Israel und das Atomabkommen mit dem Iran

Moshe Zuckermann ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Aus: junge welt, Freitag, 6. Dezember 2013

Das im Westen als »historischer Durchbruch« begrüßte Genfer Atomabkommen mit dem Iran ist von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu als »historischer Fehler« apostrophiert worden. Überraschen durfte das nicht. Denn Irans nukleare Bestrebungen bildeten in den letzten Jahren das prädominante Sujet auf Netanjahus außenpolitischer Tagesordnung, es war mithin die (einzige) Grundlage seiner politischen Prominenz im internationalen geopolitischen Diskurs.

Je mehr er sich indes dazu verstieg, die Lösung des Problems einer militärisch nutzbaren Nuklearisierung des Mullah-Regimes alternativlos in der totalen Verhinderung der infrastrukturellen Vorbereitung einer solchen Nuklearisierung zu fordern und voranzutreiben, setzte er sich auch der Gefahr aus, politisch leer auszugehen, wenn man sich im Westen auf die Möglichkeit einer im Verhandlungskompromiß mit dem Iran angelegten Alternative einlassen würde. Der Westen hat sich diese Möglichkeit in der Tat offengehalten, und Netanjahu blieb nichts anderes übrig, als dies mit larmoyanter Emphase zu beklagen. Daß er sich dabei nicht entblödete, besagten »historischen Fehler« dem Münchner Abkommen von 1938 – mithin die westlichen Verhandlungspartner des Iran dem damaligen britischen Premierminister Neville Chamberlain und den iranischen Präsidenten Hassan Rohani mit Hitler – gleichzusetzen, verwundert ebenfalls nicht sonderlich: Derlei leicht herangezogene Vergleiche gehören zum Standardrepertoire in der israelischen politischen Kultur – jede Kritik an Israels Politik gilt ihren Sachwaltern (und auch einem nicht unbeträchtlichen Teil der jüdisch-israelischen Bevölkerung) als antisemitisch, und wenn diese Kritik auch noch aus Europa kommt, ist man sehr schnell mit Nazismus-, Hitler- und Shoah-Vergleichen bei der Hand, gleichsam als endzeitliche rhetorische Waffe gegen alles außenpolitisch Unliebsame, das man von sich abzuwenden trachtet.

Zu fragen bleibt gleichwohl, ob Netanjahu selbst an solche Vergleiche glaubt. Die israelische Publizistik ist sich in der Beantwortung dieser Frage nicht einig. Nicht wenigen Kommentatoren gilt Netanjahus geschliffene Rhetorik grundsätzlich als unglaubwürdig, ja verlogen. Zu oft habe man erleben müssen, als wie unzuverlässig Proklamationen aus seinem Munde sich bei schwierigen Entscheidungen erweisen, wenn ihr rhetorisch-pyrotechnischer Glanz erst einmal verflogen ist. Andere hingegen meinen, Netanjahus Brustton beruhe sehr wohl auf der inneren Überzeugung, daß Israel von seiten Irans eine der Shoah (bzw. einer »zweiten Shoah«) vergleichbare Gefahr drohe. Es ist jedoch letztlich unerheblich, wie ernst Netanjahu sein eigenes staatsoffizielles Politgerede nimmt. Von gravierender Bedeutung ist vielmehr die Tatsache, daß er sich in seiner Iran-Politik der letzten Jahre auf einen permanent betriebenen Diskurs katastrophischer Angstmacherei festgelegt hat, welcher zum einen in manipulativer Weise kollektiv-psychische Effekte innerhalb der israelischen Bevölkerung gezeitigt, zum anderen aber Netanjahu selbst in einen absurden Zugzwang getrieben hat. Denn wenn man die Shoah als Argument anführt, muß man davon ausgehen, daß damit ein (zumindest für Juden) unüberbietbares Maß der Bedrohung festgelegt worden ist, ein solches, das nichts anderes zuläßt, als die unaufhaltsame, rigorose, zielstrebige und selbstgewisse Bekämpfung dieser Bedrohung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Wenn von einer drohenden Shoah die Rede ist, bleibt kein Raum mehr für Diplomatie, schon gar nicht für zögerliche Politik, weil ja eine reale Existenzbedrohung nicht verhandelbar sein kann. Wer also seit Jahren über eine von Iran ausgehende, der Shoah vergleichbare Bedrohung Israels räsoniert, muß sich fragen lassen, wie es komme, daß er es bislang bei der Proklamation dieser Gefahr hat bewenden lassen, ohne der Bedrohung praktisch entgegenzuwirken (vergleichsweise wären etwa die Unkenrufer, die in Deutschland allenthalben einen Antisemitismus von rechts, von links und in der Mitte postulieren, zu fragen, wieso sie nicht dafür plädieren bzw. sorgen, daß alle Juden schleunigst aus Deutschland wegziehen, bevor es zu spät wird – Deutschland ist doch das Land einer gewissen historischen Präzedens).

