehen ist, haben die VN in der "Friendly Relationship Declaration" von 1970 dahingehend präzisiert, dass jeder Staat verpflichtet sei, das Organisieren oder die Unterstützung der Organisation von irregulären Streitkräften oder bewaffneten Verbänden und Söldnern zu unterlassen, die in das Gebiet eines anderen Staates eindringen wollen. Danach hat jeder Staat weiterhin die Pflicht, das Organisieren, Anstiften, Unterstützen oder Teilnehmen an Bürgerkriegsakten oder terroristischen Tätigkeiten in einem anderen Staat oder das Dulden von organisierter Tätigkeit im Hinblick auf die Durchführung solcher Akte auf seinem Gebiet zu unterlassen, sofern die erwähnten Handlungen eine Androhung oder Anwendung von Gewalt mit einschließen.
Noch schärfere Konturen gaben die Vereinten Nationen dem Begriff der Aggression in der Resolution 3314 (XXIX) vom 14.12.1974. In Art. 3 der Resolution zur Definition des Begriffs Aggression wird der bewaffnete Angriff beispielhaft wie folgt definiert:
"a) die Invasion oder der Angriff durch die Streitkräfte eines Staates auf das Gebiet eines anderen Staates...
b) Die Beschießung oder die Bombardierung des Hoheitsgebiets eines anderen Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates...
c) Das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn, wenn sie mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von so schwerer Art ausführen, dass sie den oben angeführten Handlungen gleichkommen, oder die wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung "

Dafür, dass die Attentäter des 11. September von der damaligen Taliban-Regierung in Afghanistan entsandt worden wären, oder die von Mullah Omar geführte Regierung auch nur von den in Hamburg lebenden saudischen  Attentätern etwas wusste, gibt es bis heute keine Beweise. Ein Angriff durch einen anderen Staat im Sinne der vorgenannten Kriterien war danach nicht gegeben.

Der völkerrechtliche Berater der Bundesregierung Prof. Jochen Frowein und andere halten zwar die bislang nur von den USA und Israel vertretene Auffassung für völkerrechtlich vertretbar, wonach das militärische Vorgehen gegen Terroristen auf dem Staatsgebiet anderer Staaten bereits möglich sei, wenn die Angriffsplanung von einer terroristischen Organisation auf dem Gebiet eines fremden Staates ausgehe und dieser fremde Staat nicht bereit oder in der Lage sei, die terroristische Aktion entsprechend seinen Verpflichtungen zu unterbinden. (sogenannte „Safe Haven“ Doktrin).
Diese Auffassung steht jedoch nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, wonach mangelndes Vorgehen eines fremden Staates gegen terroristische Organisationen oder deren Duldung nicht ausreicht, um militärische Aktionen auf dessen Staatsgebiet durchzuführen.
Der Internationale Gerichtshof, mit dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung  bedeutendstes Organ der Vereinten Nationen, hat in seiner Nicaragua-Entscheidung 1986 ausdrücklich festgestellt, dass selbst die Unterstützung nichtstaatlicher Angreifer durch Waffenlieferungen oder durch logistische Hilfen eines fremden Staates für die Annahme eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta nicht ausreichen (ICJ Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders 1986, S. 14, 62 ff., 104 ff.).
Der IGH verurteilte in diesem Verfahren zwar die USA - bis heute ein für die US-Politik traumatisches Ereignis - jedoch nur wegen den von den USA selbst durchgeführten Aktionen wie etwa der Verminung der nicaraguanischen Häfen. Den von den USA finanzierten, ausgebildeten und ausgerüsteten Contra-Einheiten unterstellte das Gericht eine relative Eigenständigkeit und rechnete deren Aktionen deshalb nicht der US-amerikanischen Regierung zu.

Als weitere Voraussetzung für das Notwehrrecht nach Art. 51 UN - Charta muss der Angriff gegenwärtig sein.Die Attentäter sind bei dem Anschlag alle ums Leben gekommen. Von weiteren Angriffen anderer Attentäter auf die USA, die man der Taliban-Regierung hätte zurechnen können, ist nichts bekannt geworden. Ein akuter abzuwehrender Angriff lag damit nicht mehr vor.

