Einleitender Beitrag von H.-J. Heintze für die Diskussion im Vorstand der IALANA am 11.04.2014

Positionspapier zu völkerrechtlichen Problemen der Krim

1. Territorium

Die Ukraine ist ein Nachfolgestaat der Sowjetunion. Beim Zerfall der Sowjetunion wurden die innersowjetischen Grenzen der Republiken zu Staatsgrenzen. Es wurde das Prinzip uti possidetis angewendet, d.h. die Nachfolgestaaten durften keine Grenzveränderungen vornehmen. Dieses in Lateinamerika bei der Befreiung von der spanischen Herrschaft entstandene Prinzip wurde bei der Dekolonisierung in Afrika hundertfach angewendet. Begründet wurde dies zutreffend damit, dass die Kolonialmächte die Grenzen zwar nach dem Grundsatz des „divide et impera“ gezogen hatten, jede Grenzveränderung allerdings einen endlosen Prozess von neuen Forderungen nach sich ziehen würde. Gerechte Grenzen gebe es nicht und der ethnisch reine Nationalstaat könne nicht das Ziel sein.

Die sowjetische Nationalitätenpolitik folgte ebenso dem Grundsatz „divide et impera“. Ausdruck dessen war die Übereignung der vorrangig russisch besiedelten Krim an die Ukraine im Jahre 1954. Das spielte aber bei der Dissolution der Sowjetunion keine Rolle, da das Prinzip des uti possidetis durchgängig Anwendung fand. Fortan galt die Ukraine als souveräner Staat, der bezüglich seines territorialen Besitzstandes durch die territoriale Integrität geschützt war. Bekräftigt wurde die territoriale Integrität 1994 durch die „Budapester Deklaration“, die anlässlich des Verzichts der Ukraine auf die dort stationierten Atomwaffen von den USA, Großbritannien und Russland unterschrieben wurde.

2. Bevölkerung

Die Bevölkerung der Ukraine hat Selbstbestimmungsrecht. Träger des Selbstbestimmungsrechts ist das Staatsvolk der gesamten Ukraine. In Verwirklichung dieses Rechts entstand der Staat Ukraine, der nunmehr für das ukrainische Volk auf internationaler Ebene spricht. Das Staatsvolk der Ukraine ist nicht ethnisch homogen, sondern umfasst viele Minderheiten. Obwohl es keine Definition der Minderheit gibt, wird auch von der Ukraine im Rahmen ihrer Mitgliedschaft (seit 1998) in der „Framework Convention on the Protection of National Minorities“ des Europarates der Minderheitenstatus der Russen eingeräumt. Demnach stellen die Russen in der Ukraine eine „nationale Minderheit“ dar, d.h. sie haben in Russland einen „kin State“ („Mutterland“). Minderheiten haben keinen Anspruch auf Selbstbestimmung, aber einen auf den Schutz ihrer Identität und Förderung durch den Staat. Sie können auch Kontakte zum kin-State pflegen. In Verwirklichung dieser Ansprüche wird verschiedentlich behauptet, so auch durch die Bundesrepublik, dass sie bei geschlossener Siedlung auf einem Territorium einen Anspruch auf Selbstverwaltung bis hin zur Autonomie haben. In der Tat räumte die Ukraine der Krim Anfang der 90er Jahre einen Autonomiestatus ein, so dass es eine eigene Verwaltung dieses Gebiet gab.

Ein wesentlicher Aspekt der Minderheitenrechte ist die Pflege und Nutzung der eigenen Sprache privat und offiziell. Der Entzug dieses Rechts durch die ukrainische Regierung nach der „Revolution“ war eine schwere Rechtsverletzung.

 

3. Rolle des Auslands

Gegen die legale Regierung Janukovish kam es in Kiew ab November 2013 zu Demonstrationen, die sich anfänglich gegen die Verweigerung der Unterschrift unter ein EU- Assoziierungsabkommen richteten und sich immer weiter ausweiteten. Verbunden damit waren russland-feindliche Äußerungen der Aufständischen, die sich auch auf die russische Minderheit im Lande bezogen. Besonders auf der Krim sollen sich die Russen bedroht gefühlt haben. Deshalb holte sich Präsident Putin am 1. 3. 2014 beim Parlament die Ermächtigung der Entsendung russischer Truppen nach der Krim ein. Es ist umstritten, ob tatsächlich russische Truppen außerhalb der russischen Militärbasen eingesetzt wurden; überall tauchten aber massenhaft sog. Selbstverteidigungskräfte der Krim auf, die keine Uniformen trugen, aber ethnische Russen waren. Die russische Politik stellte anfangs zweifellos mindestens eine Einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine dar, späterhin mit der Ermächtigung der Truppenentsendung mindestens eine Androhung von Gewalt, wenn nicht gar eine Gewaltanwendung und Verletzung der politischen Unabhängigkeit dar (verboten nach Art. 2 Nr. 4 UN Charta). Aber auch das Auftreten westlicher Außenminister in Kiew und die offene Unterstützung der Aufständischen waren eine verbotene Einmischung, die letztlich zum Sturz einer legalen Regierung beitrug.

 

4. Sezession der Krim

Am 2 März übernahmen die russischen Truppen die Kontrolle über die Krim. Bereits am 6. März erklärte die autonome Regierung der Krim ihren Betritt zur Russischen Föderation und ließ dies durch ein Referendum am 16. März bestätigen. Am 15. März scheiterte im Sicherheitsrat eine Resolution zur Nichtanerkennung des Referendums am Veto Russlands. Das Referendum war illegal, weil es einseitig durch die autonome Regierung der Krim angesetzt wurde und nicht die Zustimmung der Regierung in Kiew hatte. Autonome Einheiten eines Staates sind aber zur Loyalität verpflichtet. In der Literatur wird behauptet, nur schwerste Menschenrechtsverletzungen (wie im Kosovo) könnten von dieser Loyalitätspflicht entbinden, aber die lagen auf der Krim offensichtlich nicht vor. Vielmehr kam es zu Verletzungen der Minderheitenrechte, die aber auf dem Verhandlungswege beizulegen gewesen wären. Dass einseitig angesetzte Referenden nicht zulässig sind bestätigen die russische Ablehnung des Unabhängigkeitsreferendums in Tschetschenien und die Ablehnung des Autonomiereferendums in der Region Narva durch das estnische Verfassungsgerichts. Auch das kanadische Verfassungsgericht erklärte einseitige Unabhängigkeitsreferenden von Quebec für unzulässig. Zulässig sind Referenden nur, wenn sie der Hoheit ausübende Staat (auf Druck der Staatengemeinschaft) zulässt wie in Südsudan oder in Osttimor. Von der UN geforderte Referenden stehen noch aus in Kaschmir und Westsahara.

Konsequenz: der Beitritt der Krim erfolgte unter Verletzung des Gewaltverbots und kann keine Rechtswirkungen entfalten. Die Krim ist als besetztes Gebiet zu betrachten, das nicht annektiert werden darf. Für die Staatengemeinschaft besteht nach der Stimpson-Doktrin und nach der UN-GV-Res. A/68/PV 80 ein Anerkennungsverbot. Die Resolution wurde mit 100:11:58 Stimmen angenommen.