Originalartikel: "Six Steps Short of War to Beat ISIS".

In: The Progressive, September 10, 2014; www.progressive.org

Die Schwächung von ISIS erfordert ein Schwinden der Unterstützung durch Stammesführer, Militärpersonal und ganz gewöhnliche irakische Sunniten, auf die ISIS angewiesen ist. Hier sind Vorschläge, wie das ohne Bombardierungen gelingen kann.  Präsident Obama hat Recht: Es gibt keine militärische Lösung. Militäraktionen schaffen keine Bühne für politische Lösungen; sie werden im Gegenteil verhindern, dass solche Lösungen greifen können.  Die Eskalation militärischer Aktionen gegen diese gewalttätige extremistische Organisation wird nicht erfolgreich sein.

Die Wahrheit ist, dass es keine unmittelbare Aktion gibt, die ISIS verschwinden lassen wird, selbst wenn es US-Luftschlägen gelingt, die richtigen Zielke irgendwo zu treffen und einen gepanzerten Mannschafttransporter oder eine Wagenladung von Männern mit RPGs (von Hand zu bedienende Panzerabwehrraketen, d. Übers.) oder was auch immer auszuschalten.

Man kann eine Ideologie nicht zerstören – oder gar eine Organisation – durch Bombardierung (man sehe sich nur die diesbezüglichen Bemühungen mit Al-Kaida an… viele Mitglieder wurden in Afghanistan getötet, aber die Organisation schlug Wurzeln in einer Reihe anderer Länder).

Das Bewaffnen der sogenannten „gemäßigten“ Opposition in Syrien bedeutet nicht, die Guten zu unterstützen. Es bedeutet, Waffen an die Freie Syrische Armee zu schicke, die, so die New York Times „fortfuhr, sechs ISIS-Kämpfer zu enthaupten…und die Fotos dann auf Facebook ins Netz zu stellen.“

Ein Militärschlag könnte vielleicht unmittelbare Befriedigung bringen, aber wir wissen alle, dass Rache eine schlechte Grundlage bildet für die Außenpolitik, insbesondere, wenn sie derartig gefährliche Konsequenzen hat.

So entsetzlich auch die Enthauptung der zwei US-Journalisten war, Rache ist nie eine gute Grundlage für die Außenpolitik. Wir sollten nicht vergessen, was Matthew Olsen, der scheidende Leiter des National Counterterrorism Center letzte Woche sagte, dass „es keine verlässliche Information gibt, dass [ISIS] dabei ist, einen Angriff auf die Vereinigten Staaten zu planen“, und das es „keine Hinweise zum jetzigen Zeitpunkt auf die Existenz einer Zelle von in den USA operierenden ausländischen Kämpfern gibt – Punkt!“

Stattdessen müssen wir einsehen, dass militärische Lösungen nicht wirklich funktionieren. Haben wir die Fehlschläge der US-Kriege im Mittleren Osten über diese vielen Jahre schon vergessen?

Wir müssen uns auf mittel- und langfristige Lösungen fokussieren, was allerdings nicht leicht ist in einem Wahljahr.

Wir müssen einsehen, dass militärische Angriffe in vielfältiger Hinsicht nicht nur falsch sind (illegal nach internationalem Recht, unmoralisch wegen ihrer zivilen Verluste, eine Ablenkung von dringendst benötigter Diplomatie), sondern auch, dass derartige Schläge wirkliche Lösungen unmöglich machen.

Warum?

Wir müssen zunächst einmal verstehen, warum ISIS so mächtig ist.

Erstens: ISIS besitzt gute Waffen (zumeist aus US- und Saudi-Beständen, die die Region seit über 15 Jahren überfluten). Also müssen wir anfangen, über die Notwendigkeit eines Waffenembargos für alle Seiten nachzudenken.

Zweitens: ISIS verfügt über eine gute militärische Führung, teilweise gestellt von sunnitischen irakischen Generälen, die aus ihren militärischen Posten geworfen wurden in der Folge der US-Invasion, und die nun Ausbildung, Strategie und militärische Führung bereitstellen für mit ISIS verbündete Milizen und ISIS selbst. Hierbei handelt es sich um eine höchst säkulare Gruppe. Sie rauchen und trinken und werden kaum bei ISIS bleiben, wenn sie glauben, eine Chance zum Wiedererlangen ihrer verlorenen Jobs, Prestige und Würde zu haben. Das könnte mit der Zeit eintreten, aber nur wenn eine wirkliche neue Regierung im Irak an die Macht kommt; es wird aber keineswegs ausreichen, einfach nur einen neuen Premierminister zu wählen und eine neue Regierung zu verkünden, die dann aber zu viele der alten, konfessionellen Gesichter aufweist.

