Bernd Hahnfeld: Bericht über die Berufungs-Verhandlung am 12. März 2015 im „Kundus-Prozess“ vor dem OLG Köln

Das große öffentliche Interesse an dem Prozess wurde deutlich an der Zahl der anwesenden Medienvertreter. Darüberhinaus nahmen nur wenige Zuhörer an der Verhandlung teil.

Nach der Stellung der Anträge durch die Parteienvertreter erklärte die Senatsvorsitzende, dass der Senat der Berufung gegen das abweisende Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. Oktober 2013 nur geringe Erfolgsaussicht einräume.

Die Senatsvorsitzende trug sodann den Tatbestand vor und verlas das sehr ausführliche Ergebnis der Vorberatung des Senats. Sie folgte dabei im Wesentlichen dem Aufbau und der Argumentation des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bonn.

Als Erfolg der Kläger ist zu werten, dass der Senat die Klage als zulässig ansieht und damit die Einwände der beklagten Bundesrepublik Deutschland zurückwies: Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch wegen amtspflichtwidrigen hoheitlichen Handelns gegen die Bundesrepublik Deutschland unterliege nach dem Grundsatz der Staatensouveränität allein der deutschen Gerichtsbarkeit.

Schadensersatzansprüche aus dem Völkerrecht und auch Ansprüche aus Aufopferung wies das Gericht zurück.

Ein weiterer Erfolg der durch die Rechtsanwälte Karim Popal und Prof. Dr. Derleder vertretenen afghanischen Kläger Abdul Hannan und Qureisha Rauf ist jedoch, dass der Senat im vorliegenden Fall die Schadensersatznorm der Haftung bei Amtspflichtverletzungen nach § 839 BGB für einschlägig hält: Das Recht des Amtsstaates sei anzuwenden. Denn obwohl Oberst Klein im Rahmen des ISAF-Einsatzes der operativen Leitung der NATO unterstanden habe, habe die Bundesrepublik die Dienstgewalt über ihn behalten. Die Anordnung des Bombenabwurfs sei hoheitliches Handeln gewesen.

Die Senatsvorsitzende meinte, weitere im Zusammenhang mit § 839 BGB höchstrichterlich ungeklärte Fragen brauche der Senat nicht zu erörtern, weil die Kläger aus tatsächlichen Gründen keinen Schadensersatzanspruch hätten.

Auch die Frage des Drittschutzes der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen ( Art. 13 ZP II, Art. 51 und 57 ZP I) zum Schutze der Opfer bewaffneter Konflikte im Rahmen der Amtspflichten deutscher Soldaten könne letztlich offen bleiben. Die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen seien anzuwenden und gelten auch als Völkergewohnheitsrecht. Aus dem Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung ergäben sich für das militärische Handeln besondere Vorsichts- und Aufklärungspflichten.

Die Vorberatung des Senats habe ergeben, dass das Landgericht in seiner umfangreichen Beweisaufnahme insbesondere durch Augenscheinnahme von Luftbildaufnahmen und Anhörung von Tonbändern des Funkverkehrs sowie der Vernehmung eines Sachverständigen keine schuldhafte Amtspflichtverletzung von Oberst Klein festgestellt habe.

In diesem Zusammenhang betonte die Senatsvorsitzende, dass das Berufungsgericht sich nicht als umfassende neue Tatsacheninstanz verstehe, sondern das erstinstanzliche Urteil vor allem auf Verfahrensfehler überprüfe. Als solcher sei die bloße Möglichkeit einer anderen Beweiswürdigung nicht anzusehen. Die Rüge der unterlassenen Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen Oberst Klein greife nicht durch, weil die Kläger keine streitigen Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätten, zu denen der Zeuge hätte vernommen werden müssen. Die von den Klägern ebenfalls gerügte unterlassene Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht wies die Senatsvorsitzende mit dem Hinweis zurück, dass im Zivilverfahren keine Amtsermittlung, sondern die Maxime des Parteiverfahrens gelte, in dem nur über konkrete entscheidungserhebliche Tatsachenbehauptungen Beweis zu erheben sei.