Man kann Netanjahu nicht vorwerfen, daß er nicht handeln wollte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ein mit den USA abgestimmter Militärangriff auf die iranischen Nuklearanlagen schon längst stattgefunden. Nichts macht israelische Politiker glücklicher als der schnelle, »elegante« Gewaltschlag, mit dem Israels Sicherheit wieder einmal garantiert, mithin das Bedürfnis der Bevölkerung, sich immer wieder der militärischen Überlegenheit ihres Landes zu vergewissern, bedient worden ist. Daß dieses Bedürfnis in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht mehr die erwartete »glanzvolle« Befriedigung erfahren hat, wie man es, dem Mythos des 1967er Krieges entsprechend, gewohnt war, hat die politische Klasse nie nachdenklich gestimmt, sondern selbst vorgeblich friedenswillige Politiker wie etwa Ehud Olmert eher angestachelt. Netanjahu fehlt bis dato ein erfolgreicher militärischer Gewaltschlag in seiner politischen Laufbahn.

Vom Iran bedroht?

Es stellt sich indes die fundamentale Frage: Stimmt es überhaupt, daß Israel durch Iran in seiner Existenz bedroht ist? Bei der Beantwortung dieser Frage geht es nicht um die Bestimmung, ob Irans Fähigkeit, eine Atombombe herzustellen, zu vereiteln sei. Darüber sollte kein Zweifel herrschen, und sei’s, weil die nukleare Bewaffnung Irans die Bestrebung anderer Länder in der Nahostregion, sich nuklear zu bewaffnen, unweigerlich nach sich ziehen würde. Es geht auch nicht um die Klärung der Frage, ob Iran Israel gegenüber dermaßen feindlich eingestellt ist, daß das Mullah-Regime den zionistischen Staat am liebsten von der Landkarte radieren würde. Auch darüber darf es keine allzu großen Zweifel geben; die Politrhetorik eines Mahmud Ahmadinedschad hat es in dieser Hinsicht an Eindeutigkeit nicht fehlen lassen (wenn auch selbst das verschiedenenorts bezweifelt wird), und Rohanis Gerede hat an dieser Grundhaltung nichts Wesentliches geändert, wiewohl sich der jetztige iranische Präsident weniger exaltiert gibt. Festzustellen gilt es gleichwohl, daß es einen gravierenden Unterschied macht, ob man in einer bedrohlichen Konstellation lebt (in welcher Israel seit seinem Bestehen ohnehin existiert), oder ob sich die Bedrohung vollzieht und das Angedrohte sich verwirklicht. Von selbst versteht sich, daß eine wie immer rabiate rhetorische Drohgebärde als etwas ganz anderes zu werten ist als ihre reale Umsetzung in aggressive Praxis. Was nun aber, wenn der Iran die militärische Fähigkeit, Israel nuklear zu attackieren, erlangen würde? Wäre damit nicht die Grenze dessen erreicht, was für Israel nicht mehr hinnehmbar sein kann?