Drittens: ISIS hat die Unterstützung von sunnitischen Stammesführern – genau die Personen, von denen Präsident Obama sagt, er wolle sie „überreden“ mit ISIS zu brechen. Aber dies sind genau die Leute, die sehr schwer gelitten haben – zuerst während der US-Invasion, und dann besonders während der Jahre der US-gestützten, Schia-kontrollierten konfessionellen Regierung von Nuri al-Maliki. Sie wurden dämonisiert, attackiert und enteignet durch die Regierung in Bagdad, und deshalb sehen viele von ihnen zurzeit ISIS als die einzige Macht, mit der sie sich verbünden können um dieser Regierung entgegentreten zu können.
Und viele von ihnen kontrollieren große und mächtige Milizen, die gegenwärtig gemeinsam mit ISIS gegen die Regierung in Bagdad kämpfen.

Viertens: ISIS besitzt die Unterstützung von einfachen sunnitischen Irakern, die vielleicht (da ebenfalls größtenteils säkular orientiert) das hassen, wofür ISIS steht, seinen Extremismus und seine Gewalt, die aber unter Malikis Schia-kontrollierter konfessioneller Regierung selber schrecklich gelitten haben, mit ihren Verhaftungen, Folterungen, außer-gerichtlichen Exekutionen und noch mehr. Als Folge davon sind sie bereit, sich mit ISIS gegen Bagdad zu verbünden, wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt.

Deshalb also erfordert eine Schwächung von ISIS, dessen Unterstützung durch die Stammesführer, Militärpersonal und einfache irakische Sunniten zu beenden, auf die ISIS angewiesen ist. Die Schlüsselfrage ist nun: Wie machen wir das?

Erster Schritt: Aufhören mit den Luftschlägen. Denn, was wir in den USA als „Hurra, wir haben die Bösen erwischt“ sehen, wird von vielen Im Irak, insbesondere gerade von den Sunniten, die der Präsident überreden möchte mit ISIS zu brechen, gesehen als ein Eingreifen der US-Luftwaffe auf Seiten der Kurden und der Schiiten gegen die Sunniten. Auf diese Weise verfehlen diese Luftschläge das angestrebte Ziel, die Unterstützung der Bevölkerung für ISIS zu beenden, und tragen stattdessen dazu bei, die extremistische Organisation zu stärken.

Zweiter Schritt: Die Verpflichtung von „Keine Bodentruppen im Irak“ wahr werden lassen. In Ankündigungen gerade während der letzten Wochen hat das Weiße Haus bestätigt, fast 1300 Soldaten in den Irak entsandt zu haben. Und wer weiß, wieviel unbestätigte CIA- und JSOC- (Joint Special Operations Command) Agenten sich bereits im Irak aufhalten? Wir müssen einen “Stopp des schlüpfrigen Pfades zu noch mehr Soldaten vor Ort!“ einfordern. Die USA muss ferner damit aufhören, die Region mit Waffen zu überfluten, die nur noch mehr Gewalt gegen Zivilisten verursachen werden, und ihre Politik des Ignorierens der Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen Rechts durch ihre Alliierten beenden. Wir brauchen dir Durchsetzung des Leahy-Gesetzes (das die Unterstützung fremden Militärs verbietet, von dem bekannt ist, dass es Menschenrechtsverletzungen begeht) hier in unserem Land.