Schließlich gilt das Notwehr- und Nothilferecht in Art. 51 UN - Charta  ausdrücklich nur, bis der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen selbst in eigener Zuständigkeit die Regelung des Konflikts übernommen hat. Dies war aber mit den oben dargestellten Resolutionen der Fall. Der UN Sicherheitsrat hatte die Sache an sich gezogen, womit ein Selbstverteidigungsrecht, wenn es denn zuvor bestanden haben sollte, beendet war.
Hieraus folgt der völkerrechtliche Befund, dass es sich bei dem bewaffneten Angriff der USA und ihrer Verbündeten im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelte. Dies umso mehr als das zunächst propagierte Ziel der Verfolgung der Bin Laden Gruppe rasch um den Sturz der Taliban-Regierung erweitert wurde. Insoweit handelte es sich jedenfalls um einen „Notwehrexzess“, denn ein „Regimechange“ ist nicht durch das Notwehrrecht gedeckt und verstößt gegen das Gewaltverbot.
Daraus ist abzuleiten, dass der von den USA ausgewählte Staatspräsident Karzai im Wege einer völkerrechtswidrigen Intervention inthronisiert  wurde.
Dies kann bei der rechtlichen Bewertung der nachfolgend gefassten Beschlüsse des Sicherheitsrats zur ISAF nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Auf welcher Rechtsgrundlage konnte der Sicherheitsrat die Truppen, die gerade im Wege einer völkerrechtswidrigen militärischen Intervention eine Regierung ausgetauscht hatten, umetikettieren in legitime Unterstützungskräfte zum Ausbau der Macht eben dieser Regierung?
Es besteht zwar der Grundsatz, dass eine Regierung anerkannt werden kann, wenn sie die tatsächliche Herrschaft über ein Staatsgebiet ausübt. Das war aber bei Karzai nicht der Fall. Sein Einflussbereich ging anfangs kaum über Kabul hinaus. Wir erinnern uns an die spöttische Bezeichnung Karzais als „Bürgermeister von Kabul“.  Bis heute fehlt ihm zudem jede demokratische Legitimation, denn die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen waren bekanntlich allesamt gefälscht.
Kann aber der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu Recht einer Regierung mit Waffengewalt zum Zweck der Stabilisierung ihrer Herrschaft zu Hilfe eilen, die jedenfalls zu Anfang faktisch gar keine Macht im Staat ausübte und bis heute schon wegen der mit ihr verbundenen politischen und wirtschaftlichen Korruption keine mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung findet?  Können die ISAF-Beschlüsse weiterhin aufrecht erhalten  und sogar für weitere Zeiträume erneuert werden, wenn dieser Präsident – wie inzwischen mehrfach geschehen - die Hilfstruppen aufgefordert hat, das Land zu verlassen? Die  ISAF- Beschlüsse des Sicherheitsrats mögen somit der NATO  eine formelle Legitimation verliehen haben, materiell-rechtlich bewegen sie sich in einer völkerrechtlichen  Grauzone mit vielen Fragezeichen.
Dieser Zustand sollte so rasch als möglich beendet werden. Erforderlich sind erstens ein Waffenstillstand und zweitens Verhandlungen zwischen allen relevanten politischen und ethnischen Gruppen ohne ausländische Einmischung in die Souveränität des afghanischen Volkes. Für die Verhandlung einer gerechten Friedenslösung waren die letzten zehn Jahre verlorene Jahre. Drittens müssen als Voraussetzung für diesen Verhandlungsprozess die ausländischen Truppen vollständig abgezogen werden! Und dabei lassen wir uns nicht täuschen! Abzug kann nicht heißen die Verlegung einiger Kampftruppen in ihre Heimatländer bei gleichzeitigem Aufbau von Militärstützpunkten für die Ewigkeit wie im Kosovo und im Irak. Die Truppen müssen restlos wieder nach Hause!
Und – das rufen wir Frau Merkel und Herrn De Maiziere zu – dabei fehlt uns nach zehn Jahren inzwischen jede „strategische Geduld“!

Otto Jäckel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht in Berlin und Wiesbaden (www.jaeckel-rechtsanwalt.de) sowie Vorsitzender der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) Deutschland (www.ialana.de)