Fehlerfrei habe das Landgericht festgestellt, es sei nicht bewiesen worden, dass Oberst Klein sich dessen bewusst war, durch den Bombenabwurf Zivilpersonen zu schädigen. Er habe nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem Ergebnis der Beweisaufnahme die vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen und das Aufklärungsgebot nicht schuldhaft verletzt. Insbesondere habe er alle Aufklärungsmöglichkeiten genutzt. Demnach habe Oberst Klein nicht davon ausgehen müssen, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs Zivilpersonen auf der Sandbank befunden haben. Die Infrarot-Wärmebilder des Aufklärungsflugzeugs hätten lediglich sich bewegende Punkte gezeigt, aber keine Hinweise auf Zivilisten oder Kinder. Auch die Zahl der Anwesenden und die Bewegungsmuster hätten nicht auf Zivilisten hingewiesen. Die Piloten selbst seien auch nicht im Zweifel darüber gewesen, dass keine Zivilisten auf der Sandbank gewesen seien. Der Informant am Boden habe auf mehrmaliges Nachfragen Oberst Kleins nur von Taliban am Tatort berichtet. Die Überprüfung des Informanten habe Oberst Klein nicht vernachlässigt. Die Angaben des Informanten seien im Prozess nicht bestritten worden.

In dem anschließenden Rechtsgespräch rügten die Klägervertreter, dass sie die Beweiswürdigung für falsch halten. Viele Umstände am Tatort hätten darauf hingedeutet, dass Zivilisten am Tatort gewesen seien. Oberst Klein habe seine Entscheidung zum Angriff in einer ungewissen Tatsachenlage getroffen. Die Schädigung von Zivilpersonen sei vorhersehbar gewesen und damit fahrlässig von Oberst Klein verursacht worden.

Der Senat wies erneut darauf hin, dass das Gericht auf Parteivortrag angewiesen sei und insoweit konkrete Tatsachenbehauptungen fehlten. Ein nicht bestrittener Vortrag der Gegenseite gelte als eingeräumt. Bei unstreitigen Tatsachen dürfe das Gericht keinen Beweis erheben.

Dem Beobachter fiel auf, dass der Untersuchungsbericht der von dem ISAF-Kommandeur eingesetzten Kommission nicht thematisiert worden war, der zu dem Ergebnis gelangt war, Oberst Klein hätte bei seinem Zerstörungs- und Tötungsbefehl an die Piloten des US-Bomberflugzeugs gegen Einsatzregeln des ISAF-Kommandos verstoßen. Nach diesen wäre für die von Klein angeforderte sog. „Luftnahunterstützung“ erforderlich gewesen, dass die eigenen Kräfte unmittelbare „Feindberührung“ gehabt hätten oder unmittelbar von einem Angriff bedroht gewesen wären; beides soll nach dem ISAF-Bericht entgegen den Behauptungen Kleins nicht der Fall gewesen sein.

Das mitgeteilte Ergebnis der Vorberatung des Senats hat sich auch nicht in nachvollziehbarer Weise mit dem unterbliebenen warnenden Überflug vor dem eigentlichen Angriff befasst. Nach den Einsatzregeln hätten die Bomber vor einem Bombenabwurf durch niedrige Überflüge („show of force“) zunächst versuchen müssen, die Gegner und mögliche anwesende Unbeteiligte in die Flucht zu schlagen, was aber Klein verhindert haben soll.

In dieser Hinsicht sollten die Kläger das Gericht durch Tatsachenbehauptungen und Beweisantritte zu weiteren Klärung veranlassen.

Das Gericht setzte den Parteien Schriftsatzfristen, beschloss und verkündete als Verkündungstermin für eine Entscheidung  den 30. April 2015.