Dritter Schritt: Das Organisieren einer wirklichen diplomatischen Partnerschaft um mit ISIS fertigzuwerden. Auch wenn die USA Luftschläge durchführen und neue Truppen in den Irak entsenden, so stimmt doch jeder zu, dass es keine militärische Lösung geben kann. Also muss die Diplomatie ins Zentrum gerückt werden. Das bedeutet ernsthafte Vereinbarungen mit dem Iran neben weiteren Akteuren. Teheran verfügt über mehr Einfluss in Bagdad als Washington. Wenn es uns ernst ist damit, die irakische Regierung dazu bewegen zu wollen, eine verstärkt inklusive Politik in Angriff zu nehmen, besteht bei gemeinsamem Druck durch die USA und den Iran die größte Chance auf Erfolg. Auch wenn der Iran selbst mehrheitlich schiitisch ist, so sind die Führer des Landes doch besorgt über die Instabilität ihres Nachbarlandes, die ein Resultat des schiitischen Konfessionalismus in Bagdad ist. Die Nuklear-Gespräche zwischen den USA und dem Iran scheinen doch gut voranzukommen; jetzt ist der Zeitpunkt, diese Gespräche zu erweitern und die Diskussion über das „große Geschäft“ (grand bargain) zwischen den USA und dem Iran einzubeziehen, wie auch all die regionalen Krisen.

Vierter Schritt: Das Initiieren einer neuen Suche nach breiteren diplomatische Lösungen in den Vereinten Nationen. Das bedeutet Arbeiten am Aufbau einer wirklichen Koalition, die darauf abzielt auf der internationalen Ebene diplomatischen und finanziellen Druck, und nicht Militärschläge, einzusetzen, in Syrien wie auch im Irak. Alle Regierungen in der Region haben ihre eigenen Interessen. Die Türkei, z.B., weiß, dass eine Teilnahme an einem US-geführten Militärschlag gegen den Irak das Leben ihrer 49 Diplomaten und deren Familien, die sich derzeit in der Gewalt von ISIS befinden, bedrohen würde. Eine wirkliche Koalition wird nicht für Militärschläge benötigt, sondern für machtvolle Diplomatie. Das bedeutet, den US-Verbündeten Saudi-Arabien unter Druck setzen für ein Beenden der Bewaffnung und Finanzierung von ISIS und anderer extremistischer Kämpfer; den US-Verbündeten Türkei unter Druck setzen, für ein Beenden der Erlaubnis für ISIS und andere Kämpfer, über die türkische Grenze nach Syrien einzudringen; die US-Verbündeten Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere unter Druck setzen, das Finanzieren und Bewaffnen von jedem und allen in Syrien, die von sich behaupten, gegen Assad zu sein, zu beenden. Wir brauchen keine weitere Koalition der Tötenden (Coalition of the Killing: ein Wortspiel mit ".. of the Willing", d. Übers.) (siehe zur Begründung: Erster Schritt). Warum nicht an einer Koalition der Wiederaufbauenden arbeiten?

Fünfter Schritt: Die VN drängen, trotz des Rücktritts von Lakhdar Brahimi, zu einer Wiederaufnahme ernsthafter Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien. Das bedeutet, dass jeder darin Involvierte an den Verhandlungstisch gehört: das syrische Regime, die Zivilgesellschaft innerhalb Syriens einschließlich gewaltfreier Aktivisten, Frauen, junge Menschen, Flüchtlinge, usw., die bewaffneten Rebellen, die im Ausland lebende Opposition , die regionalen und globalen Akteure, die alle Seiten unterstützen – die USA, Russland, Iran, die Saudis, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, die Türkei, Jordanien und noch weitere darüber hinaus. Dies könnte eine Gelegenheit bieten, mit Russland über seine Syrienpolitik zu sprechen und damit auf der erfolgreichen gemeinsamen Anstrengung zur Zerstörung der syrischen Chemiewaffen aufzubauen und vielleicht sogar zur Reduzierung der Spannungen über die Ukraine beitragen. Ein Waffenembargo für alle Seiten sollte auf der langfristigen Agenda stehen.

Sechster Schritt: Ein massiver Anstieg der humanitären US-Beiträge an die UN-Organisationen für die bereits Millionen von Flüchtlingen und IDPs (internal displaced persons=Binnenflüchtlinge) in und aus Syrien wie auch dem Irak. Die USA haben signifikante Mittel zugesagt, aber vieles davon ist den Organisationen bisher noch nicht zur Verfügung gestellt worden, und noch mehr sollte zugesagt und gegeben werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken

* Phillis Bennis leitet das „New Internationalism Project“ am Institut für Politikforschung (Institute for Policy Studies-IPS) in Washington und arbeitet für das Transnationale Institut in Amsterdam. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind der Nahe und Mittlere Osten und die Vereinten Nationen. Außerdem arbeitet sie eng mit der amerikanischen Friedensbewegung „United for Peace and Justice“ zusammen.