Es stellt sich die Gegenfrage, von welcher Voraussetzung eine solche Frage ausgehe. Man darf als Israeli nicht behaupten, daß Israel Atomwaffen besitze, sondern muß sich bei einer solchen Behauptung stets auf »fremde Quellen« berufen; das soll auch hier befolgt werden. Wenn also stimmt, was »fremde Quellen« seit Jahrzehnten behaupten, dann muß mit einiger Gewißheit festgestellt werden, daß kein Staat in der Nahostregion sich einfallen lassen kann, den praktischen Versuch zu betreiben, Israel »von der Landkarte zu radieren«, ohne dabei seinen eigenen Untergang unweigerlich mit festzuschreiben. So theatralisch dies klingen mag, handelt es sich um eine belegbare Schlußfolgerung aus den real bestehenden militärischen Macht- und Gewaltverhältnissen in der nahöstlichen bedrohlichen Konstellation, in welcher Israel lebt: Wer immer den Versuch unternehmen sollte, Israels Existenz militärisch auszulöschen, wird damit zu rechnen haben, daß die Existenz seines eigenen Landes (und womöglich anderer Staaten der Region) ausgelöscht würde. Man pflegte einst von dem die politischen Kultur Israels beherrschenden Masada-Komplex zu sprechen. Davon kann schon lange nicht mehr die Rede sein; man möge sich eher am wirklichkeitsnäheren Samson-Syndrom orientieren: Der von den Philistern gefangene und geblendete Samson wird in einem großen Massenfest dem spottenden Hohn seiner feiernden Feinde ausgesetzt. Er ruft Gott an, ihm ein letztes Mal seine verlorene Kraft wiederzugeben. Gott gewährt ihm die Kraft, worauf die biblische Erzählung mit den Worten schließt: »Und er umfaßte die zwei Mittelsäulen, auf denen das Haus ruhte, die eine mit seiner rechten und die andere mit seiner linken Hand, und stemmte sich gegen sie und sprach: Ich will sterben mit den Philistern! Und er neigte sich mit aller Kraft. Da fiel das Haus auf die Fürsten und auf alles Volk, das darin war, so daß es mehr Tote waren, die er durch seinen Tod tötete, als die er zu seinen Lebzeiten getötet hatte«.

Es ist davon auszugehen, daß, so sehr ein nuklear bewaffneter Iran eine potentielle Bedrohung für Israel darstellt, Israels Möglichkeiten, Iran im extremen Ernstfall auszuschalten, ungleich größer und realer sind. Warum also sollte Iran – ungeachtet allen propagandistischen Getönes – Israel nuklear angreifen wollen, wenn Israels Reaktion keinem Zweifel unterzogen werden kann? Kraft welcher Zweckrationalität wäre eine solche Attacke gerechtfertigt? Die gängige Antwort darauf (in Israel) lautet, daß man an Tun und Walten des Mullah-Regimes keine rationalen Maßstäbe anlegen dürfe, handle es sich doch in Iran um eine zutiefst irrationale politische Klasse, die nur eine irrationale Politik hervorzubringen vermag. Abgesehen von der dieser Argumentation unterlegten Arroganz, derzufolge die religiöse Ideologie der Mullahs irrationaler, mithin gewaltbereiter sei als etwa die US-amerikanischer christlicher Fundamentalisten oder die nationalreligiöser jüdischer Siedler im Westjordanland, läßt sich historisch immer wieder feststellen, daß die zweckrationalen Erwägungen fanatischer Diktatoren sehr selten dem durch westliche Beobachter von ihnen gemachten Bild entsprechen. Die von Hans Magnus Enzensberger seinerzeit Saddam Hussein unterstellte Todessehnsucht, die er »Hitlers Wiedergänger« beimaß, stellte sich ebenso schnell als Projektion eines westlichen Demokraten auf den wilden asiatischen Diktator heraus, wie zuvor tunlichst ausgeblendet wurde, mit wessen (westlicher) Hilfe die militärische Heraufkunft ebendieses Diktators historisch überhaupt erst möglich geworden war. Die klare Analyse geopolitischer Interessen, bei denen die Zweckrationalität der politischen Feinde mit in Anschlag gebracht werden muß, ist stets mühsamer und unbequemer als das ideologische Suhlen in der selbstherrlichen Illusion des gerechten Kampfes eines rationalen, friedensbewegten Westens gegen einen irrational gewaltbereiten Nichtwesten, welcher Couleur auch immer. Von der orientalistisch eingefärbten Ideologie, derzufolge iranische (bzw. palästinensische) Mütter um das Wohl ihrer Kinder weniger besorgt seien als Mütter im Westen, soll hier geschwiegen werden.

Beziehung zur USA auf Tiefstand

Als Pendant zu dem Iran gegenüber gemachten Irrationalismusvorwurf wird seit dem Genfer Atomabkommen von israelischer Seite die Mahnung hinzugefügt, der Iran sei kein verläßlicher, sondern ein gewieft-verlogener Verhandlungspartner; er werde von seinen Bestrebungen, die Grundlage für atomare Bewaffnung herzustellen, trotz aller Verhandlungen und in diesen erlangten Kompromisse nie und nimmer ablassen. Der Westen verstehe nicht, mit wem er es da zu tun hat und werde sich noch umschauen. Dieser Vorwurf aus staatsoffiziellem israelischen Munde kann nur ironisch belächelt werden. Denn kein Land in der Region hat so viele Versprechen und Abmachungen gebrochen wie Israel, wenn es um Belange des Nahostkonflikts im allgemeinen und um Israels expansive Siedlungspolitik im besonderen ging (und geht). Davon können nicht nur die Europäer (einschließlich Angela Merkel), sondern auch Israels US-amerikanische Schutzpatrone ein leidvolles, an diplomatischen Peinlichkeiten kaum zu überbietendes Lied singen.

Daß sich die Amerikaner derlei bislang haben bieten lassen, hat nichts mit einer besonderen Israel-Liebe und entgegen aller Behauptungen auch nichts oder doch nur wenig mit der Einflußnahme der Israel-Lobby in den USA zu tun, sondern mit dem jeweiligen Stand ihrer geopolitischen Interessen in der Nahostregion. Solange Israels politisches Treiben die US-Interessen nicht wesentlich tangiert, ist es dem Weißen Haus mehr oder minder gleichgültig, wie intensiv und in welchem Umfang man sich in dieser Region gegenseitig bekriegt, massakriert oder sonstwie menschen- und völkerrechtswidrig unterdrückt. Werden aber solche Interessen substantiell betroffen, lassen die US-Offiziellen keinem Zweifel darüber Raum, was sie von Israels Renitenz halten.

Hierzu muß festgestellt werden: Die USA haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt genug von kriegerischen Interventionen in der Welt. Die Irak- und Afghanistan-Kriege haben sowohl im Hinblick auf die Opferung amerikanischer Soldatenleben als auch in bezug auf die unermeßlichen finanziellen Kosten, die diese Kriege gezeitigt haben, offenbar das ihre getan. Ein gemeinsamer amerikanisch-israelischer Angriff auf den Iran kann nichts als eine militärische Reaktion Irans zur Folge haben, die nicht nur in einen umfassenden israelisch-iranischen Krieg ausarten dürfte, der u.a. Israels urbaner Zivilbevölkerung übelsten Schaden zufügen, sondern auch die USA zwangsläufig in Mitleidenschaft ziehen würde. Der Iran ist militärisch nicht an Libyen zu bemessen. Und selbst beim minder starken Syrien hat der US-Präsident (mit gutem Grund aus seiner Sicht) von einer Militärintervention abgesehen. Barack Obama will keinen Krieg mit dem Iran, auch keinen israelisch-iranischen Krieg, daher hat er sich in geopolitisch interessengeleiteter Abstimmung mit dem europäischen Westen für den Versuch einer diplomatischen Lösung des Konflikts mit dem Iran entschieden, wobei es sich für ihn um keine überstürzte, sondern um eine strategisch gedachte Ausrichtung auf den Iran handelt. Genau das meinte man mit »historischem Durchbruch«, als sich der Iran unter Rohani auf diese neue Annäherungspolitik einließ.

Diese fundamentale Entscheidung Obamas und das aus ihr resultierende Abkommen mit dem Iran hat also Netanjahu als »historischen Fehler« bezeichnet. Israels Ex-Premierminister Ehud Olmert wird wohl übertrieben haben, als er vor einigen Tagen Netanjahu öffentlich beschuldigte, den USA, Israels wichtigstem Verbündeten, »den Krieg erklärt« zu haben. Daß aber, wie letztens berichtet, ein von Obama entsandter Mittelmann dem israelischen Premier zugetragen haben soll, er möge sich gefälligst der harschen Kritik am Abkommen enthalten, mithin aufhören, den amerikanischen Kongreß gegen den US-Präsidenten in Stellung zu bringen (kurzum: er möge es unterlassen, sich aktiv in die US-Innenpolitik einzumischen), hat nicht von ungefähr israelische Beobachter zur Einschätzung verleitet, nicht nur die persönlichen Beziehungen zwischen Obama und Netanjahu, sondern die Beziehungen zwischen Israel und den USA insgesamt hätten einen Tiefpunkt erreicht, wie man ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gekannt hat. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, daß es zwischen den beiden Staatsoberhäuptern bereits in der vorigen Amtsperiode des US-Präsidenten schlecht lief und den tiefsten Stand der Beziehungen erlangte, als sich Netanjahu bei den letzten US-Wahlen unverkennbar auf die Seite von Obamas Gegner Mitt Romney stellte. Daß Obama nach seiner Wiederwahl die Beziehungen mit einem Israel-Besuch auszubügeln versuchte und einen Neuanfang wagte, hat offenbar nicht sehr viel gefruchtet.

Tel Aviv isoliert

Will man von einer irrationalen Politik reden, so ist es gerade Israels gegenwärtige Außenpolitik, die diese Titulierung verdient. Das bedeutet nicht, daß sie von keiner inneren Logik geleitet wäre (sie ist es sehr wohl), sondern daß sie den Bezug zur Realität verloren hat, in der sie schaltet und waltet. Israel betreibt eine expansive Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten und bringt damit nicht nur seine westlichen Verbündeten gegen sich auf, sondern schafft damit die Grundlage für die unweigerliche Auflösung der eigenen Staatsräson. Aber es verkennt auch die Grenzen des ihm von der »Welt« und den Verbündeten zugestandenen Spielraums zur Einforderung der von ihm beanspruchten (mithin Shoah-historisch gerechtfertigten) »Extrawurst«. Es versteht offensichtlich nicht, daß man genug hat von seinen Eskapaden, seinen Lippenbekenntnissen und seiner Selbstgerechtigkeit; daß besagte Grenzen überschritten sind. Nicht etwa, weil »die Welt« Israel gegenüber etwas moralisch einzufordern gedächte – die Palästinenser hätten derlei schon längst erwarten dürfen, ohne daß es seitens der Fordernden je ernsthaft gewollt, geschweige denn praktisch erwogen worden wäre, Israel zu irgend etwas in dieser Hinsicht zu zwingen. Nein, nicht um Moral geht es, es geht um Interessen. Was Israels Politik zunehmend irrationaler werden läßt, ist, daß es offensichtlich nicht mehr zu erkennen vermag, daß seine (vermeintlichen) Interessen mit denen des Westens, also mit denen seiner politischen und ökonomischen Verbündeten, nicht mehr kompatibel sind. Israel dividiert sich z.Z. aus dem Interessenbereich seines eigenen politischen Spielterrains heraus. Wenn es zur (zweck-)rationalen Einschätzung fähig wäre, hätte es sogleich begreifen müssen, was es zu bedeuten hat, daß unzählige Unternehmen aus aller Welt sich sofort auf die neueröffnete Möglichkeit, mit Iran nach dem Abkommen wieder offiziellen Handel treiben zu dürfen, mit solchem kapitalistischen Enthusiasmus gestürzt haben. Israel ist dabei isoliert. Und das Bedrückende: Es scheint sich in dieser Isolation schmollend zu gefallen. Wenn ihm »die Welt« zu dumm kommt, gibt’s gleich eine Öffnung der Schleusen zum forciert erweiterten Siedlungsbau im okkupierten Westjordan. Gegebenenfalls attackiert Israel den Iran allein, auf eigene Faust. Zu klären bliebe dann nur noch, wer Israels Existenz bedroht hat.